Aufwärmübung einmal anders: Clemens Kaudela macht sich in Utah mit dem extremen Terrain der Rampage vertraut.
Logan Gallagher

Die schiere Dimension von "The Minister" ist kaum zu fassen. 16,5 Meter vertikale Distanz, das entspricht einem fünfstöckigen Haus. 24,8 Meter in der Horizontalen, das ist etwas länger als ein Tennisplatz. Und 30 Meter Diagonale zwischen Absprung und Landung. Es ist einer der größten Sprünge, die je auf einem Mountainbike vollführt wurden. "Zumindest konnten wir keinen größeren finden", sagt der Profi-Freerider Clemens Kaudela, der dieses Monster kürzlich in Utah bezwungen hat.

The Minister feat. Clemens Kaudela PROPAIN Bicycles
PROPAIN Bicycles

Am Donnerstagabend, 18 Uhr, wird der Videobeweis dieses Rekordsprungs auf der Seite seines Bikesponsors Propain online gehen. Es ist zugleich Kaudelas Bewerbung für die diesjährige Rampage – den extremsten Wettbewerb für Freeride-Mountainbiker. Der 32-Jährige will im Oktober als erster Österreicher an den Start gehen. Nur 20 ausgewählte Fahrer erhalten eine Einladung. Wer dabei sein will, muss sich mittels Video bewerben.

Nächster Star aus Österreich

In der Bikeszene ist Kaudela längst ein international bekannter Star. Nur hierzulande fristet er als Sportler dasselbe Nischendasein wie Fabio Wibmer, Valentina Höll und Andreas Kolb – die beiden Letzteren sind dieses Wochenende als Mitfavoriten beim Downhill-Weltcup in Leogang zu sehen. Österreich ist eine Macht im Gravity-Bikesport, nur weiß das im Land, das Mountainbiken im Wald nach wie vor verbietet, kaum jemand. Kaudela kann es egal sein, denn seine treue Fangemeinde feiert ihr Idol auf Social Media.

Kaudelas Arbeitsgerät: Propain Spindrift mit Doppelbrückengabel.
Lorenz Globits

Begonnen hat die Radlkarriere des Niederösterreichers am 4. Mai 2002 in Wien. Der elfjährige Kaudela fuhr sein erstes Mountainbikerennen: "Mein Papa hatte mir versprochen, dass ich ein neues Radl kriege, wenn ich unter die ersten drei komme." Kaudela wurde Zweiter und erhielt sein erstes Fully. Aber bald wurden ihm die Hügel im heimatlichen Weinviertel damit zu langweilig: "Dass ich hier mangels Höhenmetern kein Downhiller werde, war mir schnell klar." Also sattelte er um auf Slopestyle und landete beim Freeriden.

Heute gleicht sein Garten in Unterstinkenbrunn einem Minibikepark. Dort trainierte er auch während der Pandemie fast täglich seine Sprünge, immer mit dem großen Ziel, es zur Rampage zu schaffen. Der Freeride-Bewerb genießt Kultstatus und wurde 2001 von Red Bull ins Leben gerufen. Das Format ist einfach und einzigartig: Die Fahrer bringen jeweils zwei Freunde mit, die ihnen fünf Tage lang dabei helfen, einen Trail auf einem extrem steilen Berg in Virgin, Utah, zu bauen. Am Ende muss jeder Starter seine selbstgebaute Strecke möglichst spektakulär befahren und erhält dafür Punkte.

Vom Builder zum Starter

Kaudela war bereits zweimal als Builder, also als einer dieser zwei Freunde, für den polnischen Freerider Szymon Godziek mit dabei. Heuer will er selbst an den Start gehen. Neben seiner Profession als Freerider ist Kaudela hauptberuflicher Traildesigner und -bauer. Er bringt also die besten Voraussetzungen mit. Wird er eingeladen, erhält er 7500 Euro Startgeld vom Veranstalter. Damit muss er alle Kosten wie Reise und Aufenthalt seines Teams bezahlen. "Das reicht natürlich nicht, ohne meine Sponsoren wäre es daher gar nicht möglich, teilzunehmen", sagt Kaudela.

Die Umwegrentabilität der Rampage besteht in der weltweiten Aufmerksamkeit, die Athleten dort erhalten. Dem Sieger winkt zudem ein sechsstelliger Betrag. Doch das Risiko fährt immer mit, es gibt regelmäßig schwere Stürze und Verletzungen. Kaudela ist sich dessen bewusst: "In meiner Karriere hatte ich erst einmal einen Knochenbruch, ich weiß sehr gut, wo meine Grenzen liegen, und gehe nur selten ganz ans Limit."

"The Minister" war so ein Moment am Limit. Die Rampage wäre eine ganze Fahrt am Limit. "Nach fünf Tagen Schwerstarbeit am Trail musst du in nur einem Lauf alles geben können", beschreibt Kaudela die Herausforderung. Ob seine Bewerbung erfolgreich ist, entscheidet sich bis Anfang August. Seiner Bekanntheit als Freeride-Star wird das Video in jedem Fall nutzen. (Steffen Kanduth, 15.6.2023)