In der Nacht auf Sonntag ist es im Zentralen Hochland von Vietnam zu einem bewaffneten Aufstand gegen den lokalen Verwaltungssitz und zwei Polizeistationen gekommen. Die Aufständischen sprechen von rund 1.000 Teilnehmern, die Behörden von nur 40. Einem Video zufolge sollten es mindestens hundert Aufständische im Militärlook mit selbstgebauten primitiven Jagdgewehren und Fahnen ihrer Stämme gewesen sein. Es spricht vieles dafür, dass sie militärisch ausgebildet wurden. Die Behörden in Vietnam waren von der Aktion völlig überrascht und konnten die Aufständischen zunächst nicht genau einordnen.

Für den Kaffeeanbau wird den ethnischen Minderheiten im Zentralen Hochland Vietnams ihr Land weggenommen.
Für den Kaffeeanbau wird den ethnischen Minderheiten im Zentralen Hochland Vietnams ihr Land weggenommen.
APA/AFP/NHAC NGUYEN

Die Rebellen sind Angehörige mehrerer nationaler Minderheiten, auch Montagnards genannt, die traditionell im Zentralen Hochland wohnen. Unterschiedlichen Angaben zufolge gab es sieben oder acht Tote unter Polizisten und Angestellten der lokalen Behörden. Der Aufstand hielt bis Sonntagabend an. Erst als das Militär mit gepanzerten Fahrzeugen aus anderen Regionen kam, flohen die meisten Aufständischen nach eigenen Angaben in die dicht bewaldeten, unübersichtlichen Berge.

Gerüchte über Folter

38 Personen wurden nach Behördenangaben bis Dienstag festgenommen, Messer und Gewehre beschlagnahmt. In sozialen Netzwerken verbreiten sich Gerüchte über Folter von Inhaftierten. Die Zahl der toten Aufständischen ist nicht bekannt.

Der im deutschen Exil lebende vietnamesische Oppositionspolitiker und Menschenrechtler Nguyen Van Dai spricht von einem Aufstand ethnischer Minderheiten gegen die Kommunistische Partei. Ihm wurde ein Video mit den Forderungen der Aufständischen zugespielt. "Sie wollen das von ihnen genutzte Land weiter nutzen können", sagt er.

Keine Heimat mehr

Die lokale Regierung habe ihnen das Recht auf Nutzung des Landes entzogen, auf dem sich ihre Häuser und ihre landwirtschaftliche Nutzfläche befinden, so Van Dai. Ihnen drohe damit der Verlust ihrer Heimat. "Zweitens fühlen sie sich als Minderheitenangehörige von der Regierung diskriminiert. Und drittens fordern sie Religionsfreiheit und politische Freiheiten."

Einen bewaffneten Aufstand hat es in Vietnam seit den 1980er-Jahren nicht mehr gegeben. Privatpersonen ist der Waffenbesitz untersagt, der entsprechende Schwarzmarkt ist überschaubar. Konflikte zwischen den Minderheitenstämmen und der Staatsmacht sind im Zentralen Hochland allerdings nicht neu.

Mehr Land für den Kaffeeanbau

Ende der 1980er-Jahre begann dort der Kaffeeanbau. Jahr für Jahr wird mehr Land für das gewinnbringende Geschäft zur Verfügung gestellt, wofür Montagnards enteignet wurden und ihre Lebensgrundlage verloren. Das Kaffeegeschäft liegt in den Händen ethnischer Vietnamesen. Zudem werden die Montagnards in der Ausübung ihres christlichen Glaubens behindert.

Das Verhältnis ist auch historisch belastet, weil sich mehrere Minderheitenstämme während des Krieges auf die Seite der südvietnamesischen Regierung und der USA gestellt und mehr Autonomie bzw. eine Unabhängigkeit ihrer Region gefordert hatten. Andere unterstützten hingegen den Ho-Chi-Minh-Pfad, der während des Krieges durch die Bergregion führte und ohne die Unterstützung durch die lokale Bevölkerung nicht funktioniert hätte. (Marina Mai, 13.6.2023)