Johannes Dieterich aus Johannesburg

Unter einem guten Stern scheint Afrikas Friedensinitiative in der Ukraine nicht zu stehen. Das Sicherheitspersonal des südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa sah sich auf dem Warschauer Flughafen über einen Tag lang im Flugzeug festgesetzt: Der Personenschutz des Leiters der afrikanischen Delegation habe nicht die erforderlichen Papiere für ihre Waffen vorgelegt, so die polnische Polizei.

Kurz vor der Reise hatten vier der sieben afrikanischen Staatschefs ihre Teilnahme gleich wieder abgesagt: Ugandas Präsident Yoweri Museveni wegen einer Covid-Erkrankung, Ägyptens Abdel Fattah al-Sisi ohne Nennung von Gründen, den Präsidenten der Republik Kongo und der Komoren, Denis Sassou-Nguesso und Azali Assoumani, muss die Mission dann doch zu gefährlich vorgekommen sein. Die verbliebenen drei Präsidenten – außer Ramaphosa die Staatschefs von Senegal und Sambia, Macky Sall und Hakainde Hichilema – wurden bei ihrer Ankunft am Freitag in Kiew von Sirenengeheul begrüßt: Russland feuerte zwölf Raketen auf die ukrainische Hauptstadt ab – die afrikanischen Gäste mussten in den Luftschutzkeller eines Hotels abtauchen.

Zweiter Halt Sankt Petersburg

Ob der Raketenbeschuss aus Versehen oder mit Absicht zustande kam, wird die Friedensdelegation frühestens am Samstag erfahren: Wenn sie nach ihrem Besuch in Kiew am Samstag zum Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nach Sankt Petersburg reist – falls ihr Unternehmen ab jetzt unter einem besseren Stern steht.

Schon im Vorfeld war die afrikanische Friedensmission auf Kritik und sogar Spott gestoßen – nicht zuletzt wegen ihres umstrittenen Zeitpunkts. Vor wenigen Tagen starteten die ukrainischen Streitkräfte ihre Sommeroffensive: Ein denkbar schlechter Zeitpunkt, um über Frieden zu reden. Auch Ramaphosas Eignung als Missionsleiter wurde infrage gestellt: Seine Regierung rückte wegen ihrer engen Beziehungen zu Putins Russland ins Kreuzfeuer der Kritik.

Afrikanische Staatschefs im Sonderzug nach Kiew.
Government Communication and Information Services (GCIS)/Handout via REUTERS

Pretoria nimmt für seine Haltung Neutralität in Anspruch: Doch eine gemeinsame Übung mit der russischen Marine, südafrikanische Waffenlieferungen an den kriegführenden Staat sowie Besuche des südafrikanischen Streitkräftechefs und einer Delegation des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) in Moskau sind mit diesem Anspruch jedoch kaum vereinbar. Inzwischen muss Südafrika mit seinem Ausschluss aus dem US-Freihandelsabkommen Agoa rechnen: Er würde verheerende wirtschaftliche Folgen haben. Womöglich habe diese Aussicht Ramaphosa zum Handeln gezwungen, wird am Kap der Guten Hoffnung geargwöhnt: Er wolle mit der Mission den Wert seines Landes – und des afrikanischen Kontinents – als neutraler Vermittler unterstreichen. Dabei spielt keine Rolle, ob die Initiative zum falschen Zeitpunkt kommt.

Kontinent in Schieflage

Die afrikanische Einmischung in den europäischen Konflikt hat allerdings auch gute Gründe. Den Kontinent traf der vom Krieg ausgelöste Engpass an Getreide und Düngemitteln am härtesten: Fast alle afrikanischen Staaten gerieten dadurch in Schieflage. In vier Wochen läuft die zwischen Russland und den Vereinten Nationen vor einem Jahr getroffene Vereinbarung ab, ukrainischen Getreideexporten die Passage durchs Schwarze Meer zu ermöglichen. Doch Putin drohte jüngst das Ende des Deals an, sollte der Westen seine Sanktionen nicht aufheben. Das Thema soll bei den Gesprächen mit der afrikanischen Friedensdelegation eine zentrale Rolle spielen, heißt es in Moskau.

Als Erfolg kann das afrikanische Trio verbuchen, dass es in Kiew überhaupt empfangen wurde. Neben Südafrika hatte sich auch der Senegal bei allen Verurteilungen des russischen Überfalls in der Vollversammlung der UN enthalten. Kiew veranlasste, dass die Delegation nach ihrer Ankunft zunächst den Schreckensort Butscha außerhalb Kiews aufsuchte: Zu einer Verurteilung russischer Kriegsverbrechen ließ sich Ramaphosa aber auch dort nicht bewegen.

Über inhaltliche Details der afrikanischen Initiative wurde bislang wenig bekannt. Reuters will erfahren haben, dass es zunächst vor allem um "vertrauensbildende Maßnahmen" gehen solle – etwa einen Gefangenenaustausch und die Fortführung des Getreideabkommens. Daraufhin könne über einen Teilrückzug der russischen Streitkräfte sowie den Abzug der taktischen Atomwaffen aus Belarus gesprochen werden – im Austausch gegen eine Aufhebung der Sanktionen und die Aussetzung der Anklage Putins wegen Kriegsverbrechen beim Haager Strafgerichtshof. Auf diese Weise soll eine Atmosphäre geschaffen werden, die für eigentliche Gespräche über einen Waffenstillstand notwendig sei, heißt es.

Kiew machte beim Besuch der afrikanischen Vermittler deutlich, dass es ohne Rückzug der russischen Streitkräfte aus allen besetzten Gebieten einschließlich der Krim keine Waffenruhe geben wird. Vor diesem Hintergrund befürchtet der Afrika-Direktor der Internationalen Krisengruppe, Murithi Mutiga, dass aus der Mission der Friedensboten nicht mehr als ein Fototermin werden wird – falls überhaupt jemand Fotos aufnimmt. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 16.6.2023)