Dominik Straub aus Rom

Tausende Italienerinnen und Italiener sind am Mittwoch auf die prächtige Mailänder Piazza Duomo geströmt, um von Silvio Berlusconi Abschied zu nehmen, der am Montag im Alter von 86 Jahren verstarb. Die riesige Kathedrale war viel zu klein, um alle aufzunehmen. Für seine Anhänger war er bis zuletzt ein Vorbild, eine Identifikationsfigur geblieben, dessen Verdienst es gewesen sei, "Italien vor den Kommunisten gerettet" zu haben. Zum Staatsbegräbnis angereist waren natürlich Regierungschefin Giorgia Meloni und ihre gesamte Ministerriege; auch hohe Politiker aus dem Ausland haben an der vom Mailänder Erzbischof Mario Delpini zelebrierten Feier teilgenommen, unter anderem der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán. In ganz Italien wehten die Fahnen auf halbmast.

Er selbst, Silvio Berlusconi, hätte das Staatsbegräbnis und die Staatstrauer zweifellos als angemessen empfunden – war er doch laut Selbsteinschätzung der "Gesalbte des Herrn", der "Jesus Christus der Politik", der "beste Ministerpräsident der letzten 150 Jahre". Andere fanden die Zeremonie völlig übertrieben – einige von ihnen wagten sich auch mit einem T-Shirt mit der Aufschrift "Ich trauere nicht" auf die Piazza Duomo.

Trauerfeier Berlusconi Rom
Staatsbegräbnis im Mailänder Dom: Nicht nur die Familie trauerte, auch Berlusconis Anhängerinnen und Anhänger kamen. Andere taten aber auch ihren Unmut kund.
Foto: AP / Luca Bruno

Viele Italienerinnen und Italiener übten in den sozialen Medien scharfe Kritik an dem "Begräbnis auf Kosten der Steuerzahler", und etliche Politiker blieben der Trauerfeier demonstrativ fern. Der prominenteste Abwesende war der ehemalige Regierungschef Giuseppe Conte, heute Anführer der Fünf-Sterne-Protestbewegung. Fünf-Sterne-Gründer Beppe Grillo hatte Berlusconi immer als Kriminellen und als "Psychozwerg" betitelt.

Ermessen der Regierung

Als "wenig opportun" bezeichnete die Sozialdemokratin und ehemalige Präsidentin der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission, Rosy Bindi, insbesondere die von der Regierung verhängte Staatstrauer. Denn während das Staatsbegräbnis für jeden ehemaligen Ministerpräsidenten gesetzlich vorgesehen ist und damit automatisch erfolgt, fällt die Verhängung der Staatstrauer in das Ermessen der Regierung – und bisher herrschte diesbezüglich große Zurückhaltung. In den letzten 30 Jahren ist beim Tod eines ehemaligen Regierungschefs nie mehr Staatstrauer verhängt worden, mit Ausnahme von Carlo Azeglio Ciampi und Giovanni Leone – aber diese waren im Unterschied zu Berlusconi nicht nur Ministerpräsidenten, sondern später auch Staatspräsidenten gewesen.

Rosy Bindi störte sich an der "posthumen Heiligsprechung" Berlusconis in den Medien und durch die Regierung von Giorgia Meloni. Beim Privatsender Mediaset, der zum Imperium Berlusconis gehört, und auch bei dem inzwischen von der Regierung Meloni kontrollierten Staatsfernsehen Rai waren die Lobhudeleien zu erwarten gewesen. Aber auch der angesehene und unabhängige Corriere della Sera überbot sich mit Würdigungen: Das Blatt publizierte am Dienstag 32 (zweiunddreißig!) Seiten zum Tod des Cavaliere. Rosy Bindi – und auch viele andere – erinnerte dagegen daran, dass Berlusconi "eine polarisierende Persönlichkeit" gewesen sei, der die Frauen ausgenutzt habe und dessen Geschäftsgebaren als Privatunternehmer in vielen Punkten undurchsichtig geblieben sei.

Die Grünen und die linke Splitterpartei "Sinistra Italiana", deren Exponenten das Staatsbegräbnis in Mailand ebenfalls boykottierten, bliesen ins gleiche Horn. Sie verwiesen auf die Mitgliedschaft Berlusconis in der umstürzlerischen Geheimloge P2, auf sein ambivalentes Verhältnis zur Mafia (einer seiner engsten Vertrauten, der sizilianische Senator Marcello Dell’Utri, ist wegen seiner Nähe zur Cosa Nostra zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden) und auf seine Verurteilung wegen Steuerbetrugs in dreistelliger Millionenhöhe. "Es ist schon irritierend, wenn man heute an den Kasernen der Finanzpolizei, die gegen Berlusconi ermittelte, die Fahnen auf halbmast wehen sieht", brachte der Fünf-Sterne-Parlamentarier Riccardo Ricciardi das Unbehagen auf den Punkt.

Große Portion politisches Kalkül

Bei der Entscheidung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, ihrem bisherigen Regierungspartner Berlusconi die ungewöhnliche Ehre der Staatstrauer zu erweisen, dürfte freilich eine große Portion politisches Kalkül mitgespielt haben: Sie ist auf den Goodwill der Berlusconi-Partei angewiesen. Die Forza Italia mag mit ihrem Stimmenanteil von acht Prozent bei den Wahlen im vergangenen Herbst der kleinste Koalitionspartner in Melonis Regierung sein, aber ohne die Stimmen der Berlusconi-Abgeordneten und -Senatoren hätte sie im Parlament keine Mehrheit mehr.

Die Verhängung der Staatstrauer ist zugleich eine kaum verschleierte Abwerbeaktion: Es wird allgemein davon ausgegangen, dass die Forza Italia mittelfristig den Tod ihres Gründers und Padrone nicht überleben wird. Meloni signalisiert: Die Türen meiner Partei Fratelli d’Italia stehen weit offen.

Obwohl der kleine Koalitionspartner Forza Italia erst einmal vor ungewissen Zeiten steht, dürfte sich die Regierungsarbeit für Meloni nun eher leichter gestalten. Berlusconi war innerhalb der Koalition ein permanenter Unruheherd gewesen und hatte Meloni mit seiner Männerfreundschaft zu Kreml-Chef Wladimir Putin regelmäßig in Verlegenheit gebracht.

Noch im Februar hatte Berlusconi den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj für den Krieg in seinem Land verantwortlich gemacht. Latente Spannungen gab es auch deshalb, weil der Macho Berlusconi nie wirklich akzeptierte, dass nun erstmals eine Frau die erste Geige spielt. (Dominik Straub aus Rom, 13.6.2023)