Demuth glaubt an die Überlegenheit von künstlicher Intelligenz im Finanzbereich und arbeitet deshalb intensiv an Lösungen, diese KI auch für Anlegerinnen und Anleger zugänglich zu machen.
Bitpanda

Künstliche Intelligenz ist auch die Zukunft im Finanzbereich. Das bestätigt auch Bitpanda-CEO Eric Demuth. Er sagt: „Die industrielle Revolution im Büro“ findet statt, ob man mitmacht oder nicht. 

STANDARD: Speziell auf Social Media hat man in den letzten Monaten immer wieder Leute gesehen, die sich etwa von ChatGPT Finanztipps haben geben lassen. Was halten Sie persönlich davon?

Demuth: Na ja, das sind jetzt so die ersten Spielereien, die man sieht. Das ist jetzt noch nichts Weltbewegendes, aber es ist so wie mit jeder Technologie, die bahnbrechend ist. Am Anfang wird einfach damit herumgespielt. Aber ich glaube, die meisten Leute haben noch nicht einmal ansatzweise eine Ahnung, was das alles für Ausmaße in der Zukunft haben wird. In jeglichem Bereich, nicht nur im Finanzbereich.

Jetzt anhören: Das ungekürzte Interview mit Eric Demuth im STANDARD-Podcast "Lohnt sich das".

STANDARD: Für die Finanzwelt ist KI ja kein neues Thema. Wo wird sie heute schon eingesetzt?

Demuth: Digitale Finanzunternehmen nutzen KI schon seit vielen, vielen Jahren, vor allem für Prävention, Big Data, Analysen. Also für jene Mechanismen, wo viele Daten ausgelesen und analysiert werden müssen. 

STANDARD: Und kann man sagen, dass die Branche immer offen war dem Thema gegenüber?

Demuth: Wir müssen hier differenzieren, worüber wir reden. Wenn wir über solche Back-End-Funktionalitäten wie Prävention reden, dann ist es natürlich bei einer digitalen Bank als Beispiel ein Must-have. Würde man sich hier verschließen, wäre das extrem schlecht. Jetzt werden neue Bereiche erschlossen, etwa Anwendungen für Privatnutzer – als Beispiel: um Daten zu analysieren, Empfehlungen zu geben oder Fragen zu stellen. Also im Prinzip die Möglichkeit, mit einer KI wirklich kommunizieren zu können. Das Problem ist, dass die meisten Unternehmen im Finanzbereich absolut keine Tech-Unternehmen sind und solche Dinge keine Kernkompetenz von ihnen sind. Was manchmal auch ein Grund ist, warum sie dann später auf diese Dinge aufspringen oder sie dazukaufen, wenn sie ausgereift sind.

STANDARD: Haben Sie Ihrer Erfahrung nach in den letzten Jahren irgendwann schon Probleme mit KI im Finanzbereich erlebt?

Demuth: Die aktuell eingesetzte Technologie ist sehr verlässlich, weil sie nur in sehr abgespeckten Bereichen eingesetzt wird. Prävention habe ich erwähnt, und das läuft ja seit zehn Jahren oder länger. Das ist gar nicht mehr wegzudenken. Spannend wird jetzt im Prinzip sein, wenn wir darüber reden, dass es dann die ersten, sage ich mal, Vorschläge macht, Strategien ausarbeitet, was dabei herauskommt. Viele Bereiche sind aber stark reguliert, etwa der medizinische Bereich, der Lebensmittelbereich und eben auch der Finanzmarkt. Da einfach herumprobieren geht nicht, da würde schnell ein Milliardenschaden entstehen. Das wird nicht passieren. 

STANDARD: Bevor wir über mögliche Anwendungsfälle sprechen: Was mich jetzt vorab interessieren würde, betrifft das Thema KI und die dadurch mögliche Vereinfachung von Arbeitsweisen. Es sollen Aufgaben verkürzt werden, die jetzt Menschen erledigen. Sehen Sie da irgendwelche Veränderungen, die demnächst greifen werden?

Demuth: Ich würde sogar so weit gehen, dass die industrielle Revolution, die Industrialisierung damals im Prinzip sich jetzt wiederholt, nur eben im Büro. Das heißt, wir werden über die nächsten zehn Jahre sicherlich oder noch länger immer wieder Berufszweige sehen, die fast wegfallen beziehungsweise komplett durch Maschinen ersetzt werden. Aber das ist ja nichts Schlechtes, es ist nur eine Umgewöhnung. Es wünscht sich ja auch niemand mehr, aufs Feld zu gehen und zu arbeiten, sondern der möchte jetzt seinen Traktor nutzen. Das heißt, die Arbeit wird effizienter erledigt, obwohl weniger Menschen eingebunden sind. Für die gesamte Gesellschaft ist das eine gute Sache.

Das bedeutet aber auch, dass die Leute, die betroffen sind, sich dem nicht verschließen sollten, sondern jetzt die Gelegenheit ergreifen sollten, diese Technologien sich zu eigen zu machen und ihre eigenen Fähigkeiten auf das nächste Level zu bringen. Was sehr leicht gesagt ist, natürlich, aber es ist etwas, was auch politisch oder in irgendeiner Form nicht verhindert werden kann. Solche Arten von technologischen Revolutionen lassen sich nicht aufhalten. Das sehen wir ja auch in Europa, zum Beispiel mit den ganzen Regulierungen und dem im internationalen Vergleich doch sehr extremem Datenschutz. Was die KI angeht, können wir über das Beispiel Bing reden. Die Browser-Add-ons sind überall auf der Welt gestartet, nur in der EU nicht, weil die EU den Ruf hat, dass man es ohnehin "nicht recht machen kann".

STANDARD: Was läuft falsch?

Demuth: Es ist schlecht, sich von Anfang an, ohne dass etwas da ist, zu überlegen, was könnte alles passieren, um dann Dinge im Keim zu ersticken. Also es ist nicht leicht, nur so, wie die EU aufgesetzt ist, so träge im Sinne von ich habe etwas, wo man sich beschäftigen muss. Und dann, fünf Jahre später, mache ich meine Richtlinien, die dann schon wieder veraltet ist. So funktioniert das in der heutigen Zeit, in dieser extrem schnelllebigen Zeit absolut nicht mehr. Das heißt, die Handlungsfähigkeit muss sein, schneller, flexibler zu reagieren. Wir werden in zwei Jahren über etwas reden, wo heute noch niemand weiß, dass es das überhaupt geben wird, weil es noch gar nicht erfunden wurde. Und in zwei Jahren, wenn wir noch nicht einmal die Sachen umgesetzt haben, die wir jetzt bereden. Das ist das große Problem.

Prompt: "Illustration of a robot in money rain, cartoon design, --ar 3:2
Midjourney/Benjamin Brandtner

STANDARD: Und der Fortschritt geht immer schneller und schneller.

Demuth: Es ist rein rational so, dass es schneller gehen muss, weil die Computerleistung sich fortlaufend massiv erhöht und sich alle paar Jahre verdoppelt. Dementsprechend kommen wir auch irgendwann an den Punkt, wo wir wahrscheinlich abstrakter werden, wo sich im Prinzip die Systeme auch selber weiterentwickeln. Und das ist eine Geschwindigkeit, die dann so stark zunimmt, die wir gar nicht mehr begreifen können. Dementsprechend können wir nicht Modelle nehmen, Gesetzgebung nehmen wie in den 1970er-Jahren, bevor das Internet erfunden wurde, und das auf die heutige Zeit anwenden. Das funktioniert einfach nicht mehr. 

STANDARD: Wo, glauben Sie, dass wir als Mainstream-Anlegerin von KI künftig am meisten profitieren können?

Demuth: Das ist ja genau das, wo wir in der Firma gerade ansetzen. Wir haben ja schon seit einiger Zeit extrem viele interne Prozesse mit KI optimiert. Aber wir machen das jetzt auch so, dass jeder, also dass alle Mitarbeiter Teile ihrer Arbeitszeit jede Woche in KI-Learning stecken sollen, um so ihre Arbeit mit KI zu optimieren. Wir wollen die ganze Firma dahin transformieren, dass wir so eine KI-first-Firma sind. Das hört sich abgedroschen an, aber wir wollen da Vorreiter sein und investieren auch stark in diese Richtung. 

Ich beschreibe es gerne so: Wenn richtig vermögende Menschen bei Privatbanken einen persönlichen Berater zur Seite gestellt bekommen, der dann im Prinzip schaut, wer du bist und welche individuelle Strategie zu dir passt. Egal ob du fünf Euro anlegst oder ein paar Millionen. Dieses System wird besser sein als jeder Mensch, egal welcher Mensch. Niemand auf der Welt kann ansatzweise diese Daten oder überhaupt große Datenmengen verarbeiten und kann quasi in 24 Stunden sofort jede Art von neuen Nachrichten verarbeiten, hat Zugriff zu allen historischen Daten und kann das dann individuell anpassen.

STANDARD: Also wäre die Idee, dass ich als Anleger sage, ich möchte, sagen wir, 2.000 Euro anlegen, gehe in die App rein und sage, ich will investieren. Die KI spuckt mir dann aus, was ihrer Meinung nach für mich passend wäre.

Demuth: Da gibt es verschiedene Themen. Wir wissen beispielsweise nicht, was regulatorisch künftig möglich sein wird. Technisch gesehen ist alles möglich. Es wird immer Leute geben, die spielen wollen. Das ist so und wird auch immer so sein. Es gibt ja nicht die eine Strategie, die für jeden passt. Das, was für meinen Nachbarn passt, kann mich unruhig schlafen lassen. Das ist individuell, und dementsprechend ist es einfach extrem gut, wenn du ein System hast, das quasi immer nur für dich da ist, was du jederzeit nutzen kannst, um es dann zu formen und eine Strategie damit zu bauen. Allerdings wird es noch Jahre dauern, bis der Finanzbereich durch KI-Systeme einfach so nutzerfreundlich und intuitiv werden wird, dass es für jeden in den Alltag integrierbar ist. Wie gesagt, nicht von heute auf morgen, aber es wird passieren. (Alexander Amon, 21.6.2023)