Mädchen im Teenager-Alter sitzt in schwarzem Kapuzenpullover und Jeans draußen auf einer Stiege und stützt den Kopf verzweifelt in die Hände
Immer mehr Jugendliche sind von depressiven Verstimmungen betroffen, besonders häufig Mädchen.
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Eigentlich sollte die Jugend eine möglichst unbeschwerte Zeit sein. Eine Zeit, um Erfahrungen zu sammeln, soziale Kontakte zu knüpfen und auch den ein oder anderen Fehler machen zu dürfen. Für viele Jugendliche sind die vergangenen Jahre aber zur Belastungsprobe geworden. Die vielen Krisen unserer Zeit haben sich wie ein Brennglas über die Psyche gelegt. Das zeigt sich in zahlreichen Untersuchungen: "22 Prozent der Mädchen und zehn Prozent der Burschen zeigen Anzeichen einer Depression. Knapp 30 Prozent der Mädchen und 16,5 Prozent der Burschen haben Zukunftsängste", zitiert Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) am Montag bei einer Pressekonferenz aktuelle Studien. Das seien dramatische Zahlen, sagt er.

Barbara Haid, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, stimmt ihm zu. Die psychische Verfassung von Kindern und Jugendlichen sei hierzulande besorgniserregend, sagt sie: "Stellen Sie sich eine Schulklasse mit 20 Kindern und Jugendlichen vor. Zwölf von ihnen geht es nicht gut." Sie leiden unter Angststörungen, Depressionen oder Ess- und Schlafstörungen. "Auch Suizidgedanken und tatsächliche Suizidversuche sind stark gestiegen", berichtet Haid.

Rasch, gratis und wohnortsnahe

Um diesen Entwicklungen etwas entgegenzusetzen und die Folgen der Corona-Pandemie abzufedern, wurde bereits im April 2022 das Projekt "Gesund aus der Krise" gestartet. Es wird vom Gesundheitsministerium gefördert und in Kooperation mit dem Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie umgesetzt. Kindern und Jugendlichen bis 21 Jahre werden damit kostenlos, schnell und einfach bis zu 15 Stunden an psychologischer, gesundheitspsychologischer oder psychotherapeutischer Beratung ermöglicht. In schwerwiegenden Fällen kann einmalig eine Verlängerung um fünf weitere Einheiten erfolgen, idealerweise sollen besonders schwer betroffene Kinder und Jugendliche dadurch in die Regelversorgung wechseln.

"Normalerweise müssen sich Eltern durch diverse Homepages ackern und in Telefonwarteschleifen hängen", sagt Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer Psychologinnen und Psychologen. Bei "Gesund aus der Krise" sei das anders: Nach einer Kontaktanfrage über die Hotline oder Website suchen elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die ideale Ansprechperson für den oder die Betroffenen. Im Schnitt dauert es elf Werktage, bis die Jugendlichen zu einem oder einer der 875 Fachleute vermittelt werden und per Mail einen Gutschein für die kostenlosen Einheiten erhalten. Unter den 875 Expertinnen und Experten sind klinische Psychologinnen, Gesundheitspsychologen oder Psychotherapeutinnen, die in 17 Sprachen beraten und behandeln – auch in ländlichen Regionen. Das sei besonders wichtig, denn in vielen Bereichen sei das österreichische Gesundheitssystem ein "Fleckerlteppich", kritisiert Haid. "Gesund aus der Krise" funktioniere in allen Bundesländern gleichermaßen. 

Und noch etwas macht das Projekt besonders: Nicht nur die Kinder oder Teenager selbst sowie deren Eltern können über das Projekt Hilfe suchen, sondern auch besorgte Menschen aus dem Umfeld, etwa Schulärzte oder Sozialarbeiterinnen. Das ist essenziell, findet Daniela Kern-Stoiber. Sie ist die Geschäftsführerin des bundesweiten Netzwerks Offene Jugendarbeit und weiß, dass Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter oft diejenigen sind, denen sich Jugendliche zuallererst anvertrauen: "Häufig sind sie die Ersten, die die Warnsignale wahrnehmen. Bei ihnen trauen sich Jugendliche Dinge auszusprechen, die zu Hause möglicherweise zu Sanktionen führen würden", erzählt die Expertin aus der Praxis.

Weitere 19 Millionen für mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen

Dass das Projekt funktioniert, zeigen die Zahlen: Bisher konnte seit vergangenem April 8.000 Kindern und Jugendlichen geholfen werden. In nur 1,5 Prozent der Fälle brachen Betroffene die Behandlung ab. "Aufgrund des Erfolgs, aber auch aufgrund der hohen Nachfrage haben wir daher die Mittel für dieses Vorzeigeprojekt mit 19 Millionen Euro deutlich aufgestockt", informiert Bundesminister Rauch. Dadurch erhalten weitere 10.000 Betroffene Unterstützung, aus den 875 Behandlerinnen und Behandlern sollen 1.500 werden. Auch in Zukunft möchte man alles daran setzen, die Finanzierung sicherzustellen. 

In Zeiten von Teuerung und Inflation sei das der ideale Zeitpunkt, um das Projekt auszuweiten, findet Wimmer-Puchinger vom Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen. "Armut wird auch in Zukunft ein Thema in den Familien sein. Aktuell sind 390.000 Kinder von Armut betroffen. Und wir wissen, dass Armut zu noch mehr psychischen Krisen in Familien führt." Kern-Stoiber vom bundesweiten Netzwerk Offene Jugendarbeit unterstreicht das: "Psychologische und psychotherapeutische Beratung und Behandlung darf nicht elitär sein."

Eigentlich sollte das auch für die Regelversorgung gelten – denn so erfolgreich "Gesund aus der Krise" auch sei, es habe gleichzeitig gezeigt, dass man erst am Anfang stehe, findet Haid vom Bundesverband für Psychotherapie: "In der Regelversorgung haben wir immer noch lange Wartezeiten für kassenfinanzierte Psychotherapie. Aber bei psychischer Gesundheit zählt jeder Tag." Minister Rauch versichert am Montag, dass man daran arbeite, künftig Psychotherapie als Kassenleistung anbieten zu können. Eine Reform soll das Gesundheitssystem so fit machen, dass es im Regelbetrieb genauso gut funktioniert wie aktuell bei solchen Vorzeigeprojekten. "Es muss möglich sein, das mit der E-Card bezahlen zu können und nicht mit der Kreditkarte", sagt Rauch.

Die 19 Millionen für "Gesund in der Krise" seien also nur ein Anfang und ein "vergleichsweise kleiner Betrag, wenn man weiß, was die Nichtbehandlung auf Dauer kostet". Insofern sei nicht von Kosten, sondern von Investitionen in die Zukunft der Jugend zu sprechen, betonte Rauch. Oder wie Haid vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie sagt: "Gesundheit kostet Geld, aber Krankheit kostet das Leben." (Magdalena Pötsch, 20.6.2023)