Novak Djokovic liegt am Boden.
Novak Djokovic war und ist herausragend, darauf kann man sich einigen.
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Für: 23! Und damit basta!

von Florian Vetter

"Ich möchte nicht sagen, dass ich der Größte bin“, sagte Novak Djokovic nach seinem dritten Triumph in Paris und seinem 23. Grand Slam-Titel insgesamt. Das ist höflich formuliert, aber in diesem Fall braucht es keine falsche Bescheidenheit. Djokovic ist natürlich der größte Tennisspieler aller Zeiten. Und nicht nur der beste.

Die Diskussion, wer denn nun der GOAT ist, der "Greatest of All Time", ist keine subjektive mehr, auch wenn glühende Nadal- und Federer-Verehrer das im Trotz immer noch anders sehen: Ab sofort kommt man an der Zahl 23 nicht mehr vorbei. Zum Allzeitrekord der Australierin Margaret Court (24) fehlt Djokovic nur mehr ein Grand-Slam-Sieg, und auch den wird sich der Serbe holen. Sein Spiel ist ebenso einzigartig wie seine mentale Meisterleistung. Eine aberwitzige Statistik gefällig? Djokovic hat in 14 Tagen in Paris sechs Tiebreaks gespielt. Er hat sie alle gewonnen, und dabei ist ihm nicht ein einziger unerzwungener Fehler unterlaufen.

Freilich geht Djokovic als streitbarer Sportler in die Geschichte ein. Die Liste seiner Verfehlungen ist inzwischen opulent. Seine Rolle als ungeimpfter Spieler im Visumstreit während der Australian Open 2022 wäre da herauszuheben. Der Größte aller Zeiten und dabei verhaltensauffällig zu sein, das geht sich aber aus. War Michael Jordan sympathisch? Der sechsfache NBA-Champion mit den Chicago Bulls hat sowohl Gegen- als auch Mitspieler psychisch fertiggemacht, galt als Widerling par excellence und wird trotzdem als größter Basketballer aller Zeiten gefeiert.

Nach Siegen kann Djokovic auch sehr charmant sein, bei seiner abschließenden Paris-Pressekonferenz gab er sich geradezu zurückhaltend. Dabei ist der gereifte Djokovic besser als je zuvor. In seinen Zwanzigern gewann er von 21 erreichten Major-Finalspielen "nur" zwölf. In den Dreißigern triumphierte er elfmal bei 13 Teilnahmen. 

"Jetzt hat er 23. Aber er wird wieder von irgendwo die Motivation finden, 24 oder 25 zu gewinnen", sagt sein Betreuer Goran Ivanisevic. "Wer weiß, wo das endet?" Dass Djokovic noch immer Hunger hat, ist das eigentlich herausragende Detail. Auch das, aber nicht nur das unterscheidet ihn von Dominic Thiem, der nach seinem US-Open-Sieg Motivationsprobleme beklagte. 

Djokovic ist ein Reibebaum, aber halt der größte, der im Wald steht. (Florian Vetter, 12.6.2023) 

Wider: Er ist nur der Beste

von Martin Schauhuber

Keine Frage, Novak Djokovic ist der beste Tennisspieler aller bisherigen Zeiten. Der Mann hat mehr Grand-Slam-Titel als jeder andere, hat als einziger jedes Grand-Slam-Turnier dreimal gewonnen, er ist der komplette Spieler. Eh scho wissen.

Aber der Größte? Dass man trotz seiner klaren sportlichen Überlegenheit darüber diskutiert, ist Beweis genug, dass sich Djokovic hier hinten anstellen muss. Der Größte muss einer sein, den die Masse der Tennisfans in liebevoller Erinnerung behält, für den sie in Diskussionen mit der übernächsten Generation einsteht. Sehen Sie sich mürrisch mit Ihren Enkeln debattieren, dass der Djoker von damals immer noch unerreicht ist, auch wenn Björn Borg IV. soeben seinen 49. Cyber-Grand-Slam ohne Gameverlust gewonnen hat? Da werden schon eher die Namen Roger Federer oder Rafael Nadal fallen.

Denkt man an Novak Djokovic, denkt man nicht nur an legendäre Finalspiele, an Triumphe oder zumindest an eine heroische Niederlage gegen einen entfesselten Jürgen Melzer. Man denkt an Noles "Adria Tour" samt Corona-Disco, man denkt daran, wie der Turnierfavorit bei den US Open frustriert einen Ball wegschlug und eine Linienrichterin am Hals traf, man denkt an sein Impfwiderständlertum.

Djokovics Hang zum Skurril-Spirituellen – bei den French Open erklärte er, ein Metallplättchen auf seiner Brust sei "Nanotechnologie" und das Geheimnis seiner Karriere – wäre kein Problem. Es hätte, kombiniert mit seinem großen komödiantischen Talent, der kontroverse Teil seines Auftretens sein können, den es zur Vermeidung von Fadesse ohnehin braucht. Zu viel Federer'scher Lächel-Teflon ist auch nicht gut. Auch dass es für den Titel des "Greatest of All Time" keine künstliche Bescheidenheit braucht, hat Michael Jordan längst bewiesen – wenngleich Djokovic Senior vielleicht doch etwas zu viel wagte, als er seinen Sohn mit Jesus verglich.

Aber es geht bei Djokovics Kontroversen eben nicht nur um Petitessen. Er hat es nie geschafft, die Fans hinter sich zu vereinen, weil ihm seine problematischen Nischenüberzeugungen stets wichtiger waren. Oftmals wiegelte er lieber serbischen Nationalismus auf, als einen Sieg in Würde zu feiern. Sportler dürfen und sollen durchaus politisch sein. Wenn jemand aber so verlässlich auf die falsche Seite der Realität setzt, sabotiert er sein eigenes Denkmal. Für den reaktionären Teil Serbiens wird er stets der Größte sein. Für den Rest der Welt nicht. (Martin Schauhuber, 12.6.2023)