Schwimmerin beim Kraulen
Man muss verdammt früh aufstehen, ansonsten hat man in Österreichs Bädern selten freie Bahn.
APA/dpa/Julian Stratenschulte

Gott sei Dank ist Sommer. Da ist die Wasserfläche, zumindest jene, die sich fürs Schwimmen nützen lässt, naturgemäß größer als im Winter. Über den Winter wollen wir gar nicht erst lange reden. Fünf überdachte 50-Meter-Becken gibt es in ganz Österreich: jeweils eines in der Wiener Stadthalle, in der Südstadt, im Stadionbad (nur für Leistungsschwimmer), in Linz (nur für Leistungsschwimmer) und in Graz, dazu kommen noch zwei Bahnen in Salzburg, auf denen sich zumindest trainieren lässt. So oder so ist der Hallenbadzustand hierzulande tatsächlich ein einziger Zustand. Und im Sommer sieht es nicht viel besser aus.

Siehe Wiener Stadionbad. Wer kennt es nicht, das Grüppchen von Pensionistinnen und manchmal auch Pensionisten vom hinteren 50-m-Becken? Sie treffen sich täglich um viertel nach drei oder auch davor oder danach, dann geht es los, gleich in der ersten Bahn, die eigentlich zwei Bahnen breit ist. Nebeneinander, plaudernd. Und wenn da schon jemand anderer kraulend, Brust schwimmend oder vielleicht sogar delfinierend unterwegs ist, dann hat er oder sie eben Pech gehabt und muss sich verdünnisieren. Im anderen, im vorderen 50-m-Becken wiederum ist das Springen von den Startsockeln ein Hauptspaß für die Kinder – wenn sie mit dem sonstigen Angebot (Wellenbad, zwei Rutschen, Trampolin, Nieselduschenstraße, Spielplatz, Beachvolleyballplätze) schon durch sind. 

Dem Vernehmen nach gibt es dieses Seniorengrüppchen nicht nur im Stadionbad. Und auch die Ehrgeizlinge, die eine Bahn am liebsten für sich alleine haben möchten und sich flott einmal über alles und nichts aufregen, sind eher keine Einzelfälle. Kinder sind und bleiben sowieso immer und überall Kinder. Es ist jedenfalls landauf, landab viel zu eng. Auch in der Grazer "Auster" soll es kürzlich Zores gegeben haben. Im "derGrazer" hieß es: "Individualsportler aus Graz ärgern sich immer öfter, dass die sechs Bahnen (der Rest ist durch den Sprungturm verkürzt) von Vereinen häufig komplett ausreserviert sind." Zudem sei bei Sportevents wie erst kürzlich bei den Sports-Austria-Finale "sowieso das ganze Becken für Badegäste gesperrt".

Walter Bärs Sichtweise

Wenn Walter Bär so etwas liest, denn haut es dem ansonsten sehr besonnenen Sportdirektor des österreichischen Schwimmverbands (OSV) fast die Sicherungen heraus. "Dass man sich so etwas überhaupt zu schreiben traut, dass eine Sportstätte dem organisierten Sport vorbehalten bleibt", platzte es auf Facebook aus ihm heraus. Doch Bär hat sich bald wieder beruhigt. "Natürlich verstehe ich alle", sagt er dem STANDARD, "die gerne schwimmen gehen." Es sind beileibe nicht nur Leistungsschwimmerinnen und -schwimmer, die ihre Längen ziehen wollen. Bärs Sichtweise ist die, dass es sich bei Becken, die in geleinte Bahnen unterteilt sind, um Sportanlagen handelt. "Doch solche Becken werden bei uns eben nicht als Sportanlage gesehen. Sondern da meint man, dass diese Anlage von jedem genutzt werden kann."

Das prinzipielle Problem, das ist auch Bär völlig klar, ist die Tatsache, dass es insgesamt (viel) zu wenige Bäder gibt und dass in jüngerer Vergangenheit – siehe das Hallenbad in Neusiedl/See – Bäder sogar zugesperrt haben. Bär: "Ich verstehe jeden, der gerne schwimmen geht. Aber in anderen Ländern sind geleinte Bahnen sehr wohl eine Sportanlage, auf der nur Vereinsangehörige etwas verloren haben." Österreich ist freilich kein Sportland, definiert sich – mit wenigen Ausnahmen – insgesamt nicht über Erfolge im Spitzensport. Dazu passt eine Geschichte, die bei der Schwimm-EM 1995 im Wiener Stadionbad passierte, die aber gut und gerne auch heute spielen könnte. Damals kamen die Startschüsse noch aus einer Pistole und waren dementsprechend laut. Und da tauchte doch tatsächlich eine Kabanenbesitzerin beim Richtertisch auf und fragte, ob sich der nächste Bewerb vielleicht verschieben ließe, weil nämlich ihr Enkerl gerade eingeschlafen sei.

Österreichs Auftrag

Walter Bär muss in seiner Funktion sehr wohl an Rekorde, Limits für Großevents und Medaillen denken, doch er ist auch einer, der weiter denkt. "Das Wichtigste ist, dass möglichst alle Kinder schwimmen lernen. Dieser Auftrag steht sogar im Regierungsprogramm. Aber davon sind wir sehr weit entfernt. Allein schon deshalb, weil es unzählige Kinder gibt, die sehr lange mit dem Bus fahren müssten, damit sie überhaupt in ein Bad kommen, wo sie schwimmen lernen können." Der Bedarf an Wasserfläche gehe jedenfalls weit über eine rein sportliche Notwendigkeit hinaus. "Jeder Todesfall durch Ertrinken", sagt Bär, "ist ein Todesfall zu viel." Bei Kindern in Österreich ist Ertrinken eine der häufigsten Todesursachen, doch gegengesteuert wird kaum.

Leichte Hoffnungsschimmer sind, dass in Klagenfurt eine Schwimmhalle errichtet und dass in Innsbruck über einen weiteren Hallenbau zumindest schon lange geredet wird. "Einem Land wie Österreich", sagt OSV-Sportdirektor Bär, "müsste es etwas wert sein, dass möglichst viele Menschen schwimmen können. Das ist ja eine Investition, die sich auch auf Umwegen bezahlt macht. Da geht es auch um Gesundheit, um Gesundheitsvorsorge. Man muss sich vielleicht davon verabschieden, dass man mit einer Schwimmhalle eine schwarze Null schreibt." Wenn Bär Österreich mit Ungarn vergleicht, könnte ihm "fast schlecht werden", schließlich gibt es allein im Großraum Budapest mehr ordentliche Schwimmbecken als in ganz Österreich. Dass Österreich ins Schwimmen geraten ist, mag auf andere Bereiche zutreffen, punkto Schwimmen  ist Österreich eher ins Strampeln und Prusten geraten.

Ungarns Vorsprung

Wien ist noch gesegnet im Vergleich mit "den Bundesländern", wie es oft heißt, als wäre Wien nicht auch selbst eines. Der relative Segen verdankt sich auch dem zweiten 50-m-Becken, das im Stadionbad errichtet wurde, wenn es auch skurrilerweise nur durch die Sonne erwärmt wird, also heuer im Mai noch richtig kalt war. Das "erste" Becken im Stadionbad lässt sich im Winter durch eine spezielle Konstruktion überdachen, die Halle wird quasi über den Pool geschoben. Dort wird im Winter dennoch fast ausschließlich in der Früh und am späteren Nachmittag trainiert, weil vor allem der Nachwuchs ins Stadionbad kommt, und der muss zwischendurch in die Schule. Da bleibt das Becken ungenützt, was vor allem die Mastersschwimmer wurmt, also jene, die oft schon den 30er oder auch den 50er hinter sich haben und dennoch an internationalen (Masters-)Bewerben, auch Europa- und Weltmeisterschaften teilnehmen. Nach oben hin gibt es da keine Altersgrenze, und Österreich ist im internationalen Vergleich immer wieder sehr erfolgreich – trotz unzureichender Trainingsbedingungen.

Baden ist super, aber richtiges Schwimmen ist in Österreich den meisten egal. Die Mastersschwimmer sehen es so, wie es Walter Bär sieht. Auch sie schwärmen von den ungarischen Verhältnissen, einige fahren selbst nicht selten zum Training nach Sopron. 55.000 Einwohner hat die Stadt, aber ein (2021 eröffnetes) Hallenbad mit einem 50-m-Becken (zehn Bahnen) und einem 25-m-Becken (zehn Bahnen), dazu noch eigene Lehrschwimmbecken für Kinder. Die Bahnen in den großen Becken sind immer geleint, und online ist einsehbar, wann welche Bahnen wie belegt sind. Wo weniger Verkehr herrscht, gibt es weniger Wickel, das ist im Bad nicht anders als auf der Straße. Da lässt es sich sogar organisieren, dass auf einer Bahn zum Beispiel zeitweise nur Rücken geschwommen, auf der nächsten nur gekrault wird. Selbst dass eine Bahn manchmal für Pensionistinnen und Pensionisten reserviert ist, geht sich aus. Um viertel nach drei oder auch davor und danach. (Fritz Neumann, 20.6.2023)