Michael Bonvalot auf einer Demo. 
Michael Bonvalot bei einer anderen Demo, hier mit Maske und auch wieder mit Presseausweis.
Bonvalot

Ein Polizeieinsatz gegen den Journalisten Michael Bonvalot und sein Team, während diese von einer Corona-Demo berichteten, beschäftigte am Freitag weiter Richterin Beatrix Hornschall am Wiener Verwaltungsgericht. Wie DER STANDARD berichtete, brachte Bonvalot eine Maßnahmenbeschwerde ein, weil er, eine Fotografin und mehrere Security-Kräfte von der Polizei keine Hilfe bekamen, als Demoteilnehmer sie beschimpften und bedrängten, sondern von Beamten abgedrängt, einer Identitätsfeststellung unterzogen und angezeigt wurden.

Angezeigt wurden sie unter anderem deswegen, weil sie auf der gesperrten Ringstraße nicht auf dem Gehsteig gegangen waren. Verwaltungsstrafverfahren gegen das Team waren allerdings bereits im Jänner dieses Jahres komplett eingestellt worden – DER STANDARD berichtete.

Beim ersten Verhandlungstag im April beschrieb der Beschwerdeführer Bonvalot selbst sowie seine Kolleginnen und Kollegen im Zeugenstand, wie sie bedrängt wurden. Mehrere Videos, ein besonders langes, das ein Demoteilnehmer live ins Netz gestellt hatte, zeigten eigentlich alles, was sie beschrieben: ein ruhig rückwärts gehendes Medienteam um Bonvalot, der einen Presseausweis um den Hals hängen hatte, und aufgebrachte Demoteilnehmer, die aus dem Zug ausscherten und das Team bedrängten.

Ulan 201 an Anton 102

Die Vorsitzende Hornschall vertagte damals nach mehreren Stunden Verhandlung, und so wurden am Freitag die beiden Zeugen der Polizei unter Wahrheitspflicht einvernommen. Der erste war jener Polizist O., der auf dem Video zu sehen ist, wie er Bonvalot, der nach hinten zurückweicht, teils mit den Händen vor sich herschiebt. O. erzählte, dass er durch einen Funkspruch zur Demo gerufen worden war. Kurz herrschte Verwirrung im Verhandlungssaal über die verschiedenen Funkkreise und die Namen Ulan 201 und Anton 102. Jedenfalls konnte O. aufklären, dass Anton 102 der Einsatzkommandant der Demo, Oberstleutnant J. war, der Verstärkung anforderte, weil die Demoteilnehmer "von Störern" bedrängt werden wie auch die Kollegen.

Sonst habe O. keine Infos gehabt. Was er sah, als er mit zwölf bis 15 Beamten hinzukam, sei ein "Kuddelmuddel" gewesen, erzählt O. in breitem steirischem Dialekt: "Da geht es um Sekunden, wenn es echt klescht." Dass der Beschwerdeführer und sein Team journalistisch arbeiteten, wusste er nicht, er habe Bonvalot damals nicht gekannt und  habe zuerst gedacht: "Das ist jetzt die Antifa."

Warum er glaubte, dass das "die Antifa" sei, will die Richterin wissen. "Weil sie so trist angezogen waren, komplett schwarz, Kapperl, Kapuzen und FFP2-Masken." Jedenfalls will O. dann den Einsatzkommandanten J. gefragt haben, worum es eigentlich gehe. Dann habe er die Gruppe "begleitet" und darauf geachtet, dass sie "nicht über eine Gehsteigkante stolpern oder in eine Straßenlaterne gehen".

Bonvalot habe ihm dann gesagt, "dass man sich vor dem VGW sehe und ich ihn an seiner Arbeit hindere". Dass er Journalist sei, will O. nicht gleich gewusst haben. Ob er den Körperkontakt mit dem Beschwerdeführer vorher angekündigt habe, will Hornschall auch wissen. Er habe Bonvalot "maximal gelenkt", aber nicht gestoßen, sagt O., und nein, keine Ankündigung, das habe sich ergeben, "das habe ich auch nicht als Maßnahme gesehen".

Alles habe "nicht lange gedauert, wir haben nur geschaut, dass wir sie wegkriegen", sagt der Polizist über die Medienleute. Wäre er stehen geblieben, wären ihm vermutlich die Demonstranten "in den Buckl ghupft". Er hatte das Gefühl, es hätte "Bröseln" gegeben, wenn er die Gruppe nicht schnell weggebracht hätte.

"Bröseln"

"Bröseln?" fragt die Richterin nach. "Es war eine aufgeladene Situation. Ich kann nicht beurteilen, wer wen bedrängt hat", sagt der Beamte. Doch er sah eine Gruppe, die aussah "wie die Antifa", und eine Demo mit "großteils Pensionisten". Aus seiner 13-jährigen Erfahrung als Polizist "sind es die schwarz vermummten, die das Problem sind". Aber er könne es heute fast ein Jahr danach nicht mehr sagen, es sei "vier Sekunden hin und her diskutiert" worden, dann sei man eingeschritten.

Vom Anwalt Bonvalots, Clemens Lahner, darauf hingewiesen, dass Bonvalot seinen Presseausweis gut sichtbar um den Hals getragen hatte, meinte der Polizist: "Einen jeden, der einen Presseausweis hat, kannst nicht ernst nehmen." Er führte diese Erkenntnis damit aus, dass man sich ja schon um "70 bis 120 Euro im Internet Presseausweise kaufen kann, wenn man einen Instagram-Account hat".

Aber, räumte der Polizist ein: "Wenn einer anständig arbeitet, lasse ich das schon gelten." Nach welchen Kategorien der Beamte über "anständigen" Journalismus entscheide, fragte die Richterin leider nicht nach.

(Bonvalot hat einen Presseausweis des österreichischen Kuratoriums für Presseausweise, den man sich jedenfalls nicht kaufen kann.)

O. betonte, dass er noch nie mit einer Maßnahmenbeschwerde, einem Disziplinarverfahren oder Misshandlungsvorwürfen konfrontiert gewesen sei: "Ich arbeite sauber." Eine Misshandlung habe man ihm auch nicht vorgeworfen, betonte Anwalt Lahner, man sehe nur die Maßnahme an sich als nicht rechtmäßig.

Sarkastisch oder unprofessionell

Auf einem Video hörte man, wie Bonvalot O. vorwarf: "Sie stoßen mich die ganze Zeit." Und der Polizist antwortete: "Ja, genau." Ob das "sarkastisch gemeint war", will die Richterin wissen. Er "diskutiere nie bei einer Amtshandlung", betonte O., denn das sei "unprofessionell, deshalb gebe ich den Leuten einfach recht". "Warum diskutieren Sie nicht?", fragt die Richterin. O. dazu: "Alle wollen immer unschuldig sein. Ja, sicher. In so einer Situation ist diskutieren unprofessionell. Das bringt nix."

Diese Aussage war deshalb bemerkenswert, weil die Behördenvertreterin, die die Polizei im Verfahren vertritt, am Ende des Verhandlungstages meinte, Bonvalot habe ja nicht gesagt, dass er bedrängt werde, weshalb die Polizei nur die Information gehabt habe, dass sich die Demonstranten gestört fühlten.

O. räumte aber ein, dass er die Situation im Nachhinein mit mehr Informationen als jener von Einsatzleiter J., also "Anton 102", anders eingeschätzt hätte.

Lahner betonte wie schon im April, dass auf allen Videos deutlich zu sehen sei, dass sich Bonvalot und sein Team im Abstand von 40 bis 50 Metern zur Demo befanden und dass sie keineswegs "stritten", sondern sich "schweigend rückwärts bewegten, während sie beschimpft wurden".

Auch die "Vermummung" wird relativiert. Auf Lahners Frage an den Polizisten, ob Bonvalot eine Sonnenbrille, eine FFP2-Maske oder eine Kapuze getragen habe, muss O. jeweils mit "Nein" antworten.

Der Beamte O. betonte, dass er sich vor der Anhaltung noch einmal bei "Anton 102" rückversicherte, dass er diese durchführen sollte. Die Antwort sei "Ja" gewesen, das Funkprotokoll, das dies belege, liege ihm vor. Womit O. die Verantwortung für die Maßnahme auf J. schob. Dieser kam dann selbst in den Zeugenstand.

Verantwortung übernahm er aber auch nicht. Er habe an dem Tag etwa 100 bis 120 Personen befehligt. Seine Aufgabe sei gewesen, für Ruhe, Sicherheit und Ordnung zu sorgen – "und dass sie ihren Marsch durchführen können". Mit "sie" meinte J. die Demonstranten im Gefolge des Demoorganisators Hannes Brejcha, neben dem J. selbst an der Spitze des Demozuges marschierte.

Brejcha war einer der ersten Anführer der sogenannten Querdenker-Demos zu Beginn der Pandemie. Er wurde auch in Gesellschaft des Neonazis Gottfried Küssel gesehen und verwendete in seinen Reden antisemitische Codes.

Das Anliegen des Herrn Brejcha

Es sei am 10. September 2022 jedenfalls "der Herr Brejcha" gewesen, erzählt J., der ihm gesagt habe: "Der da stört meine Veranstaltung." J. habe sich dann umgedreht und "Geschrei" wahrgenommen. "Ich habe Herrn Brejcha gesagt, ich kümmere mich darum, und habe eine Gruppe hingeschickt." Als die per Funk angeforderte Gruppe von O. vor Ort war, habe J. "gesehen, es kümmert sich wer um das Anliegen von Herrn Brejcha. Ich habe meinen Weg an der Spitze des Demozuges fortgesetzt."

Er habe nicht "vorgegeben, wie diese Amtshandlung auszusehen habe, das kann ich gar nicht".

Auch wer mittels Funk durchgegeben hatte, dass man die Identitätsfeststellungen unterlassen solle, wisse J. nicht und bringt hier einen eventuellen "behördlichen Einsatzleiter" ins Spiel. Ob es diesen gegeben habe, wisse er aber nicht, so J. Die Behördenvertreterin weiß das auch nicht.

Bonvalot kenne er zwar seit zwei Jahren von Demos, habe aber nicht gewusst, dass er Journalist sei, sagt J.

Dass Medien als "Systemmedien" und "Lügenpresse" (einem Begriff, der in der NS-Zeit gebräuchlich war) verunglimpft werden und es auf Corona-Demos immer wieder zu teils gewalttätigen Übergriffen auf Journalistinnen, Reporter und TV-Teams kam, ist hinreichend dokumentiert und wurde auch vom Innenministerium als Problem erkannt. Deswegen hat man vor über zwei Jahren damit begonnen, auf solchen Kundgebungen eigene Medienkontaktbeamte abzustellen.

J. will von der Feindseligkeit gegenüber Medien nichts mitbekommen haben. Dass es Medienkontaktbeamte gibt, wisse er. Jenen, der an besagter Demo teilnahm, kenne J. aber nicht. Was dann deren Aufgabe sei, fragt Anwalt Lahner nach. Einsatzkommandant J. antwortet: "Zu Medien Kontakt halten. Fragen beantworten."

Ob er denn mit Brejcha schon öfter bei Demos zu tun gehabt habe, fragt Lahner nach. J. sagt: "Geredet öfter, zu tun nicht." Die Behördenvertreterin kommt J. zu Hilfe: Brejcha sei nicht Gegenstand dies Verfahrens, wendet sie ein. Die Richterin lässt das nicht gelten: "Das interessiert mich aber auch."

"Rechtswidrig"

Clemens Lahner sieht in seinem Schlussstatement als "Grundlage für das Einschreiten gegen den Beschwerdeführer" allein die "Wahrnehmung" des Einsatzkommandanten J., und der habe selbst "ausdrücklich keine Verwaltungsübertretung" wahrgenommen. Er habe "lediglich einen Tumult oder ein Wortgefecht aus der Distanz wahrgenommen und auf Ansuchen von Brejcha gehandelt". Und O. habe angegeben, gehandelt zu haben, weil ihm J. mitgeteilt habe, eine "Ordnungsstörung" liege vor. Die Wegweisung von Bonvalot und seinem Team sei "schon dem Grunde nach rechtswidrig", schließt Lahner.

Fünf weitere Videos vom 10. September 2022, die Lahner noch nachreichte, will sich Richterin Hornschall noch ansehen. Das Urteil wird schriftlich ergehen. (Colette M. Schmidt, 23.6.2023)