Die Bewohner Nordindiens müssen derzeit extreme Temperaturen ertragen.
AP/Rajesh Kumar Singh

Volle Betten, erschöpfte Ärzte und Patienten, verzweifelte Angehörige. Die Szenen, die sich aktuell im Bezirkskrankenhaus von Ballia abspielen, verdeutlichen wohl am ehesten das verheerende Ausmaß der Hitzewelle, die den Nordosten Indiens seit vergangener Woche fest im Griff hat.

In den vergangenen drei Tagen mussten plötzlich rund 400 Personen in das Krankenhaus eingeliefert werden. Ihre Symptome reichten von Fieber und Atemnot bis zu Anzeichen für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall. Bis Montag wurden in Ballia 54 Tote gemeldet.

99 Todesopfer gemeldet

Seit Tagen schlägt Indiens meteorologische Behörde wegen der extremen Hitze Alarm und warnt die Bevölkerung vor Hitzeschäden, die Personen allen Alters treffen könnten. Insgesamt hat die Hitzewelle laut Reuters-Angaben bereits mindestens 99 Todesopfer in den Regionen Uttar Pradesh und Bihar, die zu den ärmsten Indiens gehören, gefordert. Wie Medienberichte zeigen, sind Personen über 60 Jahren besonders davon betroffen – insbesondere jene, die bereits an einer Krankheit leiden.

In einigen Teilen Nordindiens sind die Krankenhäuser überfüllt.
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Im Bezirk Ballia wurde am Samstag eine Höchsttemperatur von beinahe 45 Grad Celsius erreicht. Am Montag lagen die Temperaturen zuletzt bei rund 42 Grad Celsius. Behörden vor Ort warnten angesichts der anhaltenden Temperaturen weiter davor, außer Haus zu gehen. Zudem wird der Effekt der Hitze durch die hohe Luftfeuchtigkeit (von rund 25 Prozent) verstärkt. Erst gegen Ende der Woche wird mit einer Abkühlung der Temperaturen gerechnet. 

Stromnetz überlastet

Verschärft wird die Not außerdem dadurch, dass das Stromnetz offenbar am Anschlag ist und somit hitzelindernde Maßnahmen stocken. So fehlen dem Krankenhaus in Ballia, das all seine Ärzte aus dem Urlaub zurückgerufen hat, dringend nötige Ventilatoren. Das hat auch Ravindra Kumar, der Bezirksvorsteher von Ballia, eingeräumt. Den Oberarzt des Krankenhauses ließ Kumar jedoch feuern, weil dieser die akut gestiegenen Todeszahlen öffentlich der extremen Hitze zugeschrieben hatte. Kumar sieht das aufgrund der Vorerkrankungen von Patienten keineswegs als erwiesen an: Dafür gibt es "keine soliden Beweise", sagte er am Sonntag und ordnete Untersuchungen an. Nur zwei Personen seien jedenfalls an einem Hitzeschlag gestorben, so Kumar.  

Uttar Pradesh und Bihar gehören zu den ärmsten Regionen Indiens. Sie sind stark landwirtschaftlich geprägt. Doch die Arbeit im Freien wird durch die Hitze erschwert.
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Die Opposition im Bundesstaat Uttar Pradesh kritisierte indes die Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP) und warf ihr Untätigkeit vor. Der Staat habe seine Bürger sowohl in puncto Krankenversorgung als auch in puncto Stromversorgung im Stich gelassen. Immerhin sei die Hitzewelle erwartet worden, es seien aber keine zusätzlichen Spitalsbetten und Energiekapazitäten geschaffen worden.  

Der Ministerpräsident von Uttar Pradesh, Yogi Adityanath von der hindunationalistischen BJP, versicherte jedoch, dass die Regierung alle notwendigen Maßnahmen ergreife, um die ununterbrochene Stromversorgung sicherzustellen. Er forderte die Bewohner auf, mit der Regierung zusammenzuarbeiten und den Strom mit Bedacht zu nützen.

Alarmierdender Expertenbericht

Die Hauptsommermonate April, Mai und Juni gehören in Indien zur heißesten Jahreszeit – bevor der Monsunregen für Abkühlung sorgt. Doch die Hitzeperioden haben sich in den vergangenen Jahren massiv verschärft. Bereits im April sind in Indien 13 Menschen im Zuge einer Hitzewelle, die den gesamten südasiatischen Raum erfasst hatte, gestorben.

Klimaforscher warnen seit Jahren eindringlich davor, dass mit steigender Erderhitzung die Wahrscheinlichkeit für extreme Wetterereignisse steigt. Laut einem Bericht der Uno und des Roten Kreuzes werden tödliche Hitzewellen immer häufiger eintreten. Große Teile Asiens und Afrikas könnten dadurch langfristig unbewohnbar werden. Seit 2010 seien weltweit bereits mindestens 70.000 Menschen im Zuge von 38 Hitzewellen gestorben. (Flora Mory, 19.6.2023)