Meisterfeier Red Bull Salzburg
Red Bull Salzburg feiert den zehnten Titel in Folge.
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Es war knapp wie seit zehn Jahren nicht. Drei Runden vor Schluss hätte Sturm Graz den Abo-Meister in der Fußball-Bundesliga noch abfangen können. Tatsächlich schoss Jon Gorenc Stankovič die Grazer im direkten Duell in Wals-Siezenheim in Führung. Doch Red Bull Salzburg drehte das Spiel und sorgte mit dem 2:1 für den Meistertitel. Schon wieder ein neuer Rekord.

Denn noch nie in der Geschichte des österreichischen Profifußballs gab es über zehn Jahre hinweg nur ein und denselben Titelträger. Die Serie begann 2013/14 unter Roger Schmidt, seither hielten sich die Salzburger mit Rapid Wien, Austria Wien, Sturm Graz und dem LASK eine vergleichsweise diverse Ansammlung von Vizemeistern.

Vielfalt noch in den Nullerjahren

Man muss allerdings gar nicht so weit in die Geschichte reisen, um Vielfalt auch in den Gravuren des Meistertellers zu finden. Am Ende der Saison 2010/11 etwa standen im Rückblick auf das damals abgelaufene Jahrzehnt (sprich: zehn aufeinanderfolgende Jahre) sechs verschiedene Klubs ganz oben: FC Tirol Innsbruck (2002), Austria Wien (2003, 2006), GAK (2004), Rapid Wien (2005, 2008), Red Bull Salzburg (2007, 2009, 2010) und Sturm Graz (2011).

Bunter als in der Gegenwart war der österreichische Fußball auch in jedem anderen bisherigen Jahrzehnt. Bloß in den 1980er-Jahren ging es nicht ganz so abwechslungsreich zu, da wanderte die Schale lediglich zwischen den beiden Wiener Großvereinen hin und her.

Ist diese Monotonie ein österreichisches, genauer: ein Red-Bull-Salzburg-Phänomen? Mitnichten, wenn man über die Grenze nach Deutschland blickt. Bayern München hat dort in einem Herzschlagfinale ebenfalls eine neue Rekordserie aufgestellt, eine nicht nur zehn-, sondern sogar elfteilige.

Auch in der deutschen Bundesliga ist so etwas einzigartig, eintönig war es dort früher nicht. Mitte des 20. Jahrhunderts gab es Jahrzehnte mit neun unterschiedlichen Saisonsiegern. Von 1958 bis 1967 etwa hießen die Titelträger in dieser Reihenfolge: Schalke 04, Eintracht Frankfurt, HSV, 1. FC Nürnberg, 1. FC Köln, BVB, noch einmal Köln, Werder Bremen, Eintracht Braunschweig und 1860 München. Heute unvorstellbar.

In Frankreich ist es das Superstar-Kollektiv um Kylian Mbappé, das für Uniformität sorgt. Die chronische Überlegenheit von Paris Saint-Germain durften seit 2013 nur AS Monaco (2017) und OSC Lille (2021) brechen. Auch das ist ein relativ moderner Zustand; eine ähnliche Dominanz in der Ligue 1 gab es im ganzen 20. Jahrhundert nur während einer kurzen Phase in den 1970er-Jahren durch AS Saint-Étienne.

Spanien ist ein Sonderfall. Dort teilen sich seit jeher Real Madrid, der FC Barcelona und Atlético Madrid den Kuchen auf und lassen der restlichen Primera División höchstens die Brösel. Bis auf dieses Trio gab es in den vergangenen 75 Jahren sage und schreibe nicht mehr als vier andere Meisterschaftssieger: Valencia, La Coruña und die beiden baskischen Rivalen Real Sociedad und Athletic Bilbao.

In Englands Premier League hat Manchester City fünf der letzten sechs Titel geholt. Auf der Insel sind derartige Runs seit den 1980er-Jahren nicht selten, Stadtrivale United beherrschte die Zeit um die Jahrtausendwende, der FC Liverpool die 1980er-Jahre. In den Jahrzehnten davor war die Vielfalt in der Vorgängerklasse First Division aber noch spürbar höher – von 1960 bis 1969 beispielsweise mit acht verschiedenen Gewinnern.

Die nachfolgenden Ligen Land für Land durchzugehen würde nun zu weit führen. Aber das jeweilige Zahlenmaterial lässt sich aggregieren und so ein Gesamtbild ermitteln, das zeigt, ob Bayern, Salzburg, City und PSG Ausreißer sind oder stellvertretend für eine europaweite Tendenz stehen.

Und dieses Gesamtbild ist recht eindeutig. Zusammengenommen hätte es in den 20 stärksten Ligen des Kontinents in den vergangenen zehn Saisonen 198 verschiedene Titelträger geben können (198 und nicht 200, weil zwei mögliche Meister wegfallen: Die Niederlande ließen 2019/20 Corona- und die Ukraine 2021/22 kriegsbedingt ihre Meisterschaften jeweils nicht zu Ende spielen). Errungen wurden diese 198 Titel von 60 verschiedenen Teams. 

Der Trend zeigt dabei zuletzt deutlich nach unten. In der Saison 2000/01 gab es von 199 potenziellen Gewinnern noch 74 verschiedene Titelträger. Noch klarer wird es in früheren Jahrzehnten. Von den 1960er- bis in die 1990er-Jahre lag dieser Wert bei meist über 80 unterschiedlichen Meisterklubs – und das, obwohl in einigen der heutigen Top-20-Nationen noch gar keine Meisterschaften ausgespielt wurden, weil sie (wie die Ukraine oder Kroatien) schlichtweg nicht existierten.

Heruntergebrochen: In einer durchschnittlichen europäischen Fußballliga gab es in den zehn Saisonen von 1980 bis 1989 noch fünf verschiedene Meisterteams. In einer durchschnittlichen europäischen Fußballliga 2014 bis 2023 feierten nur mehr drei verschiedene Klubs mit Sektduschen auf Rathausbalkonen.

Diese Entwicklung hin zur Oligarchie, der Herrschaft von wenigen, wird wohl durch die Regularien im modernen Fußball begünstigt. Fixe Europacupplätze für Spitzenvereine und -ligen, die durch den Millionenregen der Vorsaisonen ohnehin einen Startvorteil haben, festigen die Strukturen. Die reichen Teams werden Meister, die meisten Teams nicht reicher. Wie bei "Monopoly" – und ohne regulierendes Korrektiv auch im "echten" Wirtschaftsleben. (Michael Matzenberger, 15.6.2023)