Remco Evenepoel fährt über die Ziellinie und zeigt gen Himmel.
Remco Evenepoel gewann und gedachte Gino Mäder.
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Tübach – Remco Evenepoel ist auf der vorletzten Etappe der vom Unfalltod Gino Mäders überschatteten Tour de Suisse als Erster über die Ziellinie gerollt. Das Sportliche war bis zur Attacke des Weltmeisters 17 km vor dem Ziel aber erneut nur eine Randnotiz, vielmehr legte das stark reduzierte Feld den Großteil der Strecke als Friedensetappe zurück. Auswirkungen auf das Gesamtklassement hatte der Samstag nicht.

Am Start wurden weiße Tauben losgelassen.
Am Start wurden weiße Tauben losgelassen.
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Am Vorabend war vom Veranstalter nach Gesprächen mit der Familie Mäders, den Teams und Fahrern entschieden worden, trotz der tragischen Ereignisse in den (abgeschwächten) Rennmodus zurückzukehren. So erfolgte dann kein Startschuss, sondern Tauben wurden fliegen gelassen. Die Fahrer trugen Trauerflor.

Evenepoel gewinnt und gedenkt

Die Organisatoren hatten kurzfristig Änderungen vorgenommen, um die Sicherheit der emotional schwer getroffenen Fahrer zu erhöhen. Zwar blieben Etappenlänge und -profil mit vier Bergwertungen unangetastet, doch die Zeit für die Gesamtwertung wurde bereits 25 Kilometer vor dem Ziel genommen. Auch gab es am Samstag keine Bonussekunden bei den Zwischensprints und im Ziel.

Die Protagonisten um den Österreicher Felix Gall übten sich im Sattel lange in Zurückhaltung, das Peloton fuhr geschlossen über die 25-Kilometer-Marke. Danach setzten mehrere Fahrer zum Angriff an, die jedoch pariert werden konnten. Nur Evenepoel konnte dann keiner mehr folgen, der Belgier setzte sich ab und sicherte sich ungefährdet den Etappensieg. Auf dem letzten Kilometer küsste der 23-Jährige seine Faust und streckte den Zeigefinger Richtung Himmel, um Mäder zu ehren.

Remco Evenepoel wischt sich eine Träne aus dem rechten Auge.
Evenepoel war im Ziel emotional.
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Mäder war am Donnerstag bei einem Sturz auf einer Hochgeschwindigkeitsabfahrt wenige Kilometer vor dem Ziel lebensgefährlich verletzt worden. Tags darauf verstarb der 26-Jährige im Krankenhaus. Die am Freitag geplante Etappe war daraufhin gestrichen worden, stattdessen erinnerte man bei einer Gedenkfahrt an den Schweizer.

Der Däne Mattias Skjelmose bleibt der Mann im Gelben Trikot, acht Sekunden vor dem Osttiroler Gall und 46 Sekunden vor Evenepoel. Gall klassierte sich am Samstag auf dem bedeutungslosen 102. Platz. "Dieser Sieg geht natürlich an Gino und seine Familie. Es war mir egal, heute keine Zeit zu gewinnen. Das war allein für Gino", sagte Evenepoel.

Mehrere Rückzüge

Die Teams Bahrain, Tudor und Intermarche sowie etwa die Schweizer Größen Marc Hirschi (UEA) und Stefan Küng (Groupama), der Sieger des Auftakt-Zeitfahrens, waren nicht mehr angetreten. "Unter diesen schwierigen Umständen haben wir das Gefühl, dass es die menschlichste Art ist, die Gefühle unserer Fahrer zu respektieren und Gino zu ehren", begründete der Tudor-Rennstall von Fabian Cancellara seinen Rückzug. Auch die belgische Intermarché-Equipe äußerte sich ähnlich. Gall hatte sich für einen Abbruch der Tour ausgesprochen.

"Unser gesamtes Team ist durch den tragischen Unfall am Boden zerstört", teilte Mäders Team Bahrain Victorious mit. "Wir respektieren die Entscheidung jedes Teams. Die Rückzüge entsprechen dem, was wir erwartet hatten", teilte die Rennleitung der französischen Nachrichtenagentur AFP mit.

Die Rundfahrt endet am Sonntag mit einem 25,7 km langen Einzelzeitfahren von St. Gallen nach Abtwil, wenige Kilometer vom Geburtsort Mäders in Flawil entfernt. Läuft es gemäß der Papierform, wird Evenepoel das Rennen um den Gesamtsieg machen. Und wohl auch Gall unter dem Eindruck des tragischen Unfalls sein sportlich herausragendestes Karriere-Ergebnis fixieren. (red, sid, APA, 17.6.2023)