Flick Deutschland Fußball
Unter Trainer Hansi Flick spielt Deutschland immer schlechter.
IMAGO/Marc Schueler

Während Österreichs Fußballer auf EM-Kurs sind, herrscht in Deutschland nach drei Niederlagen in vier Spielen Angst vor einer Blamage bei der Endrunde 2024. TV-Experte Jan Åge Fjørtoft sieht eine angekündigte Krise im DFB-Team.

STANDARD: In Österreich herrscht Euphorie, Deutschland bemüht ein Jahr vor der Heim-EM Durchhalteparolen. Teamchef Hansi Flick ist angezählt. Bräuchte das DFB-Team einen Trainertypen wie Ralf Rangnick?

Fjørtoft: Abwarten. Österreich soll sich erst einmal für die EM qualifizieren. Ich freue mich für das ÖFB-Team, und ich freue mich doppelt darüber, dass es ein Sieg gegen mein Nachbarland Schweden war. Dass sich Deutschland jetzt etwas von Österreich abschauen soll, das wäre zu viel der Häme. Deutschland weiß halt nicht, in welche Richtung es gehen soll.

STANDARD: Kritiker raten dem DFB-Team zu einem Neustart, ähnlich wie es in Österreich nach dem Wechsel von Foda zu Rangnick passiert ist. Wäre ein Trainerwechsel noch vor der Europameisterschaft ratsam?

Fjørtoft: Deutschland wird nicht alles umkrempeln, nicht ein Jahr vor der Heim-EM eine neue Philosophie finden. Jetzt kann es nur mehr über Euphorie und Spirit funktionieren. Als Rangnick kam, gab es in Österreich auch Skepsis. Ich war von Anfang der Überzeugung, dass er dem österreichischen Fußball guttun wird. Rangnick hat das ganze System durchleuchtet. Das Schöne am Fußball ist, dass du am Feld unmittelbar für deine Fehler bestraft wirst. Im Leben kannst du jahrelang arbeiten ohne gröbere Konsequenzen für deine Fehler, es gibt Zyklen, Entwicklungen. Fußball ist knallhart, du bekommst sofort, was du verdienst.

STANDARD: In Deutschland herrscht auch Fassungslosigkeit ob der zuletzt miserablen Auftritte.

Fjørtoft: Was mich am meisten überrascht, ist, dass die Deutschen überrascht sind. Deutschland steckt schon länger in der Krise, auch wenn man das selbst nicht wahrhaben will. Wir haben nur eine schlechte Halbzeit gehabt in Katar, heißt es dann. Aber das sind Ausreden. Deutschland hatte ein Wochenendticket für Katar, dann sind sie nach Hause gefahren. Auch die Ergebnisse bei der WM 2018 in Russland oder der EM 2021 waren enttäuschend. Da war keine Begeisterung, kein Elan. Das ist kein Vergleich zu früher, als man das DFB-Team als Turniermannschaft immer auf der Rechnung haben musste.

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Nicht nur Jan Age Fjørtoft sieht keine klare Marschrichtung im deutschen Fußball.
Pressefoto Rudel/Robin Rudel via www.imago-images.de

STANDARD: Sitzen die Probleme des DFB-Teams nicht auf der Bank?

Fjørtoft: Es war immer die Rede von einem Neuanfang. Im vergangenen Herbst hätte alles schon besser werden sollen. Jetzt haben wir Sommer, und wieder heißt es Neustart. Ich denke, dass einige Spieler im DFB-Team überschätzt werden. Nicht einmal die Bayern performen international. Der Europacup ist aber Messlatte und Alarmsignal.

STANDARD: Ist Flick tatsächlich "die ärmste Sau", wie Sportdirektor Rudi Völler noch direkt nach der jüngsten 0:2-Niederlage gegen Kolumbien entlastend anführte?

Fjørtoft: Das ist doch nur Theater. Ich liebe Rudi Völler, und ich liebe Hansi Flick. Wo Völler recht hat: Das Hauptproblem ist sicher nicht Flick. Diesen Fußball spielt Deutschland schon seit fünf Jahren, da war Flick noch nicht in der Hauptverantwortung. Also ist er nicht die einzige arme Sau.

STANDARD: Ein Jahr vor der EM hat Deutschland zweieinhalb Stammspieler (Rüdiger, Kimmich, 1/2 Musiala). Findet Flick kein Grundgerüst?

Fjørtoft: Es fehlt eine klare Marschrichtung. Rüdiger ist bei Real Madrid nicht Stammspieler, Kimmich ist kein schlechter Spieler, aber auf seinem Level wird er überschätzt. Symptomatisch: Auf der zentralen Position in der Mitte ist das deutsche Spiel zu langsam. Dann sollte es wieder der Bayernblock richten mit Thomas Müller. Auch das hat in Katar nicht funktioniert. Deutschland ist Weltmeister der Ausreden. Dem DFB-Team fehlt ein Neuner, wenn Füllkrug nicht spielt.

STANDARD: Das DFB-Team war immer stark, wenn die Bayern stark waren. In München herrscht aber trotz Meistertitel Krisenstimmung. Wer zieht da gerade wen runter? Das Nationalteam den FC Bayern oder der FC Bayern das Nationalteam?

Fjørtoft: Die Bayern waren diese Saison in der Champions League am Ende und im Pokal richtig schlecht. Dortmund hat den Bayern am Ende die Meisterschaft geschenkt. Wenn die Spieler der zwei besten Teams für Deutschland aber nicht abliefern, dann hat die Nationalmannschaft immer ein Problem. Andererseits muss man auch sagen, dass die Bayern vor drei Jahren die Champions League gewannen, als das DFB-Team auch schwach war. Man kann das nicht immer so einfach eins zu eins umlegen.

STANDARD: Wäre es überhaupt denkbar, dass der DFB Ralf Rangnick als Teamchef vom ÖFB abwirbt?

Fjørtoft: Natürlich nicht. Rangnick ist ja nicht dumm. Er ist mit Österreich auf einem guten Weg zur EM. Er würde nicht eine Aufgabe übernehmen, wo er nur verlieren kann. Selbst wenn die Deutschen ihn unbedingt wollten. (Florian Vetter, 22.6.2023)