Regenbogenparade Wien
Für die Teilnehmenden an der Regenbogenparade habe laut DSN keine Gefahr bestanden.
APA/EXPA/FLORIAN SCHROETTER

Wien – Im Zusammenhang mit einem möglicherweise geplanten islamistischen Anschlag auf die 27. Regenbogenparade für LGBTIQ-Rechte, die am Samstag in Wien stattgefunden hat, ist über zwei Verdächtige im Alter von 14 und 17 Jahren die U-Haft verhängt worden. Das Landesgericht St. Pölten gab hinsichtlich der beiden Jugendlichen einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft St. Pölten Folge. Ein dritter Verdächtiger wurde dagegen enthaftet.

Wie der Sprecher der St. Pöltner Anklagebehörde, Thomas Korntheuer, am Sonntagabend der APA mitteilte, ging das Gericht bei dem 20-Jährigen nicht von dringendem Tatverdacht aus. Der ältere Bruder des 17-Jährigen konnte damit die Justizanstalt St. Pölten verlassen, in die die drei jungen Männer eingeliefert worden waren, nachdem man sie Samstagmittag festgenommen hatte. Die Staatsanwaltschaft St. Pölten ermittelt gegen die mutmaßlichen Islamisten derzeit wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation. Die Zuständigkeit der St. Pöltner Anklagebehörde begründet sich im Wohnsitz der Brüder, die in St. Pölten gemeldet sind. Der 14-Jährige lebt in Wien.

VIDEO: Pressekonferenz der Polizei zu geplantem Anschlag auf Pride
APA

Keine konkrete Gefahr für Teilnehmende

Nach Angaben des Leiters der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), Omar Haijawi-Pirchner, war die Festnahme der drei Verdächtigen am Samstag um 12 Uhr erfolgt – und damit eine Stunde bevor sich der Paradezug in Bewegung setzte. Auf die Frage, ob eine Absage der Veranstaltung im Raum stand, meinte Haijawi-Pirchner gegenüber der APA, das sei im Vorfeld "natürlich diskutiert" worden. Man habe sich dagegen entschieden, weil aufgrund fundierter und gesicherter Ermittlungserkenntnisse ausgeschlossen werden konnte, dass die drei Burschen Komplizen hatten. Es habe zu Beginn der Veranstaltung "keine konkrete Gefährdungslage" mehr bestanden.

Die drei jungen Männer sollen Pläne für einen Anschlag auf die Wiener Regenbogenparade am 17. Juni gewälzt haben. Das erklärten zumindest Omar Haijawi-Pirchner und Gerhard Pürstl, Landespolizeipräsident der Bundeshauptstadt, bei einer Pressekonferenz Sonntagvormittag. Eine konkrete Gefahr für die Teilnehmer habe demnach aber nicht bestanden, da die drei islamistisch radikalisierten Verdächtigen bereits unter Beobachtung standen und zu Beginn der Parade an ihren Wohnorten in Niederösterreich und Wien festgenommen wurden.

Die Verdächtigen waren in den Fokus des Staatsschutzes geraten, weil sie laut Haijawi-Pirchner der radikalislamistischen Szene angehören und sich im Internet einschlägig in diese Richtung betätigt haben sollen. Dabei waren sie Beamten der DSN aufgefallen. Gegen einen von ihnen wurde in der Vergangenheit bereits wegen terroristischer Vereinigung ermittelt, dieses Verfahren wurde von der zuständigen Staatsanwaltschaft eingestellt. Thomas Korntheuer bestätigte im STANDARD-Gespräch, dass es Hausdurchsuchungen gegeben habe und die Jugendlichen beziehungsweise der junge Erwachsene in die Justizanstalt St. Pölten gebracht wurden. 

Zahlreiche Waffen bei Hausdurchsuchungen sichergestellt

Bei den Hausdurchsuchungen wurden auch Waffen sichergestellt, darunter ein Säbel, Messer, Wurfsterne und Schreckschuss- beziehungsweise Gasdruckwaffen in Form von Sturmgewehren, Maschinenpistolen und Pistolen. Einige der Schusswaffen weisen offensichtliche Manipulationen auf, ob sie aber derart umgebaut wurden, dass damit scharfe Munition verschossen werden könnte, müsse erst geprüft werden, sagte Haijawi-Pirchner bei der Pressekonferenz. Auch ein Anschlag mit einem Auto sei grundsätzlich möglich gewesen, da einer der Verdächtigen über ein Fahrzeug verfügte.

Die Organisatoren der Parade seien erst Sonntagmorgen über die Lage informiert worden, da "zu keiner Zeit eine dezidierte Gefahr" für die Besucher bestanden habe. Über die speziellen Schutzmaßnahmen für die teilnehmenden Regierungsmitglieder und Vertreter und Vertreterinnen der Oppositionsparteien wolle man aus einsatztaktischen Gründen nichts bekanntgeben.

Die verdächtigen jungen Männer, drei Österreicher mit Wurzeln in Tschetschenien beziehungsweise Bosnien, hätten sich im Internet radikalisiert und dann Anschlagspläne entwickelt, wie man im Zuge der Ermittlungen gegen Sympathisanten der Terrororganisation "Islamischer Staat" erfahren habe, gab Haijawi-Pirchner bekannt. Wie konkret diese Absichten waren und ob die Regenbogenparade tatsächlich das Ziel war, blieb jedoch unkonkret, der DSN-Direktor sprach lediglich von einem "möglichen Ziel". Der 17-Jährige sei dem Staatsschutz wegen seiner islamistischen Gesinnung bereits bekannt gewesen, vorbestraft sei er allerdings noch nicht. 

Jihadisten meist Einzeltäter oder in Kleinstgruppen aktiv

Andere Quellen aus den Sicherheitsbehörden sehen die tatsächliche Gefahrenlage als weniger dramatisch – unter anderem auch deshalb, da die Verdächtigen ja offensichtlich zumindest noch in ihren Wohnungen festgenommen werden konnten. Haijawi-Pirchner verwies allerdings auf die Feststellung der EU-Polizeikoordinierungsagentur Europol in deren jüngstem Situationsbericht zu Terrorismus in der EU, wonach gerade im Bereich des jihadistischen Terrorismus der Modus Operandi sich meist im Bereich von Einzeltätern oder Kleinstgruppen abspiele. Tatsächlich hätte eine Massenpanik unter den 300.000 Teilnehmern und Zuseherinnen der Parade, wenn etwa ein Fahrzeug in den Umzug gerast wäre, verheerende Folgen haben können.

Im Rahmen der Pressekonferenz erneuerte der DSN-Direktor auch seine Forderung nach mehr technischen Befugnissen zur Überwachung der technischen Kommunikation von Verdächtigen, da man mit der derzeitigen Gesetzeslage keine Möglichkeiten habe, auf die Inhalte von verschlüsselten Chats zuzugreifen. Auf die STANDARD-Frage, woher sich der Staatsschutz dann sicher sein könne, dass keine konkrete Gefahr für die Teilnehmenden der Regenbogenparade bestanden habe, da dann ja möglicherweise noch den Behörden unbekannte Beteiligte existieren könnten, wich Haijawi-Pirchner aus. Aufgrund der noch laufenden Ermittlungen könne er nichts über die Hintergründe des Tatverdachts sagen – die Möglichkeit eines Insiders liegt aber nahe. Insgesamt seien der DSN derzeit eine "im mittleren zweistelligen Bereich" liegende Zahl von "Hochrisikogefährdern" in Österreich bekannt, verriet der Staatsschützer noch.

Betroffenheit in der Politik

Vonseiten der Politik gab es nach Bekanntwerden der polizeilichen Informationen zahlreiche Reaktionen. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zeigte sich betroffen: "In Wien darf es keinen Platz für Hass und Ausgrenzung geben! Unsere Stadt ist bunt und weltoffen." Zudem dankte er den Sicherheitskräften.

"Die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst hat einmal mehr unter Beweis gestellt, dass sie jede Form von Extremismus konsequent und effizient bekämpft", sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). "Ich danke allen beteiligten Ermittlerinnen und Ermittlern für ihre professionelle Arbeit und ihren Einsatz. Für diese sensible und schwierige Aufgabe braucht diese Behörde aber auch weitere moderne und damit zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen", kommentierte er die Ermittlungen des Verfassungsschutzes.

Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) reagierte auf Twitter: "Ich bin schockiert über die feigen Anschlagspläne auf die Pride-Parade. Ich danke dem DSN und der Polizei, dass sie hier rasch und rechtzeitig reagiert haben. Extremismus in jeder Form muss vehement bekämpft und auf das Schärfste bestraft werden."

"Wir lassen uns von den Feinden der Rechte für LGBTIQ-Personen, der Demokratie und einer offenen Gesellschaft nicht unterkriegen", hieß es vom Organisationsteam der Parade. Die Rechte der Community seien "in letzter Zeit wieder vermehrt von Rückschritten bedroht, und wir müssen jeden Tag für unsere Sichtbarkeit und Sicherheit kämpfen".

Frau in Innenstadt verprügelt

Während die Regenbogenparade laut Veranstaltern am Samstag reibungslos verlaufen war, vermeldete die Landespolizeidirektion Wien, dass gegen 19 Uhr in der Wiener Innenstadt eine Frau durch Schläge schwer verletzt worden ist. Eine Gruppe von fünf Männern bedachte sie und ihren Begleiter zuvor mit homophoben Äußerungen, zwei dieser Männer sollen dann auf die Frau eingeschlagen und sie auch getreten haben. Die Berufsrettung Wien versorgte das verletzte Opfer notfallmedizinisch und brachte die Frau in ein Krankenhaus. Wie Corinna Had, Sprecherin der Berufsrettung, gegenüber der APA sagte, hatte die Frau Kopfverletzungen und Abschürfungen erlitten.

Sofort eingeleitete Fahndungsmaßnahmen blieben ohne Erfolg. Die zwei Tatverdächtigen trugen ein schwarzes Poloshirt beziehungsweise ein weißes Shirt. Es wird wegen des Verdachts der absichtlich schweren Körperverletzung und Körperverletzung ermittelt. (moe, rio, red, APA, 18.6.2023)