Ältere Frau mit Stock steht alleine vor Fenster und schaut hinaus
Soziale Isolation kann zu einem höheren Cortisolspiegel führen. Das Stresshormon wird mit vielen Krankheiten in Verbindung gebracht, wenn zu viel davon vorhanden ist.
IMAGO/Zoonar

Menschen, die gesellschaftlich besser eingebunden sind in ein Netzwerk aus Familie und Freunden, sind gesünder, glücklicher und werden älter als einsame Menschen. Das ist eine der wesentlichen Erkenntnisse aus der Harvard-Glücksstudie, die seit dem Jahr 1939 eine Gruppe von Menschen, die Beziehungen, mit denen sie leben, und die Art, wie sie sich dabei entwickelt haben, untersucht. Nun bestätigt eine umfangreiche Analyse eines chinesischen Forschungsteams diese Erkenntnis: Gesellschaftliche Isolation und das Gefühl von Einsamkeit können das Sterberisiko eines Menschen merklich erhöhen. Ein Mangel an sozialen Kontakten gehe im Mittel mit einem um etwa 32 Prozent höheren Sterberisiko einher, das Gefühl von Einsamkeit mit einem um etwa 14 Prozent höheren Risiko, berichten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter in der Fachzeitschrift "Nature Human Behaviour".

Eine verstärkte Ausschüttung des Stresshormons Cortisol sehen die Forschenden als eine körperliche Ursache für das erhöhte Risiko, denn das beeinflusse die Körperfunktionen auf Dauer negativ. Statistisch bedeutsame Unterschiede zwischen den Geschlechtern gab es der Auswertung zufolge nicht. Allerdings fühlten sich Frauen eher einsam – obwohl sie in der Regel größere soziale Netzwerke hatten. Bei Männern seien das Alleinleben und ein Mangel an zwischenmenschlichen Kontakten verbreiteter, ihr angegebenes subjektives Gefühl von Einsamkeit spiegle das aber oft nicht wider.

Die Gruppe um Yashuang Zhao und Maoqing Wang von der Harbin Medical University hatte 90 Untersuchungen aus verschiedenen Ländern mit insgesamt mehr als 2,2 Millionen Teilnehmern ausgewertet. Als soziale Isolation wurde dabei ein objektiver Mangel an Sozialkontakten bei Menschen mit begrenztem sozialen Netzwerk betrachtet. "Im Gegensatz dazu ist Einsamkeit ein subjektives Gefühl der Not, das entsteht, wenn ein Missverhältnis zwischen gewünschten und tatsächlichen sozialen Beziehungen besteht", schreiben die Studienautoren.

Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen besonders gefährlich

Schon in der Vergangenheit hatten Studien ergeben, dass Einsamkeit und Isolation zu einer höheren Sterblichkeit führen können. Es gab allerdings auch Analyseergebnisse, die das nicht bestätigten. Zhao, Wang und Kollegen suchten nun aus mehr 14.000 Studien zu sozialer Isolation und Einsamkeit 90 heraus, die zwischen 1986 und 2022 veröffentlicht wurden und bestimmten Kriterien entsprachen. So wurden nur Studien gewählt, bei denen andere Faktoren wie Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index, Rauchen und Alkoholkonsum bei der Untersuchungsgestaltung und der statistischen Auswertung berücksichtigt worden waren.

Aus den Werten, die für den Einfluss von Einsamkeit oder sozialer Isolation auf das Sterberisiko ermittelt wurden, berechnete das Team Durchschnittswerte. Demnach erhöht soziale Isolation zum Beispiel das Risiko, an einer Krebserkrankung zu sterben, um 22 Prozent, Einsamkeit um neun Prozent. Im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Todesursache erhöht soziale Isolation das Sterberisiko um 34 Prozent. Auch für Einsamkeit ergab sich ein erhöhter Wert, der aber statistisch nicht eindeutig war.

Zwar erfolgte die Messung von Einsamkeit und sozialer Isolation in den berücksichtigten Studien unterschiedlich, und 90 Prozent der Untersuchungen wurden in Ländern mit hohem Durchschnittseinkommen durchgeführt. Dennoch gehen die Studienautoren davon aus, dass allgemein ein Zusammenhang zwischen Einsamkeit, sozialer Isolation und erhöhtem Sterberisiko besteht. Sie fordern, dass die Medizin diese Faktoren bei Therapien stärker berücksichtigen sollte und dass Strategien entwickelt werden sollten, um das gesellschaftliche Problem der Vereinsamung gezielt anzugehen. (APA, Red, 19.6.2023)