Das STANDARD-Forum ist ein spannendes Biotop. Am interessantesten zu beobachten ist – aus der Sicht des Autors – dabei die Bildung kleiner, aber hartnäckiger "Interessengemeinschaften". Eine solche gibt es auch in Bezug auf sehr kompakte Smartphones. Diese "Tiny Phone"-Religion – um zumindest so etwas wie eine Benennung zu etablieren – begleitet uns seit über einem Jahrzehnt.

Zum Gründungsmythos der Kompaktmobiltelefonkultisten gehört, dass die Abmessungen des iPhones das Idealmaß aller Dinge darstellen. Gemeint sind dabei freilich nicht die aktuellen Ausgaben von Apples Smartphone, sondern dessen erste Generationen, die allesamt eine Bildschirmdiagonale von 3,5 Zoll mitbrachten. Einhändige Bedienung sei das göttliche Ideal, gospelten die Hohepriester des Jony Ive durch den Kommentar-Äther. Die Toleranz reichte bis etwa 4,5 Zoll, was kurzzeitig auch Sonys Xperia Z Compact-Handys offizielle Segnungen bescherte. Alles darüber wurde als unhandliche Häresie gebrandmarkt. Smartphones mit Displays über fünf Zoll galten als Vorboten der ergonomischen Apokalypse. Hach, die gute alte Zeit!

Verschwunden ist die Kirche der kleinen Handys in den Jahren dazwischen zwar nicht, doch ihre Klagen erschallen nunmehr deutlich leiser in den Hallen des Forums. Denn ihr Gott hat sie verlassen: Sonys Compact-Reihe ist Geschichte. Die kleinste Ausgabe des aktuellen iPhone 14 hat ein 6,1-Zoll-Display. Der letzte Rettungsanker ist das iPhone SE, dessen 2022er-Variante mit 4,7 Zoll daherkommt.

Erhörte Gebete

Doch während man in Cupertino den satanischen Verlockungen großer Bildschirme erliegt, scheint ein anderer Hersteller die Gebete erhört zu haben. Das chinesische Unternehmen Unihertz, das zuletzt noch mit dem Luna einen bunt blinkenden Elektronikziegelstein veröffentlicht hat, bedient auch die Zielgruppe mit sehr kleinen Händen.

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"Jelly Star" heißt die neueste Variante als potenzieller Erlöser für die Tinyphonisten. Derzeit läuft dafür eine Crowdfunding-Kampagne auf Kickstarter, bei der Unterstützer für knapp 160 Euro das Handy im Oktober geliefert bekommen sollen.

Das Jelly Star misst 95,1 x 49,5 x 18,5 Millimeter und wiegt recht leichte 121 Gramm. Damit ist es etwas kürzer und schmaler, jedoch auch etwa 50 Prozent dicker als das iPhone 3G von 2008 und geht sich circa auf der Fläche einer Kreditkarte aus. Es gibt daher kaum eine Hostentasche, in die sich dieses Handy nicht stecken ließe. Die Hardware steckt dabei in einer passabel, aber nicht perfekt verarbeiteten Kunststoffhülle mit merkbar abgerundeten Kanten. Ihre teiltransparente Gestaltung lässt Erinnerungen an die Tamagotchi-Ära wach werden.

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Auf der linken Seite sitzt eine Lautstärkewippe, rechts findet man den Ein/Aus-Schalter sowie eine programmierbare Multifunktionstaste. Darunter sitzen außerdem der für zwei Karten ausgelegte NanoSIM-Einschub und der USB-C-Port, während auf der Unterseite ausschließlich der Lautsprecher zu finden ist. Oben platziert wurden eine 3,5-mm-Klinkenbuchse für Kopfhörer und Lautsprecher sowie ein Infrarottransceiver. Die Rückseite bietet Platz für zwei LED-Streifen, die Kamera sowie einen Fingerabdruckscanner, der leider nicht immer zuverlässig arbeitet.

Passend zum restlichen Retrolook gibt es Bedienelemente unter dem Bildschirm, die sich zusätzlich zur Gestennavigation verwenden lassen. Unihertz betitelt das Handy als das kleinste Smartphone mit Android 13. Zumindest in der großen Handy-Datenbank von GSM Arena tauchte kein Gerät auf, welches diese Angabe widerlegt hätte.

Das Kernstück der Kompaktheit ist freilich der Bildschirm. Auf eine Diagonale von 3,03 Zoll bringt es das verbaute IPS-LCD-Panel, was selbst Apples erste iPhones alt (oder neu?) aussehen lässt. Die Auflösung liegt bei 854 x 480 Pixel. Das sorgt bei diesem Format für ausreichend Schärfe. Die Darstellung kann zwar nicht mit AMOLED-Bildschirmen mithalten, liefert aber dennoch recht kräftige Farben und solide Kontraste, wenn man von den Panel-typischen Schwächen bei der Darstellung schwarzer Flächen absieht.

Auf Extras muss man verzichten. Der Bildschirm läuft mit 60 Hz und bietet keinen HDR-Support. Die maximale Helligkeit beträgt gemessene 450 nits, unter direktem Sonnenlicht wird das Ablesen von Inhalten schwieriger.

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Viel Speicher für den Tiny Phone-Eifer

Unter der Haube werkt Mediateks Helio G99, ein im Vorjahr veröffentlichter Chip der unteren Mittelklasse, der in günstigeren Handys und auch Tablets wie dem Redmi Pad von Xiaomi verbaut ist. Bei der Speicherausstattung hat man sich nicht lumpen lassen. Dem SoC wurden 8 GB RAM (wenn auch eher langsamer LPDDR4X) zur Seite gestellt, dazu gibt es 256 GB an UFS-Onboardspeicher.

Für Drahtlosverbindungen werden Wifi 5 (802.11ac) und LTE genutzt, dazu gibt es Bluetooth 5.2 zum Anschluss von drahtlosem Audioequipment. Ebenfalls an Bord sind NFC und natürlich GPS.

Was kann er nun also, der Heilsbringer der Kompaktheits-Aficionados? Die Performance entspricht der Hardware, sowohl in Benchmarks als auch in der Praxis. Videos schauen, Browsen, Messaging und Casual Games sind kein Problem. Auch Spiele mit anspruchsloserer 3D-Grafik oder mit reduzierten Details laufen flüssig auf diesem Handy. Hier hilft natürlich die relativ niedrige Auflösung, aufgrund derer die Grafikeinheit des Helio G99 mit deutlich geringeren Pixelmengen hantieren muss, als etwa bei einem Gerät mit Full-HD-Auflösung.

Auffällig ist, dass das Handy recht lang zum Starten braucht. Einmal geladen, kommt man aber zackig durch die Systemoberfläche. Als einzige Bloatware-App findet man Zaza Remote, mit der man den Infrarot Transceiver nutzen kann, um das Handy als Fernbedienung zu verwenden.

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Die fragwürdige Segnung der 3 Zoll

Die Systemoberfläche selbst entspricht weitgehend "Vanilla"-Android. Was meistens eine gute Entscheidung ist, hätte beim Jelly Star allerdings Anpassungen vertragen können. Denn die Bedienelemente des Systems skalieren mit der Bildschirmgröße und sind dementsprechend auf dem 3-Zoll-Display oft klein und schwer zu treffen. Das Tippen auf der vorinstallierten Gboard-Tastatur benötigt einige Übung und dürfte so manche "Wurstfinger" selbst bei maximaler Größeneinstellung überfordern. Hier bleibt dann nur noch der Griff zu einer Keyboard-App aus dem Play Store mit extragroßen Tasten.

Neben dem Problem mit kleinen Schaltflächen kommen auch noch visuelle Defizite hinzu. Beim Play Store etwa werden in Suchergebnissen die Namen von Programmen nach ein paar Buchstaben abgeschnitten. Auch in anderen Apps tauchen Probleme dieser Art auf. Das ist nicht verwunderlich, orientieren sich Entwickler doch mittlerweile an Bildschirmdiagonalen jenseits von 5 Zoll. Und daran würde auch eine optimierte Systemoberfläche beim Jelly Star nichts ändern.

An sich ist es recht angenehm, ein Smartphone mit einer Hand bedienen zu können. Bei 3 Zoll relativiert sich dieser Vorteil aber eben sehr schnell durch die Einschränkungen, die ein so kleiner Bildschirm eben mit sich bringt. So wie Menüs und Eingabeelemente heute umgesetzt werden, wäre das übrigens auch auf alten iPhones ein Problem, auch wenn die etwas größere Diagonale selbiges etwas entschärft.

Die Begrenzung auf kleinere Displays war dereinst auch den Leistungslimits von Smartphone-Chips geschuldet, denen man mit niedrigerer Auflösung begegnen musste. Seit aber selbst Low-End-Chipsätze recht problemlos mit 720p und 1080p umgehen können, sind größere Displays, die mehr Inhalte anzeigen können und bessere Menükonzepte umsetzbar machen, der logische nächste Schritt gewesen, begleitet von immer dünneren Rändern.

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Das 3,5-Zoll-Dogma des Tiny-Phone-Kults aus dem STANDARD-Forum war eine Irrlehre. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass manche Smartphones tatsächlich unhandlich riesig sind – hier sei erneut aufs Unihertz Luna verwiesen – oder mit zu glatten Oberflächen bzw. problematischen, gebogenen Seitenkanten auffallen.

Wenig zu sagen gibt es zu den LED-Streifen. Sie werden über ein eigenes Widget gesteuert und können auch komplett deaktiviert werden. Als Taschenlampen-Ersatz oder Blitz mit sanfterer Ausleuchtung sind sie ein nettes Feature. Man kann sie außerdem im Rhythmus von am Handy wiedergegebener Musik, beim Eingehen von Benachrichtigungen oder zur Erinnerung bei niedrigem Akkustand blinken lassen. Alles "nett", aber von begrenztem alltäglichem Nutzen.

In Sachen Updates ist bei diesem Handy nicht mit viel zu rechnen. Unihertz verspricht ein Jahr lang Sicherheitsupdates in Form von zwei Aktualisierungen im Sechs-Monats-Takt. Ein Upgrade auf Android 14 ist nicht auf der Agenda.

Das Jelly Star neben einem NFC-Token im Kreditkartenformat.
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Der Tiny Phone-Gott sieht schlecht in der Nacht

Was hat die Kamera des Jelly Star zu bieten? Die Hauptkamera ist ein 48-Megapixel-Sensor, der untertags für die Preisklasse des Handys sogar ziemlich gute Bilder liefert. Details in der Entfernung gehen gerne verloren, und die Optik hat ihre liebe Mühe mit Gegenlicht, was zu etwas blasser Farbwiedergabe führen kann – aber zumindest im "vordergründigen" Teil des Bildes passt auch die Wiedergabe kleiner Strukturen. Unter Sonnenlicht arbeitet der Autofokus auch sehr flott.

Wie bei so ziemlich allen Kameras in diesem Segment sieht man sehr schnell Defizite, sobald es dunkler wird oder man vor allem in Kunstlicht hantiert. Dann benötigt der Autofokus länger fürs Scharfstellen, das Erstellen von Aufnahmen selbst dauert länger, was Bildunschärfe begünstigt. Aber selbst auf Fotos mit ruhiger Hand ist eine Zunahme von Bildrauschen bei gleichzeitiger Verringerung von Details zu erkennen. Einen dedizierten Nachtmodus bringt die Kamerasoftware nicht mit.

Die Frontkamera bietet eine Auflösung von 8 Megapixeln und arbeitet mit fixem Fokus. Damit muss man zwar nicht auf automatische Scharfstellung warten, dennoch sieht man auch hier einen deutlichen Einbruch der Bildqualität unter schlechteren Lichtbedingungen. Aufnahmen untertags sehen passabel aus, wenn auch farblich etwas blass. Selfies unter abendlichen Bedingungen werden allerdings ein unscharfes Bröselfest. Erwähnt werden sollte an dieser Stelle auch, dass der kleine Bildschirm die "Einpassung" des Motivs wie auch die Einschätzung der Bildqualität im Nachhinein erschwert.

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Verschwommene Choräle

Akustisch ist das Jelly Star ein zweischneidiges Schwert. Der Monolautsprecher wird mittelmäßig laut, die Qualität der Wiedergabe dürfte audiophilen Menschen allerdings physische Schmerzen bereiten. Man bekommt undeutlichen Mono-Klang, bei dem hohe und tiefe Frequenzen weitgehend verschwinden und der auch stets von leichtem Rauschen begleitet wird.

Wenig auszusetzen gibt es hingegen an der Sprachqualität beim Telefonieren. Hintergrundlärm wird zwar nicht ausgeblendet, kommt aber nur so leise durch, dass selbst ein mit geringem Abstand vorbeifahrender Lieferwagen die Konversation nicht stört. Der Klang der eigenen Stimme ist für das Gegenüber ein wenig verzerrt und etwas dumpf, aber gut verständlich. Man selbst hört Gesprächspartner ebenso gut und deutlich. Schaltet man auf Lautsprecherwiedergabe um, muss man freilich mit den Defiziten des integrierten Brüllwürfels umgehen.

Bleibt zuletzt noch ein Blick auf die Akkulaufzeit: 2.000 mAh beträgt die Nennkapazität, was für ein "ausgewachsenes" Smartphone heutzutage natürlich viel zu wenig wäre. Die Kombination aus eher sparsamem Chip, kleinem Bildschirm und niedriger Auflösung sorgen aber dafür, dass man mit einer vollen Ladung ganz gut durch den Tag kommt. Power-User dürften spätestens am Folgetag gegen Mittag das Handy ans Ladegerät anhängen müssen, wer das Telefon nur gelegentlich nutzt, kann zwei bis 2,5 Tage als realistische Nutzungszeit annehmen. Beim Aufladen braucht man allerdings ein wenig Geduld, denn das ist maximal mit einer Leistung von 7,5 Watt möglich.

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Fazit

Am Ende des Tages stellt sich die Frage: Für wen ist dieses kuriose Handy eigentlich gedacht? Die leicht polemische Antwort lautet: Für ebenso kuriose Zielgruppen im STANDARD-Forum, für die ein Handy aus religiöser Überzeugung ohnehin nur das Notwendigste können und bzw. oder besonders kompakt sein muss. Dem Tiny-Phone-Gott wurde eine würdige Gabe erbracht – Hallelujah!

Die realistische Antwort lautet: Am ehesten ist das Jelly Star wohl für Menschen, die ein günstiges Zweithandy suchen, welches sich einfach verstauen lässt und trotzdem alle "Basics" brauchbar abdeckt. Etwa wenn man auf ein Festival fährt oder eine mehrtägige Bergtour plant und Angst hat, dass das teure "Haupt-Smartphone" dabei Schaden erleiden könnte.

Dafür muss man allerdings Defizite in Kauf nehmen. Einhändige Bedienung ist theoretisch nett, praktisch aber nicht, wenn selbst die Systemoberfläche nicht auf den Formfaktor optimiert ist,. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten Apps längst auf größere Bildschirme ausgelegt sind. Darüber kann man natürlich kurzfristig hinwegsehen. Wer dieses Smartphone als täglichen Begleiter einsetzen wollen würde, vermag sich dem Autor dieser Zeilen allerdings nicht zu erschließen. (Georg Pichler, 19.6.2023)

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