Trägerrakete Ariane 5 in Kourou in Französisch-Guayana
Die Trägerrakete Ariane 5 vor ihrem Start zur letzten Mission. Nach 27 Jahren im Einsatz hat sie nun ausgedient. Mit dem Nachfolgemodell Ariane 6 gibt es Probleme.
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Europa verstand sich einmal als eine "Weltraummacht", wie EU-Industriekommissar Thierry Bréton gerne sagte. Zu verdanken hat es das seinen Trägerraketen, die von Kourou im äquatornahen Überseegebiet Französisch-Guayana aus starten. Ariane 5 hatte den Abschuss von Satelliten in den letzten 27 Jahren weltweit dominiert – sie war einfach solider und sicherer als die Konkurrenz der USA, Russlands, Chinas oder Indiens.

Freitag startet das letzte Exemplar der fünften Generation mit einem deutschen Kommunikations- und einem französischen Überwachungssatelliten an Bord. Danach wird in Kourou für wohl mindestens ein Jahr Ruhe einkehren. So banal – andere sagen: katastrophal – es klingt: Die Nachfolgerin Ariane 6 ist nicht bereit.

Das von Airbus und dem französischen Triebwerkbauer Safran völlig neu entwickelte Ungetüm von 63 Meter Höhe soll bis zu elf Tonnen in den geostationären Orbit hieven – ein Elefant im Kosmos. Doch in der Montagehalle von Les Mureaux westlich von Paris stehen die Fließbänder still. Heißlauftests haben noch nicht stattgefunden. Wobei das Problem nicht einmal technischer Natur ist: Der frühere Arianespace-Vorsteher Frédéric d'Allest macht "schwere strategische Fehler" für den Verzug verantwortlich. Er und andere namhafte Spezialisten zogen schon vor mehr als zehn Jahren die Alarmglocke: Die Dominanz von Ariane im Satellitengeschäft werde durch neue US-Anbieter wie Space X "bedroht".

Wertvolle Zeit verschlafen

Im Élyséepalast, wo die europäische Raumfahrtpolitik faktisch zusammenläuft, verschliefen die Präsidenten Nicolas Sarkozy, François Hollande und zuletzt auch Emmanuel Macron aber die Entwicklung. Ariane hat deshalb laut Ingenieuren einen ungefähr zehnjährigen Rückstand auf die Marktentwicklung eingefahren. Denn der Trend geht heute klar auf die Mikrosatelliten, die es zum Beispiel ermöglichen, den Planeten mit flächendeckendem Internet zu überziehen. Laut einer Studie des tonangebenden Branchenkabinetts Euroconsult werden bis 2031 nicht weniger als 18.500 Minisatelliten (mit jeweils weniger als 500 Kilo) im Orbit platziert werden. Ariane 6 setzt dagegen auf immer schwerere Himmelskörper von mehren Tonnen Gewicht.

Schuld sind letztlich die komplexen, schlecht abgestimmten industriepolitischen und bürokratischen Abläufe zwischen den europäischen Partnern. Der Start der ersten Ariane 6 in Kourou war ursprünglich für Juli 2020 programmiert gewesen. Seither wird er ständig aufgeschoben. Jetzt schätzen die unabhängige Experten, dass es Mitte 2024 so weit sein wird. Ariane Group will sich nicht einmal mehr festlegen.

Ein noch krasserer Fehler war es, das Programm der Ariane 5 einzustellen, noch bevor der Ersatz durch Ariane 6 gesichert war. Kein Vergleich zu früher: Als die Ariane 5 im Jahr 1996 erstmals startklar war, gab es noch eine Reserve von 58 Ariane-4-Raketen. Jetzt haben die schlauen Planer in Kourou keine einzige Ariane 5 mehr auf Lager. Die Weltraummacht pausiert.

Rochade im Stillen

Der bisherige Arianespace-Vorsteher, der Franzose André-Hubert Roussel, ist im April in aller Stille ersetzt worden. Doch der Schaden ist nicht wiedergutzumachen: Laut dem Vorsteher der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, dem Österreicher Josef Aschbacher, droht Europa für gut ein Jahr seine "Raumfahrtsouveränität zu verlieren". Konkret muss die ESA beim US-Konkurrenten Space X von Elon Musk anklopfen, um eine Sonde und ein Teleskop ins All zu verfrachten. "Eine Erniedrigung", befindet das Pariser Blatt "Le Monde".

Space X  von Elon Musk in Cape Canaveral
Das Konkurrenzunternehmen Space X von Elon Musk könnte von den europäischen Kalamitäten profitieren.
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Diese Wissenschaftsmission der ESA ist längst nicht allein betroffen. Das Auftragsheft der Ariane 6 war bisher auf drei Jahre gefüllt mit Aufträgen von Satellitenbetreibern. Doch werden sie der europäischen Trägerrakete treu bleiben, wenn noch nicht mal ein Zeitplan für die Inbetriebnahme besteht? Musks Superrakete Falcon 9 ist, da wieder verwendbar, zudem viel günstiger. Wer in den vergangenen Jahren Fabrikbesuche in Les Mureaux absolvierte, staunte, wie abschätzig europäische Ingenieure über die Technologie der Wiederverwendung sprachen.

Jetzt fragen sie sich panikartig, ob die zukünftige Ariane 7 vielleicht die gleiche Technologie anwenden sollte. Nur: Die Ariane 7 besteht noch nicht einmal auf dem Papier. Dabei hat die einst führende Ariane-Serie kommerziell schon heute einen Rückstand: Während die Amerikaner, Chinesen und Russen im vergangenen Jahr über 150 kommerzielle Raketenstarts verzeichneten, kam die Weltraummacht Europa nur noch auf deren fünf. Der Absturz der Kleinrakete Vega C Ende 2022 warf die Europäer im Bereich der leichten Satelliten zusätzlich zurück.

Unterschiedliche Vorstellungen

Verständlich, dass in der europäischen Raumfahrt dicke Luft herrscht. Vor allem Berlin und Paris driften in strategischen Fragen auseinander. Süddeutsche Start-ups warten nicht länger, bis sich die schwerfällige, politisch gelenkte Ariane Group aufrafft, in das lukrative Geschäft mit den Minisatelliten einzusteigen. Die bayrische Firma Isar Aerospace will Ende 2023 in Norwegen erstmals ihre tausend Kilo schwere Kleinstrakete Spectrum testen. Ähnlich weit ist die Rocket Factory Augsburg. Hy Impulse in der Nähe von Stuttgart will 2024 folgen.

In Paris wirft man Deutschland vor, es wende sich von Ariane ab und verzettle sich mit seinen Kräften. Berlin kontert, der deutsche Beitrag für ESA bleibe gleich, auch wenn man daneben in Start-ups investiere. Das tut auch die EU-Kommission: Sie fördert europaweit junge, dynamische Unternehmen aus dem Bereich "New Space". Ariane gilt dagegen in der Branche als "Old Space"

Die französisch gesteuerte Ariane Group strebt, wie sie diese Woche verlauten ließ, nun selber Allianzen mit Start-ups an. Darunter sind laut Mitteilung keine deutschen, sondern je ein britisches, spanisches und französisches Unternehmen. Niemand würde es offen sagen, doch die Rückschläge mit Ariane sorgen zwischen den beiden wichtigsten Ariane-Partnern Deutschland und Frankreich für zunehmende Spannungen. Schon deshalb muss Ariane-Group alles daran setzen, um die Superrakete Ariane 6 möglichst schnell startklar zu machen. (Stefan Brändle aus Paris, 16.6.2023)