Nazca-Linien Spinne
Eine der berühmtesten Geoglyphen ist die Spinne. Nun haben Forschende mit KI-Unterstützung neue Figuren gefunden.
Foto: APA/AFP/ERNESTO BENAVIDES

Fliegt man in einem Kleinflugzeug über die trockenen Gegenden an der Südküste Perus hinweg, wird man rund 400 Kilometer südlich der Hauptstadt Lima zwischen den Städten Nazca und Palpa die riesigen Zeichnungen auf der Erde kaum übersehen können. Dutzende als Nazca-Linien berühmt gewordene Scharrbilder verteilen sich hier über den Wüstenboden, darunter Menschen, Kondore, Riesenspinnen, Wale, Kolibris, Affen, Hunde und Katzen, geometrische Formen und kilometerlange gerade Linien. In den vergangenen hundert Jahren hat man über 1.500 dieser Geoglyphen gefunden – und viele weitere dürften unter dem Wüstenstaub noch ihrer Entdeckung harren.

Verblasste Bilder

Doch diese weniger offensichtlichen sind nicht so leicht aufzuspüren. Seit mehr als tausend Jahren den Elementen ausgesetzt, sind manche Scharrbilder mittlerweile verblasst und selbst vom geübtesten Auge auf Luftaufnahmen nur schwer auszumachen. Nachdem Mustererkennung zu den Kernkompetenzen der künstlichen Intelligenz zählt, leistet sie mittlerweile aber auch in der Nazca-Forschung wertvolle Dienste. Ein Team um Masato Sakai von der japanischen Yamagata-Universität war mit KI-Hilfe in den letzten Jahren besonders erfolgreich. Nun haben die Archäologen drei weitere bisher unbekannte Nazca-Figuren vorgestellt, an deren Entdeckung ebenfalls eine KI tatkräftig beteiligt war.

Die Figur mit Kopfschmuck und Stock wurde bereits 2019 entdeckt.
Die Figur mit Kopfschmuck und Stock wurde bereits 2019 entdeckt.
Foto/Grafik: The Yamagata University Institute of Nasca

Der Großteil der heute bekannten Nazca-Bilder wurden während zweier Phasen zwischen 400 v. d. Z. und etwa 500 unserer Zeitrechnung angelegt. Fachleute sind sich bei der Interpretation uneins, viele vermuten aber eine religiöse Bedeutung hinter den Bildern. Die mindestens 30 Zentimeter breiten Linien entstanden, indem ihre Erbauer zwischen zehn und 15 Zentimeter der oberen rotbraunen Bodenschicht abtrugen und den heller gefärbten Grund freilegten. Es heißt zwar, man könne die in einigen Fällen über 300 Meter langen Bilder nur aus der Luft erkennen, tatsächlich aber beeindruckt ihr Anblick auch von nahen Hügeln oder erhöhten Arealen aus.

Erst spät wiederentdeckt

Die meisten und vor allem die bemerkenswertesten Scharrbilder konzentrieren sich auf eine zehn mal vier Kilometer große Region. Dass sie überhaupt so lange überdauert haben, ist ihrer Abgeschiedenheit und dem trockenen, windstillen und stabilen Klima der lokalen Hochebene zu verdanken – und vielleicht auch der Tatsache, dass die Welt erst vergleichsweise spät auf sie aufmerksam wurde.

Den neu entdeckten Vogel erkennt man nur mit viel Phantasie.
Den neu entdeckten Vogel erkennt man nur mit viel Fantasie.
Foto/Grafik: The Yamagata University Institute of Nasca

Schriftlich erwähnt wurden die Nazca-Linien bereits in Berichten spanischer Konquistadoren des 16. Jahrhunderts. Damals wurden sie für Wegmarkierungen oder Straßen gehalten. Archäologisch erschlossen wurden die Bilder erst, nachdem der peruanische Archäologe Toribio Mejía Xesspe die Gegend 1927 zu Fuß durchquert hatte. Es sollten noch weitere 15 Jahre vergehen, ehe Forschende damit begannen, sich eingehender mit den Nazca-Linien zu befassen. 1994 schließlich wurden die Nazca-Linien zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt. Damals kannte man erst einige Dutzend Figuren.

Durchkämme die Wüste!

Dass es immer noch Neuzugänge in der Menagerie und Figurenansammlung gibt, ist inzwischen vor allem der computerunterstützten Bildanalyse zu verdanken. Masato Sakai und seine Gruppe an der Yamagata-Universität suchen seit Jahren nach verborgenen Nazca-Linien. Erst im vergangenen Dezember präsentierte der Archäologe 168 neue Geoglyphen, die er mit seinen Kolleginnen und Kollegen und KI-Hilfe auf Satellitenbildern, Luftaufnahmen und Radarscans finden konnte.

Ein Fisch, vielleicht aber auch ein Wal.
Ein Fisch, vielleicht aber auch ein Wal.
Foto/Grafik: The Yamagata University Institute of Nasca

Die Forschenden trainierten in Zusammenarbeit mit IBM Japan und dem Thomas J. Watson Research Center von IBM in den Vereinigten Staaten eine KI mit 21 bekannten Nazca-Geoglyphen. Nun hat das mittlerweile recht erfahrene Deep-Learning-System beim Durchkämmten von Luftbildern drei neue Darstellungen entdeckt. Das Team präsentierte seine Funde im aktuellen "Journal of Archaeological Science".

Die Linienfiguren zeigen ein 76 Meter langes Beinpaar, einen 18 Meter langen Fisch und einen 17 Meter langen Vogel. Eine vierte in der Arbeit beschriebene Darstellung – sie zeigt eine abstrahierte menschliche Figur mit einem Stab in der Hand – war bereits 2019 mit KI-Unterstützung entdeckt worden.

Ein 76 Meter langes Beinpaar mit prominenten Zehen.
Ein 76 Meter langes Beinpaar mit prominenten Zehen.
Foto/Grafik: The Yamagata University Institute of Nasca

Gefährdetes Erbe

Obwohl die Behörden das Betreten der berühmten fragilen Scharrbilder strengstens untersagt hatten, weil selbst Fußabdrücke die jahrtausendealten Figuren und Muster nachhaltig beschädigen können, kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu teilweise sogar absichtlichen Beschädigungen. 2014 haben Greenpeace-Aktivisten bei einer Protestaktion gegen den Klimawandel einen überdimensionalen Slogan der Umweltschützer zwischen den Nazca-Linien aufgestellt. Dabei soll es bei einer bekannten Kolibri-Figur zu irreparablen Schäden gekommen sein. Einer der Hauptverantwortlichen soll ein Aktivist aus Österreich gewesen sein.

Im Jahr 2018 wurde ein Lkw-Fahrer festgenommen, nachdem er seinen Sattelzug absichtlich über Geoglyphen gefahren hatte. Der Lastwagen hatte auf einer Strecke von rund 100 Metern drei Linien beschädigt, die Teil eines Eidechsenbildes sind. Der Fahrer hatte damals angegeben, er sei in das geschützte Gebiet eingedrungen, um einen Reifen zu wechseln. (Thomas Bergmayr, 13.6.2023)