Eine Kuh macht Muh, viele Kühe aber nicht zwingend Mühe – mit dem Almknigge im Kopf lassen sich gefährliche Situationen entlang der Wanderwege vermeiden.
Heribert Corn

Wer im Sommer durch die heimische Bergwelt wandert, bleibt dort unweigerlich nicht allein. Die frische Luft, das Gefühl von Freiheit und die saftigen Wiesen begeistern Mensch wie Kuh gleichwohl. Doch manchmal wird bei einem Aufeinandertreffen die Alpenidylle merklich getrübt.

So wurde in Mieders im Stubaital (Bezirk Innsbruck-Land) am vergangenen Sonntag eine Fünfjährige von Kühen angegriffen und schwer verletzt. Das Mädchen aus Österreich hatte mit einem 53-jährigen Deutschen auf einem Wanderweg eine Gruppe von Kühen passiert, als die Tiere plötzlich beide angriffen.

Auslöser unklar

Weshalb es zur Attacke kam, ist laut Polizei vorerst unklar. Auch der 53-Jährige – es handelt sich nicht um den Vater des Kindes – erlitt Verletzungen. Bisherigen Informationen zufolge waren die Tiere an der Stelle nicht eingezäunt. Beide Verletzten wurden mit der Rettung in das Krankenhaus Hall in Tirol eingeliefert. Die Fünfjährige und ihr Begleiter befinden sich nicht in Lebensgefahr.

Beinahe jedes Mal, wenn die Kuh nicht nur Muh macht, sondern sich auch durchaus aggressiv zeigt, bricht die Diskussion los, ob die heimischen Almen noch sicher begehbar sind. Vor allem werden Erinnerungen an das Jahr 2014 wach. Am 28. Juli damals war im Pinnistal, einem Seitental des Stubaitals, eine 45-jährige Deutsche, die mit ihrem Hund unterwegs war, von Kühen plötzlich attackiert und zu Tode getrampelt worden.

Nach einem jahrelangen Rechtsstreit zwischen den Hinterbliebenen und dem Landwirt erging im Februar 2019 das erstinstanzliche Urteil im Zivilprozess. Demnach musste der Bauer dem Witwer und dem Sohn rund 180.000 Euro sowie eine monatliche Rente an die beiden in der Höhe rund 1500 Euro zahlen.

Der gesamte Streitwert des Prozesses lag bei rund 490.000 Euro. Die Staatsanwaltschaft hatte noch im Jahr 2014 die Ermittlungen gegen den Landwirt eingestellt. Im August vergangenen Jahres hatten sowohl Bauer als auch Witwer nach einer teilweisen Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils durch das OLG beim OGH Revision eingebracht. Im Mai 2020 bestätigte der OGH die Teilschuld von Landwirt und Hundehalterin.

Haftungsfragen

Abseits des judikativen Weges sorgte der tödliche Zwischenfall für eine generelle Debatte über die Freilandhaltung am Berg. Von einer Einzäunung der Herden bis zu einem generellen Hundeverbot auf Almen reichten die Forderungen. Geworden ist es letztlich damals von türkis-blauer Regierungsseite ein "Aktionsplan für sichere Almen".

Darin enthalten: ein Verhaltenskodex für Almbesucher, einen Ratgeber für die Alm- und Weidewirtschaft sowie eine Gesetzesänderung. Konkret wurde die Haftungsfrage für Alm- und Weidevieh neu geregelt: Es haftet heute nicht mehr automatisch der Halter, sondern es kommt etwa bei Schadensersatzansprüchen zu einer Interessenabwägung.

Neues Regelwerk

Heißt konkret: Wer sich heute nicht an den "Verhaltenskodex" hält, muss im Fall der Fälle selbst den Schaden tragen, wenn er etwa von Kühen attackiert wird.

Wanderern und Wanderinnen wurde damals auch eine Zehn-Punkte-Liste in den Rucksack gepackt. Angeführt ist unter anderem, dass der Kontakt mit dem Weidevieh, insbesondere die Begegnungen von Muttertieren und Hunden, zu vermeiden sei. Zudem gelte es, die Kühe nicht zu erschrecken und Wege nicht zu verlassen. Und beim Herannahen von ausgewachsenem Weidevieh: ruhig bleiben, nicht den Rücken zukehren und ausweichen. Vonseiten des Österreichischen Kuratoriums (ÖKAS) für Alpine Sicherheit sieht man jedenfalls die Kuh noch lange nicht als "alpine Gefahr" für den Menschen. "Es gab in den vergangenen Jahren sehr wenige Zwischenfälle. Die Gefahr, am Berg auszurutschen und abzustürzen oder Herz-Kreislauf-Probleme zu bekommen, ist um ein Vielfaches höher, als von einer Kuh verletzt zu werden", sagt ÖKAS-Geschäftsführer Matthias Knaus.

Aber natürlich werde durch den rasanten Anstieg an Freizeitsportlern der Platz am Berg immer begrenzter. "Aber wenn der Raum enger wird, sollte man sich eben auch genau überlegen, wie man diesen gestaltet", ist Knaus überzeugt. Es brauche daher ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit. "Und da hat der Mensch sicher deutlich mehr Möglichkeiten sich anzupassen als die Kuh." (Markus Rohrhofer, 12.6.2023)