Womit werden Pkws, Lkws und Busse in Zukunft angetrieben? In Österreich bekam die Debatte Auftrieb, nachdem Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) zu einem Wasserstoffgipfel geladen hatte. Wie die Wirtschaftskammer pocht der Kanzler darauf, dass nicht ausgemacht sei, dass die Antriebstechnologie der Zukunft der batterieelektrische Motor ist – der Staat müsse technologieoffen agieren. Aber was sagen Unternehmer dazu?

STANDARD: Was ist die Antriebskraft der Zukunft aus Sicht eines Konzerns wie MAN?

Vlaskamp: Wir werden dafür sorgen, dass wir binnen der nächsten zehn bis 15 Jahre Menschen sowohl in der Stadt als auch überland CO2-neutral transportieren. Das Gleiche gilt für Güter und damit einen Großteil der Lkws in der Logistikbranche.

MAN-Chef Alexander Vlaskamp: Der Zug in Richtung Elektrifizierung ist abgefahren.
IMAGO/Sven Simon

STANDARD: Das ist eine große Ankündigung. Wie weit ist der Konzern?

Vlaskamp: Starten wir mit den Stadtbussen. 2012 haben wir begonnen, hybride Fahrzeuge zum Einsatz zu bringen. Seit 2020 fertigen wir rein elektrische Stadtbusse an. Durch die Pandemie ist die Zahl der neuen Ausschreibungen zurückgegangen. Inzwischen ist das Interesse aber wieder da: Das Wachstum auf diesem Markt ist exponentiell. In den vergangenen drei Jahren haben wir 450 elektrische Stadtbusse in Europa ausgeliefert. Allein heuer werden wir 900 weitere produzieren. Derzeit ist in Europa ein Drittel der neu zugelassenen Busse elektrisch – das sind 1100 bis 1200 Fahrzeuge. In den neuen Ausschreibungen liegt der Anteil elektrischer Fahrzeuge bei 50 bis 70 Prozent.

STANDARD: Haben diese Busse überhaupt genug Reichweite?

Vlaskamp: Es gibt wenige Städte, in denen man aufgrund der Topografie oder des Klimas die für eine Linienfahrt notwendigen Strecken nicht hinbekommt. Die Reichweite der Elektrobusse beträgt um die 350 bis 400 Kilometer mit einer Ladung, die meisten Busstrecken in Europa sind 200 bis 250 Kilometer lang. Das geht sich gut aus, und zwar sowohl bei unseren kurzen, zehn Meter langen Bussen als auch bei den Zwölf-Meter-Bussen und den 18-Meter-Gelenksbussen.

STANDARD: Wie lange wird es dauern, bis Busse mit Verbrennerantrieb aus den Städten ganz verschwinden?

Vlaskamp: Bis etwa Mitte der 2030er-Jahre. Wir gehen davon aus, dass in Europa ab 2030 auch keine fossil betriebenen Busse mehr zugelassen werden. So ist das in der EU aktuell geplant. Nach dem Stadtbus werden wir den Überlandbus elektrifizieren und ihn etwa ab Mitte der Dekade ausliefern. Unmittelbar danach, bis spätestens zu Beginn der 2030er-Jahre, wird auch der Reisebus batterieelektrisch betrieben sein.

STANDARD: Wie sieht es bei Lkws aus?

Vlaskamp: Beim Lkw werden wir zunächst 2024 mit rund 200 Fahrzeugen in der Produktion starten. Dann gehen wir in die Hochskalierung der Serienproduktion bei den batterieelektrischen Lkws. Was bedeutet das? Ab 2025 wollen wir mehrere Tausend elektrische E-Fahrzeuge herstellen. Die Produktion wird an unserem Standort in München stattfinden. Wir investieren zudem rund 100 Millionen Euro in ein Werk in Nürnberg, wo wir die Batterien für Lkws zusammenbauen werden.

Kanzler Karl Nehammer beim Wasserstoffgipfel im Bundeskanzleramt.
Kanzler Karl Nehammer beim Wasserstoffgipfel im Bundeskanzleramt.
APA

STANDARD: Serienproduktion bei den E-Lkws ab 2025, das klingt nicht nach Zukunftsmusik.

Vlaskamp: Nein. Wir haben jetzt schon angefangen, unser Werk in München umzubauen, wo wir künftig die E-Lkws fertigen werden. In Nürnberg, wo wir bisher Verbrennermotoren produzieren, werden wir künftig die Produktion der Batterien ansiedeln. Statt Verbrennermotor, Getriebe oder Treibstofftanks werden wir drei bis sechs Batterien, die jeweils mehrere Hundert Kilo wiegen, in den Lkws verbauen – je nach Konfiguration. Die Lkws sind nicht alle gleich. Einer bringt dem Supermarkt Vorräte, die gekühlt werden müssen. Das heißt, auch der Strom für das Kühlaggregat muss von der Batterie kommen. Das Müllfahrzeug braucht Hydraulikkraft, um die Müllpresse zu bedienen. Auch die kommt aus der Batterie. Bis zum Ende des Jahrzehnts planen wir mit einer Kapazität von 100.000 Batterien in Nürnberg. Mit denen können wir etwa 20.000 bis 25.000 Lkws bestücken. Damit bereiten wir uns darauf vor, zwischen 30 und 50 Prozent der Lkws, die wir in Europa absetzen, zu elektrifizieren.

STANDARD: Ist es die Nachfrage am Markt, die das antreibt, oder die Vorgaben der EU?

Vlaskamp: Beides. Das Emissionshandelsgesetz in der Union wird ab 2027 vorschreiben, dass auch CO2, das über Transport emittiert wird, verteuert wird. Also wenn zum Beispiel eine Supermarktkette einen Transporteur mit Lieferungen beauftragt, muss der Supermarkt entweder nachweisen, dass er CO2-neutrale Transporte durchführen lässt, oder das CO2 über Zertifikate bezahlen. Das treibt das Interesse. Unsere Kunden haben allerdings auch selbst einen Anspruch, CO2-neutral zu werden, um ebenfalls die Pariser Klimaziele zu erreichen.

STANDARD: Ist der Zug in Richtung E-Mobilität bei Bus und Lkw abgefahren? In Österreich propagiert Kanzler Nehammer Technologieoffenheit, will auch Wasserstoff forcieren.

Vlaskamp: Die E-Mobilität kommt jetzt. Die Technologie ist reif und am effizientesten. 80 oder gar 90 Prozent der Logistik-Lkws werden nach unserer Einschätzung elektrisch angetrieben werden. Dann haben Sie noch einen kleinen Anteil, den wir wahrscheinlich durch Biokraftstoffe abdecken können oder auch durch Wasserstoff: etwa wenn Sie Schwerlast transportieren, z. B. Windräder, mit 150 bis 250 Tonnen Gewicht. Das können Sie auch CO2-neutral machen – aber nicht batterieelektrisch. Wenn Wasserstoff benutzt wird, muss er grün sein. Und wir sehen heute, dass Wasserstoff viel zu teuer ist, nahezu das Vier- bis Fünffache dessen kostet, was für unsere Kunden interessant wäre, es zum Einsatz zu bringen. Daher wird Wasserstoff in Europa nur in einem kleinen Segment, etwa bei Spezialtransporten, zum Einsatz kommen.

STANDARD: Gibt es die Ladekapazitäten für diese Mega-Elektrifizierung? Selbst bei Pkws fehlen ja Stationen.

Vlaskamp: Das ist in der Tat die größte Herausforderung. Die Fahrer in Europa dürfen nur vier Stunden fahren und müssen dann eine 45-minütige Pause einlegen. Innerhalb dieser Zeit können wir die Lkws über Schnellladestationen wieder aufladen. Dafür benötigen wir entlang der Autobahnen, aber auch in den Verteilerzentren und Logistikdepots eine ausreichende Zahl an Ladestationen. Die dafür notwendige Technologie gibt es, Strom ist auch genügend da. Österreich ist prädestiniert, die Logistik batterieelektrisch durchzuführen, weil schon 80 Prozent der Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen kommt. Die Genehmigungsverfahren für Ladestationen dauern aber zu lang.

STANDARD: Welche Investitionen werden da nötig sein?

Vlaskamp: Wir sehen in Europa, dass wir bis 2030 über 20.000 Stationen entlang der Fernstraßen und Autobahnen benötigen, um etwa 30 Prozent des Logistiktransports elektrisch durchzuführen. Das wird mehrere Milliarden Euro kosten. Das Gute an diesen Investitionen ist, dass sie sich langfristig lohnen und wirken. Der Dieselmotor wird immer weiter zurückgedrängt, der elektrische Antrieb wird die primäre Lösung bleiben.

STANDARD: Was bedeutet dieser ganze Umbau eigentlich für die Jobs in der Produktion?

Vlaskamp: Also, wir sehen ungefähr, dass bei einem batterieelektrischen Lkw etwa 30 bis 40 Prozent weniger Aufgaben in der Produktion anfallen, weit weniger Teile benötigt werden. Dementsprechend wird es eine Veränderung in den Arbeitskosten geben. Aber dafür sind die Materialkosten in der Zulieferkette höher. Insgesamt werden daher E-Lkws in der Anschaffung deutlich teurer als heutige Dieselfahrzeuge. Im Betrieb sind sie aber weit günstiger. (András Szigetvari, 18.6.2023)