Strommasten bei partieller Sonnenfinsternis in Deutschland
Die Energiewende macht Strom nicht automatisch günstiger. Es sind die notwendigen, hohen Investitionen, die das System auf absehbare Zeit verteuern.
IMAGO/Frank Peter

Der Ausbau erneuerbarer Energien geht nicht automatisch mit günstigerem Strom einher, im Gegenteil. Auf absehbare Zeit dürfte elektrische Energie sogar deutlich mehr kosten, als es Verbraucher und Verbraucherinnen bisher gewohnt waren. Das geht aus einer Studie hervor, die das Beratungsunternehmen E-Venture auf eigene Initiative gemacht hat. "Wir gehen davon aus, dass sich der Strompreis im Großhandel in den kommenden 15 Jahren bei dem Zweieinhalbfachen dessen einpendeln wird, was wir in den Jahren vor der Krise durchschnittlich gesehen haben," sagte Florian Haslauer, Mitgründer und Geschäftsführer von E-Venture, dem STANDARD. Das wären größenordnungsmäßig um die 120 Euro je Megawattstunde (MWh).

Treiber der Entwicklung sei einerseits der starke Bedarfszuwachs durch die Dekarbonisierung vieler gesellschaftlicher Bereiche, wozu die höhere Durchdringung des Automobilbestands mit E-Autos und des Heizungssektors mit Wärmepumpen gehöre, die auch Strom verbrauchen. Andererseits seien nicht nur hohe Investitionen in Wind- und Photovoltaikanlagen notwendig, sondern auch in die Ertüchtigung und den weiteren Ausbau der Stromnetze. Das und die Tatsache, dass teure Gaskraftwerke wohl noch längere Zeit als Back-up in Zeiten herhalten müssten, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint, hielten die Preise tendenziell oben.

Zielverfehlung

Klar ist für Haslauer schon jetzt, dass das von der Regierung ausgegebene Ziel, den inländischen Strombedarf bis 2030 bilanziell zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu decken, verfehlt werden wird. Dazu müssten zusätzliche 27 Terawattstunden (TWh) Strom aus erneuerbaren Quellen zugebaut werden, was aufgrund noch immer vergleichsweise langer Genehmigungsverfahren in den sieben Jahren bis dorthin kaum machbar erscheint. "Wir könnten das bis 2035 hinbekommen, auch wenn der Strombedarf dann noch höher ist", sagt Haslauer. Statt 27 TWh müssten bis dorthin zusätzlich 43 TWh Strom aus Wind, Photovoltaik oder Wasserkraft zur Verfügung gestellt werden, um übers Jahr gesehen 100 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien zu decken. "Dann müsste die Regierung aber rasch zusätzliche Beschleunigungsmaßnahmen beschließen," sagte Haslauer.

In der Studie, die dem STANDARD vorliegt, gehen die Autoren davon aus, dass der Strombedarf in Österreich von heute 68 TWh auf rund 100 TWh im Jahr 2035 steigen wird. Gefüttert wurde die Studie mit Wetterdaten aus dem Jahr 2021. Durch die hohe Volatilität der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen gebe es praktisch keine Stunde, in der Angebot und Nachfrage bei Strom übereinstimmen, heißt es. In rund 4.300 Stunden des Jahres wird demnach die erneuerbare Erzeugung aufgrund der Wetter-, Tageslicht- und saisonalen Volatilität nicht reichen, um den jeweiligen Bedarf zu decken. Diese Lücke – laut Studie bis zu zehn Gigawatt – könne durch steuerbare Lasten sowie den Einsatz von Speichern überbrückt werden. Durch Importe und Flexibilitäten in der Industrie ließe sich die Last senken. Bei Ausreizung aller Möglichkeiten verblieben dennoch rund 3,5 GW, die durch Gaskraftwerke gedeckt werden müssten.

Hohe Investitionen

Um das Stromsystem so flexibel wie notwendig zu gestalten, seien Investitionen in bisher noch nie gesehenem Ausmaß notwendig. Allein für Kraftwerke und Speicher veranschlagt Haslauer bis 2035 Investitionen in Höhe von 36 Milliarden Euro. Rund 30 Milliarden Euro müssten zusätzlich in die Netzinfrastruktur fließen.

Könnte Österreich den benötigten Strom im Fall einer Windflaute oder bei schlechter Sonnenausbeute nicht aus Nachbarländern beziehen? "Das geht nur dann, wenn nicht alle Länder die Energiewende so angehen wie Österreich und Deutschland," sagt Haslauer. Auf Deutschland sei definitiv kein Verlass, weil die Wetterlagen vergleichbar seien. "Wenn bei uns kein Wind weht, geht dort auch keiner," sagt Haslauer. Dann könnten Tschechien, Polen, Ungarn oder Slowenien mit ihren Atomkraftwerken aushelfen. Trotzdem sollte sich Österreich überlegen, ob es nicht sinnvoll sei, selbst vorzusorgen für den Ernstfall – sprich neue Gaskraftwerke zu bauen, die dereinst auch mit Wasserstoff befeuert werden können, statt sich zu sehr auf Importe zu verlassen. (Günther Strobl, 15.6.2023)