Im Gastblog freut sich Rudolf Schwarz, dass man in allen Bundesländern um mehr Naturnähe bemüht ist, staunt darüber, was schon erreicht wurde, und regt an, diese Bestrebungen zu unterstützen.

Wenn der Regenwald abgeholzt wird, stört uns das, denn er ist wichtig und sollte erhalten werden. Doch wie halten wir es selbst mit der Fülle und Vielfalt der Natur? Lassen wir ihr den ihr zustehenden Raum? Dort, wo er in Fülle zur Verfügung steht, zum Beispiel auf den öffentlichen Grünflächen in Österreich? Darauf gibt es zwei Antworten:

  • Nein, wir begrenzen sie auf das absolute Minimum.
  • Ja, wir lassen sie gedeihen und genießen ihre Pracht.

Welche Antwort stimmt? Beide Antworten stimmen, in sehr unterschiedlichem Maß, und manches dazwischen auch.

Grün kann auch traurig machen

Auf meinen Wegen sah ich fast nur das "Nein". Seit ich in einem Bus in Oberösterreich eine Frau sagen hörte: "Man sieht keine Insekten mehr!", das war vor über zehn Jahren, sehe ich die Armut im geduldigen Grün. Millionen von Quadratmetern kurzgeschoren. Und immer wieder dachte ich, da müsste doch ein besserer Kompromiss möglich sein zwischen diesem Minimum und einer wuchernden Wildnis. Mit Blumen und Kräutern, Bienen, Libellen, Heuschrecken, Hummeln und Wespen. Uns Menschen ist die Freiheit wichtig, dachte ich, Tiere wollen wir artgerecht halten – sollte Ähnliches nicht auch für Flora und Fauna gelten? Wie lange ist es nun schon her, dass ich Glühwürmchen gesehen habe, dachte ich, und fotografierte die grünen Einheitsteppiche, die meine Wege säumten. Zuletzt dieses Bild am Gürtel in Wien.

Gemähte Grünfläche, Rasen, daneben Autos
Wie viel Lebensraum finden hier Insekten und Vögel?
Foto: Rudolf Schwarz

Nur selten sah ich Flächen mit mehr Leben. Ja, öffentliche Grünflächen sind optisch gut gepflegt, soweit ich sehen konnte. Verlässliche Arbeit von Profis. Hier wäre aber auch mehr möglich, denn die Grenzen, die der Verkehr aus Gründen der Sicherheit zieht, lassen jede Menge Raum. Könnte man den nicht nützen?

Initiativen mit Wirkkraft

Wie groß war mein Staunen, wie groß meine Freude, als ich zum ersten Mal "öffentliche Grünflächen ökologisch" suchte und auf "Bilder" klickte! Ein grünes Paralleluniversum entfaltete sich. Was für eine Pracht! Das alles war möglich? Und es wird schon länger betrieben – wo denn?

In Niederösterreich vor allem, die Anfänge reichen hier schon Jahrzehnte zurück. Eine Seite präsentiert 133 Beispiele, von Absdorf bis Zwentendorf. Wow. "Natur im Garten", eine 1999 ins Leben gerufene Bewegung für mehr Naturnähe, hat ihre Basis in Niederösterreich. Man verzichtet auf chemisch-synthetische Pestizide (in weit über 200 Gemeinden) und ebensolchen Dünger sowie auf Torf (in fast 100 Gemeinden). 

Etwa 80 Prozent der Gemeinden bewirtschaften ihre Grünräume nach dem Prinzip "Naturnähe". 85 Prozent der Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher wünschen ökologische Pflege. Kein Zufall, wird die Bevölkerung doch laufend in Vorträgen und Diskussionen über deren Vorteile informiert. Auch Privatpersonen können, etwa in Großenzersdorf, Teile von öffentlichen Grünflächen gestalten.

Öffentliche Grünfläche mit vielen Blumen und anderen Pflanzen
Öffentliches Blühen in Baden.
Foto: Robert Lhotka, Natur im Garten, Niederösterreich

Auch in den anderen Bundesländern gibt es Initiativen, mehr Ökologie in die öffentlichen Grünflächen zu bekommen. Genauer gewichten kann man diese leider nicht, es gibt keine vergleichbaren Zahlen mit Flächen- oder Prozentangaben.

In Oberösterreich gibt es schon 30 Gemeinden, die nach den Kriterien von "Natur im Garten" arbeiten, auch die Stadtgemeinde Linz zählt dazu. Man verzichtet auch hier auf chemisch-synthetische Pestizide, ebensolchen Dünger und auf Torf.

Blumenwiese
Eine Wiese besteht aus mindestens 30 verschiedenen Blumenarten.
Foto: Bienenzentrum, O.Ö.

Im Burgenland setzen sich Gemeinden im Rahmen des Projekts "Burgenland BeeFit" für den Erhalt der Artenvielfalt ein. Öffentliche Grünflächen sollen ihre Rolle als Rückzugsräume für Pflanzen und Tiere erfüllen können, sie sind die Lebensgrundlage von Insekten wie Wildbienen und Schmetterlingen. Man will die Verkehrsflächen so erhalten, dass sie die Lebensräume der Nützlinge verbinden und ihre Verbreitung gewährleisten können.

Wiese neben einer Straße
Eine bienenfreundliche Wiese in Breitenbrunn.
Foto: Verein Unser Dorf, Burgenland

In der Steiermark haben die meisten Gemeinden mittlerweile Blumenwiesen angelegt oder Flächen aus der intensiven Nutzung genommen. Seit Jahren gibt es Initiativen, die "Nützlingsblühstreifen" anlegen. Sie werden von mehreren Programmen des Landes finanziert.

Orchideen neben Straße
Orchideen am Straßenrand nahe Hofstätten, Steiermark.
Foto: Wolfgang Lanne

In Kärnten ist das Kärntner Bildungswerk aktiv. Die Einrichtung für Erwachsenenbildung ist seit 2019 Partner der Bewegung "Natur im Garten". Man fördert und unterstützt das naturnahe Gärtnern von privaten und öffentlichen Grünflächen. Es gibt laufend Veranstaltungen und Beratung für die Gemeinden.

Durchgang durch eine grüne Laube
Ein lebendig gestalteter, schattiger Gehweg in Kärnten.
Foto: Andrea Koppitsch

In Salzburg spricht man den Gemeinden eine Vorreiterrolle bei der Trendumkehr zu, erlebbar durch heimische Blumenwiesen und naturnahe Pflanz- und Pflegekonzepte. Dazu sagt Landesrätin Daniela Gutschi: "Jeder Quadratmeter zählt, wenn es um biologische Artenvielfalt geht."

Wiese neben Autostraße
Wildkräuter, ein- und mehrjährig, am Straßenrand von Obertrum.
Foto: Sabine Czak, SIR GmbH

In Tirol haben 39 Gemeinden beschlossen, Kreisverkehre, Verkehrsinseln und Dorfplätze naturnäher zu gestalten. Ein Beispiel ist Kematen, wo der dortige Bürgermeister erklärte: "Die Gemeinde errichtet viele kleine Paradiese mit artenreichen Blumenwiesen, heimischen Sträuchern sowie Bäumen. Auch die Bevölkerung möchten wir an Bord haben." Gemeinsam will man das Summen der Wildbienen zurückbringen, deren Zahl in den vergangenen Jahren um 50 bis 80 Prozent zurückgegangen ist.

Wilde Wiese vor einem Gebäude.
Das einladende Entree zum Naturpark Karwendel, Hall in Tirol.
Foto: Naturpark Karwendel

In Vorarlberg will man im Rahmen der Energieregion Vorderwald "eine enkeltaugliche und zukunftsfähige Region für ein gutes Leben erhalten". Neun Gemeinden probieren in einer Klima- und Energiemodellregion neue Wege aus. Sie geben Antworten auf Fragen wie diese: Wie hoch ist der Pflegeaufwand von Flächen, die wieder mehr Lebensräume für Tiere und Pflanzen schaffen? Wie informiert man die Bevölkerung über die Umstellung der Grünflächen?

Blumenwiese neben Straße
Eine Wiese mit Lizenz zum Blühen in Vorarlberg.
Foto: pulswerk

In Wien gibt es ebenfalls bereits "alles": Grünräume werden naturnah gepflegt, mit kleinen und großen Blühflächen und Wohnstätten für Tiere, über die Stadt verteilt. Erholung und Naturerfahrungen sollen möglich werden. Initiativen der Umweltschutzabteilung (MA 22) und der Wiener Umweltanwaltschaft unterstützen auf vielerlei Art, mit Beratung, nützlichen Links und Hinweisen fürs Tätigwerden.

Blumenwiese, dahinter eine große Straße
Biodiversität, mitten in Wien.
Foto: Josh Mikocky, MA22 Wien

So viel Schönheit und Vielfalt der Natur an den (insgesamt doch eher wenigen) Plätzen, wo man sie zulässt! Die professionelle Betreuung ist eine große Aufgabe, viel komplexer, als man als Laie annimmt, jeder Boden und jede Umgebung ist anders. Und die Areale sollen viele Bedürfnisse erfüllen: Auf den Grünflächen wird man in Zukunft vielleicht mehr Abwechslung sehen, mehr Nischen für Tiere. Die Vorreiter in den Bundesländern teilen ihr Wissen und ihre große Erfahrung gerne, so mein Eindruck, wenn man die Berichte liest.

Lebendige öffentliche Grünflächen

Wäre es möglich, dass die Vielfalt im ganzen Land wieder zunimmt? Und die Naturfülle zu einem Thema wird, das für Groß und Klein erfreulich ist? Wohltuend für das Klima und selbst für die Politik? Die guten Beispiele überzeugen, die Bevölkerung geht mit, wenn sie informiert wird – die Zustimmung in den Gemeinden ist hoch. Mehr Biodiversität, mehr Leben mit der Natur wäre ein Gewinn für alle. Wie beim Regenwald. Die Folgen wären alsbald sichtbar und hörbar als Summen und Zwitschern. (Rudolf Schwarz, 16.6.2023)