Pride-Parade
Eine Absage der Pride-Parade, die am Samstag 300.000 Menschen anlockte, wurde laut Staatsschutz nicht in Erwägung gezogen.
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Wien – Zwei Tage nach dem mutmaßlich vereitelten Anschlag auf die 27. Regenbogenparade in Wien, bei der 300.000 Menschen für die Rechte von LGBTIQ-Personen durch die Straßen Wiens zogen, werfen die Hintergründe noch zahlreiche Fragen auf. Wie bekannt wurde, wurden ein 20-Jähriger, dessen 17-jähriger Bruder und ein 14-Jähriger am Samstag festgenommen – eine Stunde vor Beginn der Parade. Im Gegensatz zum Ältesten, bei dem offenbar kein dringender Tatverdacht bestand, befinden sich die zwei anderen in U-Haft.

VIDEO: Pressekonferenz der Polizei zu geplantem Anschlag auf Pride
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"Kein Risiko für Besucher"

Lob für das Vorgehen der Behörden gab es am Montag von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). Dass die Öffentlichkeit erst am Sonntag informiert wurde, sei "wohlüberlegt" und "sachlich begründet" gewesen, sagte er am Rande einer Veranstaltung. Eine Absage der Pride sei Karner zufolge zwar diskutiert worden. Weil aber aufgrund "fundierter und gesicherter Ermittlungserkenntnisse ausgeschlossen werden konnte, dass die drei Verdächtigen Komplizen hatten", entschied man sich dagegen. Es habe zu Beginn der Veranstaltung "keine konkrete Gefährdungslage" mehr bestanden, betonte Karner. 

Bereits Montagfrüh hatte Omar Haijawi-Pirchner, Leiter der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), ein Risiko für die Besucherinnen und Besucher im Ö1-"Morgenjournal" in Abrede gestellt. "Die Verdächtigen waren zu jeder Zeit unter unserer Kontrolle." Der späte Zugriff um 12 Uhr am Samstag sei aus "einsatztechnischen und kriminaltaktischen" Gründen erfolgt.

Karner und Haijawi rechtfertigen Vorgehen

"Wenn wir den Veranstalter vor dem Zugriff informiert hätten, dann wären möglicherweise die Ermittlungen gefährdet gewesen." Außerdem hätte es zu Panikreaktionen kommen können, wenn man die Besucher während der Veranstaltung informiert hätte, sagte Haijawi-Pirchner. Es gehe "um das Recht auf Information, aber auch um das Recht auf Sicherheit", sagte dazu Karner. "In diesem Spannungsfeld hat die DSN-Direktion das durchgeführt." Die Organisation der Parade habe sich auch bedankt für das Vorgehen, berichtete der Innenminister.

Neben Waffen seien bei den jungen Männern Geräte und Datenträger sichergestellt worden. In diesem Zusammenhang will der "Kurier" erfahren haben, dass der 14-jährige Verdächtige mit tschetschenischen Wurzeln eine Axt direkt unter seinem Bett versteckt hatte, als er von der Spezialeinheit Cobra festgenommen wurde, hieß es in einem Bericht. Sie waren ins Visier von Ermittlern geraten, weil sie im Internet in der radikalislamischen Szene unterwegs gewesen sein sollen.

Ermittlungen dauern an

Die Auswertung der elektronischen Geräte werde laut Haijawi-Pirchner jedenfalls noch dauern. Was die Behörden konkret zu den Männern geführt und die Ermittlungen bislang ergeben haben, dazu will sich der DSN-Leiter allerdings nicht äußern, um "weitere Ermittlungen nicht zu gefährden". Nur so viel: "Das (bisherige, Anm.) Ermittlungsergebnis ist fundiert."

Staatsschutz
DSN-Direktor Omar Haijawi-Pirchner am Sonntag bei der Pressekonferenz der Landespolizeidirektion Wien, als dieser die Öffentlichkeit über den Zugriff informierte.
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Über die beiden jüngeren Verdächtigen ist am Sonntag die U-Haft verhängt worden. Ein 20-Jähriger – der Bruder des 17-Jährigen – konnte die Justizanstalt St. Pölten hingegen verlassen. Die Enthaftung sei noch nicht rechtskräftig, teilte Birgit Eisenmagen, Sprecherin des Landesgerichts St. Pölten, mit. Die Staatsanwaltschaft kann noch Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen. Keine Auskünfte gab es vonseiten des Gerichts darüber, ob und wie sich die Beschuldigten im Rahmen der Haftverhandlung zu den Vorwürfen geäußert haben.

Mehr Überwachung gefordert

Obwohl es also bei diesen Ermittlungen offenbar keinerlei Komplikationen gegeben hatte, nutzten sowohl Karner als auch Haijawi den Vorfall, um den Bundestrojaner erneut ins Spiel zu bringen. Gefragt, ob die Behörden zu wenig Zugriffsmöglichkeiten auf Messengerdienste haben, sagte Karner, es sei "Teil des Regierungsprogramms, dass es hier zu Änderungen kommen soll". "Weil hier sind wir nicht mehr modern und zeitgemäß." Moderne Nachrichten- und Messengerdienste könne man derzeit "nicht mehr überwachen". Gleichzeitig betonte er, dass es "nicht um Massenüberwachung" gehe. "Es geht darum, die einzelnen Gefährder, die es zweifelsohne gibt, aus dem Verkehr zu ziehen. Da brauch die Polizei die entsprechenden Befugnisse und Kompetenzen dazu", so Karner, ohne konkret zu werden.

Generell sei der Extremismus auf dem Vormarsch, speziell im islamistischen und rechtsextremistischen Bereich, hielt auch Haijawi-Pirchner auf Ö1 fest. Hier könne mehr Personal zwar nie schaden, um die Bedrohungen gut unter Kontrolle zu haben, sieht Haijawi-Pirchner allerdings genug Beamte vorhanden. Was die Überwachung anbelangt, schlägt dieser in die gleiche Kerbe wie Karner und fordert, wie auch bereits in der Vergangenheit, weitere technische Befugnisse. "Es wäre gut, wenn wir die Kommunikation besser überwachen könnten."(red, etom, APA, 19.6.2023)