Seit Ende Mai vier gewählte Bürgermeister – Albaner – in den mehrheitlich serbischen Gemeinden im Norden des Kosovo ihr Amt übernehmen wollen, haben sich die Spannungen deutlich erhöht. Serbische Kriminelle verletzten Soldaten der Kosovo Forces (Kfor) schwer. Der Westen fordert von der kosovarischen Regierung deeskalierende Schritte.

STANDARD: Die EU droht dem Kosovo Maßnahmen an, wenn die Sonderpolizei Rosu nicht aus dem Norden des Kosovo abzieht. Was bedeutet das?

Gërvalla-Schwarz: Das ist ein schwerer strategischer Fehler. Drohungen gegen eine verbündete rechtsstaatliche Demokratie, die geltendes Recht und gewählte Vertreter gegen Gewalttäter schützt, welche Handgranaten mit Schrapnellen gegen Kfor-Soldaten einsetzen, sind ein fatales Signal. Das lädt zu Eskalation ein – und der serbische Präsident Aleksandar Vuč ić eskaliert weiter: Serbische Spezialkräfte sind in unser Land eingedrungen und haben drei Polizisten entführt. Diese offene Aggression ist Alarmstufe Rot: Der frühere serbische Präsident Slobodan Milošević hat so 1991 seine Kriege begonnen. Wir warnen seit langem, dass es Tote geben wird, wenn Vučić nicht gestoppt wird. Das Beispiel wird weit über die Region Spuren hinterlassen. Denn es stellt die Prinzipien und die Verlässlichkeit des Westens global infrage, wie wir aus anderen Teilen der Welt hören.

STANDARD: Unter welchen Bedingungen wird die Rosu abgezogen?

Gërvalla-Schwarz: Wie in Wien, Graz oder Linz zieht die Polizei dann ab, wenn gewaltbereite Extremisten nicht länger Rechtsstaat und Bürgermeister bedrohen. Kein Rechtsstaat darf Gewalt und rechtsfreie Räume dulden.

STANDARD: Die USA und die EU verlangen, dass die Bürgermeister außerhalb ihrer Gemeindeämter arbeiten.

Gërvalla-Schwarz: Der Kosovo kann selbst für seine engsten Freunde keinen politischen Selbstmord begehen. Wir dürfen als Westen insgesamt nicht zulassen, dass wenige problematische Diplomaten die Region in einer unheiligen Allianz mit Putins Proxy Vučić in einen Krieg stürzen lassen. Wir jedenfalls werden unser Land verteidigen, weil wir Rechtsstaat und Demokratie verteidigen. Vučić ist nicht mit Geld oder Appeasement zu stoppen, nur mit glasklarer Haltung. Die hat die EU nicht, weil sie nicht einig ist.

Die kosovarische Außenministerin Donika Gërvalla-Schwarz.
EPA/Divisek

STANDARD: Welche Rolle spielt der Kreml in der derzeitigen Situation?

Gërvalla-Schwarz: Der Kreml spielt mit einem Westen, der wie ein Schlafwandler wirkt. Wir warnen seit langem, aber viele westliche Partner, auch Österreich, wollen nicht hören und nicht sehen. Reden, Ratschläge erteilen, das wollen sie. So läuft es leider gut für den Kreml.

STANDARD: Unter welchen Bedingungen kann in den vier mehrheitlich serbischen Gemeinden im Norden neuerlich gewählt werden?

Gërvalla-Schwarz: Das entscheidet die Präsidentin nach Recht und Gesetz, nicht etwa auf Zuruf. Der Westen muss zuvor Vučić daran hindern, wieder mit Drohungen und Gewalt in einem fremden Land zu intervenieren, um Wahlboykott zu erzwingen. Der Westen hatte am 17. März garantiert, dass es bei der Wahl im April nicht zum Boykott kommt. Das Ergebnis ist bekannt, das darf sich nicht wiederholen.

STANDARD: Welche Auswirkungen haben die letzten Geschehnisse auf den Dialog mit Serbien?

Gërvalla-Schwarz: Die Eskalation ist Resultat einer falschen Strategie. Der EU-Beauftragte für den Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo, Miroslav Lajčak, vertritt oft Vučićs Position. Das ist nicht nur tödlich für Mediation; es ermutigt Vučić zur Eskalation. Die Lage ist brandgefährlich, es sind sogar Wagner-Truppen vor Ort. Es braucht dringend eine neue Strategie, auch neues Personal, wenn die Eskalation gestoppt werden soll.

STANDARD: Ihre Regierung hat versprochen, gegen Korruption und Amtsmissbrauch vorzugehen. Welche Ergebnisse gibt es bislang?

Gërvalla-Schwarz: Unser Kampf gegen Korruption wirkt. Wir sind im Anti-Korruptions-Index aufgestiegen. Wir haben auch einen Anstieg bei der Wahrnehmung als Rechtsstaat. Zudem haben wir Rekordeinnahmen bei Steuern und beim Zoll. (Adelheid Wölfl, 21.6.2023)