Bildcollage: Mohammed bin Salman mit seinen sportlichen Investitionen
Mohammed bin Salman hat bereits die Rallye Dakar, Cristiano Ronaldo, Karim Benzema, die Formel 1 und die Asien-Winterspiele 2029 in sein Land geholt. zudem kontrollieren seine Vertrauten den Profi-Golfsport.
Collage: Otto Beigelbeck

Cristiano Ronaldo, Karim Benzema, bald womöglich Neymar. Die prominentesten Neuzugänge der saudi-arabischen Fußballliga lesen sich wie die Einkaufsliste eines offensivbegeisterten 13-Jährigen, dessen Klub auf der Playstation zu viel Geld hat. Die Realität? Nun ja, der Teil mit dem Geld stimmt schon. Ansonsten ist die saudische Shoppingtour aber die beinharte Umsetzung einer Strategie.

Auf den ersten Blick sehen die Investments wie gewöhnliches Sportswashing nach katarischer Blaupause aus: Schaut, eure Sporthelden hüpfen bei uns rum, vergesst doch bitte Hinrichtungen, Repressionen und zersägte Journalisten. Und ja, gewiss will sich Kronprinz Mohammed bin Salman so auch einen gepolsterten Platz im globalen Wohnzimmer erkaufen. Aber es geht nicht nur darum.

"Wirtschaft ist der treibende Faktor der ganzen Strategie. Das Zauberwort heißt Diversifizierung", sagt Sebastian Sons, der zur Sportpolitik der Golfstaaten forscht, dem STANDARD. Der Staat habe begriffen, dass er nicht für immer vom Öl leben könne, zudem gehe es auch um die Schaffung von Arbeitsplätzen. Außerdem seien die Investitionen laut Sons "ein Versuch, sich in der arabischen Welt als Supermacht im Sport zu etablieren und die Konkurrenz aus Katar und den Emiraten zu überflügeln". Damit wolle man auch zeigen, dass man über den Sport hinaus eine politische Führungsmacht sei.

Golf am Golf

Vor allem im Motor- und im Kampfsport ist Saudi-Arabien als Gastgeber bestens etabliert, den Zuschlag für die Asien-Winterspiele 2029 und die Asienspiele 2034 hat das Königreich bereits in der Tasche. Der größte bisherige Wurf war die feindliche Übernahme des Golfsports. 2022 lockte man zahlreiche Stars mit ausufernden Preisgeldern – 255 Millionen US-Dollar in der ersten Saison – zu der selbst gegründeten LIV Tour, Anfang Juni fusionierte diese mit dem bisherigen Platzhirsch, der PGA Tour. Das Sagen haben nun die Saudis. US-Senatoren fordern deshalb vom Justizministerium eine Untersuchung der Vorgänge.

Golf, schnelle Autos und gepflegte Schlägereien mögen am Golf beliebt sein, aber seit vergangenem Jahr nimmt der Ölstaat den größten Skalp ins Visier: König Fußball. Es ist nicht das erste Mal, dass Saudi-Arabien den beliebtesten Sport der Welt kapern will. Mehrere Quellen bestätigten dem britischen Independent, dass das Geld für den Versuch von Fußballweltverband-Präsident Gianni Infantino, der Champions League mit einer aufgeblasenen Version der Klub-WM den Rang abzulaufen, aus der Wüste kam. Auch die Anschubfinanzierung für die gescheiterte Super League sollen die Saudis gesponsert haben. Der Widerstand der Fans zwang die damaligen Handlanger zum Einlenken.

Juristenprofis

Der neue Versuch fährt mehrgleisig. Die Ausrichtung des italienischen und spanischen Supercups waren der Anfang, die Übernahme des Premier-League-Klubs Newcastle United benötigte schon gröbere Hirnakrobatik: Da die Ligastatuten keinen Kauf durch einen Staat erlauben, übernahm der saudische Public Investment Fund (PIF) 80 Prozent der Klubanteile. Dessen Vorsitzender? Mohammed bin Salman. Aber keine Sorge, der PIF versicherte, nicht vom Staat kontrolliert zu werden. Dass ebendieser PIF in einer Gerichtsverhandlung in den USA einst zu Protokoll gab, ein "souveränes Instrument des Königreichs Saudi-Arabien" zu sein – geschenkt. Wo ein Geldbörserl, da ein Weg.

Das neueste Projekt: Die heimische Liga soll zum prestigeträchtigen Spektakel werden. Auftritt Karim Benzema. Der Mann ist ein hervorragender Kicker, in 14 Jahren hat der Stürmer für Real Madrid 238 Tore geschossen. Vor acht Monaten bekam Benzema den Ballon d’Or für den besten Fußballer der Welt. Vor zwei Wochen unterschrieb er beim saudischen Meister Al-Ittihad. Nach eigener Aussage, weil er einmal in einem muslimischen Land leben wollte. Aber auch das Gehalt könnte eine winzige Rolle gespielt haben. Pro Jahr soll es je nach Quelle zwischen 50 und 200 Millionen Euro betragen. Das ist selbst für die Verhältnisse des modernen Fußballs unmoralisch. Zum Vergleich: Die Kicker von Premier-League-Vizemeister Arsenal kassierten vergangene Saison 120 Millionen Euro – insgesamt.

Die aktuelle Ausgabeneskalation hat auch Wladimir Putin ermöglicht. Als er Panzer in die Ukraine schickte und Europa mit der Verknappung von Gaslieferungen in die Knie zwingen wollte, rieben sich die Energiekonzerne auf der arabischen Halbinsel die Hände – allen voran Saudi Aramco. Die größte Erdölfördergesellschaft der Welt gehört großteils dem saudischen Staat, 2022 verzeichnete sie einen Rekordgewinn von 151 Milliarden Euro. Betonung: Gewinn, nicht Umsatz.

Das saudische Geflecht aus Staat, Unternehmen, Fonds und Beteiligungen ist ein kompliziertes Konstrukt mit unkomplizierten Entscheidungswegen. Was ein Teil einnimmt, kann ein anderer ausgeben, wenn der Kronprinz dies wünscht. Und nun, nach wirtschaftlich durchaus kritischen Jahren samt neuen Steuern und der Veräußerung von 1,5 Prozent der Anteile an Aramco, leitet MbS die Milliarden direkt ins Projekt Fußball um.

Jedem Klub sein Star

Im Winter ließ sich Cristiano Ronaldo als erster Topstar von einem 200-Millionen-Euro-Jahressalär nach Riad locken, nach Benzema dürften nun auch N’Golo Kanté oder Pierre-Emerick Aubameyang wechseln. Angelockt von öligen Zigfantastrillionarden pfeifen sie auf die Champions League.

Die Shoppingtour ist eiskalt kalkuliert. Mit dem Projekt vertraute Personen berichten, dass künftig 20 Stars in der saudischen Liga kicken sollen, je drei davon bei Al-Hilal, Al-Nassr, Al-Ittihad und Al-Ahli. Dieses Quartett wurde von den Architekten als "Big Four" auserkoren, weil eine populäre Liga so etwas angeblich braucht, und vom PIF übernommen. Acht andere Klubs sollen je einen Star bekommen. Die saudische Liga soll so internationalen Rang erlangen und ihre regionale Vormachtstellung festigen. "Es ist sicher ein Ziel, die Beliebtheit des Landes über den Fußball zu erhöhen, beispielsweise in traditionellen Fußballländern wie Ägypten und dem Irak", sagt Sons.

Fußball kann durchaus eine gute Investition sein – aber auch eine Geldverbrennungsmaschine. Bewirft man Kickersenioren ohne Weiterverkaufswert mit einem Vielfachen ihrer bisherigen Gehälter, ist es eher Letzteres. Das Wirtschaftsforschungsunternehmen Capital Economics schrieb nach Benzemas Vertragsunterzeichnung bereits, der Kaufrausch verursache Bedenken.

Begeisterung

Die Investitionen fallen auf fruchtbaren Boden, Fußball hat in dem riesigen Wüstenstaat Tradition und Anhängerschaft. Und Ronaldo und Co sind freilich noch nicht das Endgame. Dieses heißt, und da sind wir wieder beim Sportswashing: WM 2030. Schon bei der WM in Katar erzählten viele, der Zirkus ziehe weiter, das Geld sei jetzt im Hause Saud zu holen. Die nötigen Samen sind längst gesät. Die saudische Elite hat beste Beziehungen zu Fifa-Boss Infantino, Griechenland und Ägypten sollen als Junior-Partner der Bewerbung die Stimmen Europas und Afrikas sichern – und dafür laut Politico Prunkstadien bekommen. "Saudi-Arabien will sich so als afro-eurasische Drehscheibe etablieren – als Zentrum einer neuen Weltordnung", sagt Wirtschaftsprofessor Simon Chadwick.

Dass eine verheerende Menschenrechtslage kein Hindernis für eine WM-Ausrichtung ist, hat Katar bewiesen. Saudi-Arabien unterbietet seinen kleinen Nachbarn laut Menschenrechtsorganisationen diesbezüglich, Amnesty International kritisiert neben fehlenden Rechten für Frauen und Gastarbeiter auch Hinrichtungen nach "extrem unfairen Verhandlungen". Ein STANDARD-Lokalaugenschein im vergangenen November war zu kurz, um diesbezüglich größere Erkenntnisse zu liefern. Nur so viel sei gesagt: Dermaßen gebrochen und traurig dreinblickende Arbeiter wie an einem Nachmittag im saudischen Königreich gab es nicht einmal in Katar zu sehen. Aber ja: Auftritt Karim Benzema. (Text: Martin Schauhuber, Grafiken: Michael Matzenberger, 17.6.2023)