Serbiens Präsident Aleksandar Vučić strebt offenbar eine Teilung des Kosovo an.
Serbiens Präsident Aleksandar Vučić strebt offenbar eine Teilung des Kosovo an.
AP / Boris Grdanoski

Tag für Tag häufen sich die Provokationen, die Situation zwischen Serbien und Kosovo spitzt sich zu. Die Lage wird immer gefährlicher. Am Mittwoch wurde bekannt, dass serbische Polizisten drei kosovarische Polizisten festgenommen haben. Die Behörden von Serbien behaupten, die Kosovaren hätten sich jenseits der Grenzlinie, also auf serbischem Territorium, befunden. Die kosovarischen Behörden behaupten, die kosovarischen Polizisten seien von den serbischen Polizisten entführt worden.

Jedenfalls wurden Bilder veröffentlicht, die zeigen, wie die kosovarische Polizisten in einer demütigenden Form – mit verbundenen Augen – abgeführt werden. Der Kosovo hat nun verboten, dass Autos mit serbischen Kennzeichen in den Kosovo hineinfahren und dass Waren aus Serbien ins Land kommen. Den Bürgerinnen und Bürgern wird geraten, nicht über Serbien in den Kosovo einzureisen. Die Nato-geführten Kosovo Forces (Kfor) sind in der zugespitzten Lage auch mit den serbischen Behörden in Kontakt.

Angriffe auf die Kfor

Seit Monaten bereits gibt es immer wieder Eskalationen zwischen der serbischen und der kosovarischen Politik. Zuletzt hatten militante serbische Aktivisten, Kriminelle und Leute aus der serbischen Geheimpolizei Nato-Soldaten der Kfor im Norden des Kosovo angegriffen und sie teilweise mit Brandbomben schwer verletzt. Diese militanten Aktivisten stehen unter der Kontrolle des serbischen Regimes unter dem autokratisch regierenden Präsidenten Aleksandar Vučić. Zuvor war es zu Protesten von Serben im Kosovo gekommen, weil diese dagegen waren, dass vier albanische Bürgermeister in den mehrheitlich serbischen Gemeinden im Norden des Kosovo ihre Ämter übernehmen. Diese waren aber im April nur deshalb zu Bürgermeistern gewählt worden, weil die allermeisten Serbinnen und Serben auf Geheiß der Partei Srpska Lista, die unter der Kontrolle von Vučić steht, die Wahl boykottiert hatten.

Die westlichen Botschafter hatten die Wahl zwar unterstützt und sie auch anerkannt, doch einen Tag bevor die albanischen Bürgermeister ihr Amt antreten sollten, verlangten die US-Vertreter plötzlich, dass diese nicht in ihre Büros in den Gemeindeämtern gehen sollten. Die kosovarischen Behörden aber wollten zu diesem späten Zeitpunkt nicht mehr zurückrudern, weil bereits alles vorbereitet war. Die albanischen Bürgermeister bezogen also Ende Mai ihre Büros. Serbinnen und Serben protestierten dagegen. Sie sehen vor allem den Umstand, dass die kosovarische Sonderpolizei Rosu die Bürgermeister begleitete, als Bedrohung.

Am 29. Mai mischten sich dann Kriminelle unter die Demonstranten und griffen die Kfor an. Die Kfor wiederum beschützt nun im Norden die Rosu und die Gemeindeämter. Mittlerweile ist aber nur mehr einer der vier albanischen Bürgermeister in seinem Büro, die anderen Gemeindeämter sind leer. Trotzdem verlangen die USA und die EU, dass die albanischen Bürgermeister die Gemeindeämter nicht mehr betreten und dass die Rosu den Norden verlässt.

Kalte Schulter für Verbündeten

Die kosovarische Regierung will dem Druck der westlichen Botschaften aber nicht nachgeben, weil sie zeigen will, dass auch der Norden des Kosovo zum kosovarischen Staatsgebiet gehört. Genau das wird aber durch die Zurufe westlicher Botschafter weiter infrage gestellt. Sie verlangen ja, dass die kosovarische Polizei abzieht. Insbesondere die US-Vertreter auf dem Balkan, etwa der US-Botschafter in Serbien, Christopher Hill, stellen sich seit Monaten hinter Vučić und kritisieren den kosovarischen Premier Albin Kurti. Die USA lassen damit einen ihrer wichtigsten demokratischen Verbündeten in der Region, das wohl proamerikanischste Land der Welt, den Kosovo, im Stich und stützen das autokratisch regierte, prorussische Regime von Vučić.

Im Kosovo sorgt das für Schockwellen. Seit Monaten bereits rätselt man auf dem gesamten Balkan, weshalb die USA ihre Politik dort völlig verändert haben. Offensichtlich sind Fragen der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für Washington nicht mehr wichtig. Offiziell heißt es, dass die USA versuchen wollen, Serbien aus der russischen Umarmung zu befreien, und dass man deshalb Vučić und sein Regime stützt. Doch offenbar gelingt dies überhaupt nicht. Erst diese Woche besuchte Vučić anlässlich des "Russland-Tags" die russische Botschaft in Belgrad. Der von Moskau in seinem Amt unterstützte Chef des serbischen Geheimdiensts, Aleksandar Vulin, nahm kürzlich an der internationalen Sicherheitskonferenz in Moskau teil. Serbien hat erst im Vorjahr, nach Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine, einen Vertrag mit Russland zur Koordinierung der Außenpolitik geschlossen und unterstützt trotz seiner Verpflichtung als EU-Kandidatenstaat nicht die Sanktionen gegen den Kreml.

Die Appeasement-Politik des Westens gegenüber Serbien und der gleichzeitig steigende Druck auf die kosovarische Regierung – die EU will sogar Maßnahmen gegen die Regierung von Kurti einführen – haben bislang jedenfalls nicht dazu geführt, dass Serbien sich mehr dem Westen angenähert hat. Es gibt auch Stimmen, die meinen, dass es bei der völligen Umkehr der US-Politik um etwas anderes gehe: nämlich um die Teilung des Kosovo.

Gefährliche Teilungsideen

Demnach könnte Vučić versuchen, den Norden des Kosovo zu destabilisieren, um eine Teilung herbeizuführen. Vučić hat sich bereits vor Jahren immer wieder für einen Gebietstausch eingesetzt. Demnach soll der Norden des Kosovo zu Serbien kommen und Dörfer im Preševo-Tal, wo viele Albaner leben, zum Kosovo. Dieses Unterfangen wurde auch von zahlreichen amerikanischen und europäischen Politikern und Diplomaten unterstützt. Die damalige deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat es letztendlich verhindert. Denn eine Grenzziehung nach ethnischen Kriterien würde sofort in anderen Staaten, insbesondere in multinationalen Staaten wie Bosnien-Herzegowina, in Nordmazedonien, aber auch in Montenegro, zu schweren Spannungen führen und den Frieden und die Stabilität der gesamten Region gefährden. Doch man darf nicht unterschätzen, wie viel Geld seit Jahren aus Serbien in Lobbyistengruppen im Westen fließt, um dieses Ziel doch noch zu erreichen. Insbesondere in Washington hat das serbische Regime sein Lobbying verstärkt.

Gleichzeitig ist Vučić eine Allianz mit dem ebenfalls immer autokratischer agierenden Premier von Albanien, Edi Rama, eingegangen. Beide Regierungen nehmen den Kosovo in die Zange. Vučić unterfüttert seine Strategie dabei mit entsprechend starker Rhetorik. Er behauptet seit Monaten, dass den Serben und Serbinnen im Norden des Kosovo Gewalt angetan werde. In Vučić-nahen Medien werden gleichzeitig Albaner rassistisch beschimpft.

Die kosovarische Außenministerin Donika Gërvalla-Schwarz sagte nun, dass Vučić die Eskalation in der gesamten Region nicht stoppen werde, wenn die Nato dies nicht verhindere. Doch die USA und die EU stellen sich weiter hinter Vučić und behaupten, die kosovarische Regierung sei schuld an der Eskalation. Der kosovarische Vizeministerpräsident Besnik Bislimi sagte, die Unhöflichkeit, mit der Serbien gegen Vereinbarungen verstoße, sei vergleichbar mit dem Willen Brüssels, "die Augen vor diesen Verstößen zu verschließen".

Umarmung von Autokraten

Der US-Außenpolitikexperte Edward P. Joseph von der Johns Hopkins University School twitterte jüngst, dass US-Außenminister Anthony Blinken sich entscheiden müsse, "ob die Unruhen in der Region und der Schaden für die Glaubwürdigkeit der USA es wert sind, dass man einen serbischen Autokraten überstürzt umarmt". Man müsse "die demokratischen Werte wieder in den Mittelpunkt der US-Politik stellen".

In Serbien selbst finden seit Wochen Demonstrationen gegen die herrschenden Verhältnisse statt. Bürgerinnen und Bürger protestieren gegen eine Kultur der Gewalt, die auch vom Regime von Vučić gefördert werde. Von den Regierungen der EU-Staaten ist aber keinerlei Unterstützung für diese Rufe nach mehr Demokratie vernehmbar. (Adelheid Wölfl, 16.6.2023)