Von Sebastian Borger, London

Brutale Kritik von Medien und Mitgliedern der konservativen Regierungsfraktion, schwere Zweifel von Fachleuten, bestenfalls halbherzige Unterstützung durch die Regierung: Nach der unerwartet großen Zinserhöhung stand die Bank of England (BoE) am vergangenen Wochenende im Kreuzfeuer der Kritik. Der zuständige Monetaritätsausschuss unter Leitung von BoE-Gouverneur Andrew Bailey hatte sich am Donnerstag für eine Erhöhung um 50 Basispunkte entschieden.

Der neue Leitzins von fünf Prozent, gekoppelt an die Erwartung eines wirtschaftlichen Abschwungs, verursachte an den Finanzmärkten eine Abschwächung des Pfundes sowie Rekordzinsen für Regierungsanleihen. Er sei "zu 100 Prozent" auf die wirtschaftlichen Probleme des Landes konzentriert, beteuerte Premierminister Rishi Sunak.

Die Flagge Großbritanniens weht in London
Den Briten weht den Briten rauer Wind ins Gesicht.
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Die Entscheidung des Zentralbank-Gremiums fiel mit sieben zu zwei Stimmen. Angeführt vom Gouverneur gab sich die Mehrheit entschlossen, man müsse der hartnäckig hohen Inflation endlich beikommen. Die beiden Abweichler wollten bei 4,5 Prozent bleiben und abwarten, wie sich die Teuerung über den Sommer entwickelt.

Wie andere Zentralbanken der westlichen Welt hatte die BoE zu lang die Inflation infolge der Covid-Pandemie unterschätzt. Seither wurde der Zinssatz zwölfmal erhöht, meist um 25 Basispunkte. Auch diesmal hatten die Londoner Finanzmärkte mehrheitlich einen kleinen Schritt erwartet; doch Erhöhung Nummer 13 fiel deutlicher aus. Die Entscheidung kam einen Tag nach der Veröffentlichung der Inflationsrate für Mai: Gegen alle Erwartungen stagnierte die Gesamtteuerung bei 8,7 Prozent; die Kerninflation – ohne die stark schwankenden Faktoren Energie und Lebensmittel – stieg sogar auf das höchste Niveau seit 1992.

Schwere Last für Kreditnehmer

Die Leitzinserhöhung stellt besonders für Hausbesitzer mit hohen Hypotheken eine schwere Last dar. Traditionell waren auf der Insel die meisten Hauskredite an den flexiblen Leitzins gebunden; dies hat sich in den vergangenen 20 Jahren zugunsten von Hypotheken mit länger festgelegtem Zinssatz verändert. Ökonomen schätzen die Zahl der unmittelbar betroffenen Haushalte auf 1,4 Millionen.

Viele andere Häuslbauer aber dürften den neuen Höchstsatz zu spüren bekommen, wenn ihr derzeitiger Kredit ausläuft. Wichtige Hypothekenbanken wie Nat West und TSB haben eine Anhebung ihrer Kreditzinsen angekündigt. Nach einem Gespräch mit Finanzminister Jeremy Hunt sagten die Firmen am Freitag aber auch zu, Kreditnehmer in Nöten könnten sich zeitweilig auf die Bedienung der anfallenden Zinsen beschränken.

Die beiden Abweichler der Zinsentscheidung erhielten Schützenhilfe von langjährigen BoE-Kritikern wie David Blanchflower. Dass Gouverneur Bailey das derzeitige Niveau von Preis- und Lohnerhöhungen als "untragbar" bezeichne, deute auf eine falsche Analyse hin, sagt der Ökonomieprofessor und Ex-Zentralbanker: "Das ist Inkompetenz." Denn das reale Lohnniveau liege derzeit auf dem Stand von 2007, während Unternehmen weiterhin hohe Gewinne verzeichneten. Blanchflower sagt für die kommenden Monate einen Absturz der Inflation voraus: "Das Vertrauen in die Bank of England liegt auf einem Rekordtief."

Schwere Vertrauenskrise

Tatsächlich stecken Bailey und seine Institution seit Monaten in einer schweren Vertrauenskrise. Schon im vergangenen Jahr empörte er Gewerkschafter mit der Aussage, Arbeitnehmer sollten nach jahrelangem realem Einkommensverlust bei Lohnverhandlungen Zurückhaltung üben. In den vergangenen Monaten ließ sich der 64-Jährige immer wieder zu viel zu optimistischen Vorhersagen hinreißen, was die Finanzmärkte verärgerte.

Der Premierminister Rishi Sunak zeichnet ein Fernsehinterview im Garten von Downing Street 10 auf.
Schlechte Nachrichten für Premier Sunak, die Staatschulden sind deutlich gestiegen.
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Im Mai musste er sich harsche Kritik durch die Mitglieder des mächtigen Finanzausschusses im Unterhaus gefallen lassen. Die Zentralbank habe "viel dazuzulernen", räumte der Gouverneur ein und bezeichnete das bewährte BoE-Prognosemodell als "kaputt". Die Zentralbank sei offenbar "am Steuer eingeschlafen", glaubt der einflussreiche Tory-Hinterbänkler John Baron. Noch brutaler sagt es Ex-Minister Jacob Rees-Mogg: "Der Gouverneur ist der oberste Vogel Strauß, mit dem Kopf im Sand."

Die Brexit-Insel schneidet bei der Teuerungsrate deutlich schlechter ab als die vergleichbar großen Volkswirtschaften in der Eurozone. Deutschland verzeichnete im Mai eine Inflation von 6,1 Prozent, Frankreich 5,1 und Italien 7,6 Prozent. Die Kerninflation sank in allen Nachbarländern mit Ausnahme der Niederlande. Die Statistiker machten für den hohen Wert Großbritanniens unter anderem teurere Flugtickets, Spielzeug und Konzertkarten verantwortlich.

Für Premier Sunak und Finanzminister Hunt hielten die Statistiker diese Woche aber noch andere düstere Daten bereit. So hat die Staatsverschuldung erstmals seit 1961 die Schallmauer von 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts durchbrochen. Britische Staatsanleihen notieren höher als im Herbst, als Sunaks Vorgängerin Liz Truss die Märkte mit einem Paket von Steuersenkungen ohne Gegenfinanzierung erschreckt hatte. Die Rückzahlung der Staatsschulden wird dadurch teurer. "Spanien, Italien und Griechenland zahlen derzeit geringere Zinsen als wir", betont Ökonom Blanchflower.

Düstere Aussichten

Politisch sind die düsteren Wirtschafts- und Finanzaussichten Gift für die schlingernde konservative Regierung, die gerade erst den Skandal rund um Ex-Premier Boris Johnson hinter sich gelassen hat. Sunak hatte zu Jahresbeginn mehrere Versprechen abgegeben. Dazu gehörte eine Halbierung der Inflationsrate bis zum Jahresende auf 5,5 Prozent sowie die Reduzierung der Staatsschulden. Beide Vorhaben stehen auf ähnlich tönernen Füßen wie das Ziel eines spürbaren Wirtschaftswachstums. Die Zentralbank habe die Aufgabe, die heißgelaufene Volkswirtschaft zu bremsen, sagt Karen Ward von JP Morgan Asset Management: "Sie muss eine Rezession durchsetzen."

Schon jetzt schlägt die Opposition dem fünften Tory-Premier seit 2016 die schlechte Wirtschaftslage um die Ohren. Labour-Chef Keir Starmer sprach im Unterhaus von einer bevorstehenden "Hypothekenkatastrophe" und höhnte, Sunak sei mehr am kalifornischen Immobilienmarkt interessiert als an den heimischen Problemen – eine Anspielung darauf, dass der millionenschwere Ex-Investmentbanker und seine schwerreiche Gattin in Santa Monica eine Villa besitzen.

Brexit-Jahrestag

Deutlicher werden rund um den siebenten Jahrestag des Brexit-Referendums an diesem Freitag auch die Stimmen in der Öffentlichkeit, die den von Sunak befürworteten EU-Austritt für einen schweren strategischen Fehler halten, der entscheidend zu den wirtschaftlichen Problemen beiträgt. Eine Studie der London School of Economics (LSE) ergab im vergangenen Monat: Zur gewaltigen Erhöhung der Lebensmittelpreise um ein Viertel seit 2019 tragen die Brexit-Handelsbarrieren acht Prozent bei. Die Abwanderung vieler EU-Europäer aus Kernbranchen wie der Gastronomie, dem Einzelhandel und dem Hotelgewerbe hat zudem zu schweren Personalengpässen geführt – mit der Folge, dass die verbliebenen Arbeitnehmer deutliche Lohnerhöhungen fordern und erhalten konnten.

Zuletzt verzeichnete die Privatwirtschaft im Durchschnitt um sieben Prozent höhere Löhne und Gehälter, was die streikenden Angestellten im öffentlichen Dienst neidvoll zur Kenntnis nehmen. Beim überaus erfolgreichen deutschen Diskonter Lidl erhielten die Angestellten zuletzt Stundenlohnerhöhungen von bis zu 13,7 Prozent. Der Mindestlohn stieg im April um 9,7 Prozent. (Sebastian Borger aus London, 26.6.2023)