Die Außenminister Gordan Grlić Radman (Slowakei), Jan Lipavský (Tschechien), Alexander Schallenberg (Österreich) und Miroslav Wlachovský (Slowakei) zeigen vor dem Schloss Göttweig ihre
Vier Außenminister der EU zeigen ihre "Göttweiger Erklärung". Von links nach rechts: Gordan Grlić Radman (Slowakei), Jan Lipavský (Tschechien), Alexander Schallenberg (Österreich) und Miroslav Wlachovský (Slowakei)
APA/BMEIA/MICHAEL GRUBER

Vor der prachtvollen barocken Fassade der Stiftskirche in Göttweig präsentierte Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Kroatien, Tschechien und der Slowakei am Freitag die "Göttweiger Erklärung". Die vier Staaten fordern darin, den EU-Beitritt der Westbalkanstaaten "mit neuem Elan voranzutreiben und zu beschleunigen". Die Integration solle mit konkreten Umsetzungsschritten bis 2024 und danach erfolgen.

Schallenberg meinte, die Erweiterung sei ein Lackmustest für Europa. Man könne entweder Stabilität nach Südosteuropa bringen, "oder wir haben versagt". Die vier Minister kamen zu dem Schluss, dass Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine auch eine Bedrohung der Sicherheit für den Westbalkan darstelle.

In den potenziellen EU-Kandidaten-Staaten auf dem Westbalkan weiß man das längst. Die Göttweiger Erklärung hat aber in der Region keinerlei Hoffnung auf einen baldigen EU-Beitritt ausgelöst. Sie ging unter. Denn die Südosteuropäer haben in den vergangenen 20 Jahren vor allem gelernt, dass sie dauernd vertröstet werden, und schenken schönen Worten aus der EU keinen Glauben mehr.

In den meisten Balkanstaaten – abgesehen von Serbien – wird ein EU-Beitritt laut Umfragen mehrheitlich positiv gesehen, nur glaubt kaum noch jemand, dass er irgendwann stattfinden wird. Das hat einerseits damit zu tun, dass die Reformen in den Staaten selbst fehlen, andererseits liegt es am Unwillen wichtiger EU-Mitglieder. 2008 taten die damalige deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy kund, dass man eine neuerliche Erweiterungsrunde vergessen könne. Nach Kroatien, das 2013 beitrat, solle vorerst Schluss sein.

Gefährlicher Reformstopp

Das Signal an die Region wirkte: Ohne ein ernsthaftes Angebot war kaum jemand mehr bereit, sich für Verwaltungsreformen, Rechtsstaatlichkeit oder Medienfreiheit einzusetzen. Die deutsch-französische Taktik der "strategischen Geduld" hatte aber nicht nur einen Reformstopp zur Folge. Andere Mächte wie China und Russland engagierten sich zunehmend auf dem Balkan.

In Brüssel tat man indes weiterhin so, als würde es eine Erweiterung geben. Mit Montenegro wurde verhandelt. Auch mit Serbien wurden sämtliche Verhandlungskapitel eröffnet. Die zunehmend autokratisch agierende Regierung unter Präsident Aleksandar Vučić wird permanent mit Geld überschüttet, gleichzeitig betreibt genau diese Regierung über ihre Medien prochinesische, antieuropäische und prorussische Propaganda.

Andere Regierungen, die viel reformbereiter, liberaler und prowestlicher sind, wurden indes blockiert. Besonders schlimm traf es Nordmazedonien. Zunächst legte Griechenland jahrelang sein Veto ein, dann Frankreich und nun Bulgarien. Nordmazedonien bekam gleichzeitig mit Kroatien im Jahr 2005 den Kandidatenstatus. Es könnte längst in der EU sein, wenn sich ein paar große Staaten dafür einsetzen würden.

Umstrittene Verfassungsänderung

Doch nun haben die anderen EU-Staaten zugelassen, dass Sofia weiteres Erpressungspotenzial gegenüber Skopje aufbaut. Bulgarien verlangt, dass Nordmazedonien, das im Sinne Griechenlands sogar seinen Namen für die EU-Erweiterung änderte, die Bulgaren als "Volk" in die Präambel der Verfassung aufnimmt. Für so eine Änderung fehlt es allerdings an einer parlamentarischen Mehrheit. So können andere EU-Staaten weiterhin ihre eigene Erweiterungsskepsis hinter dem Veto der bulgarischen Nationalisten verstecken.

Die Diskrepanz zwischen denen, die eine rasche Erweiterung fordern, und den tatsächlichen Umständen vor Ort ist in Bosnien-Herzegowina besonders gut sichtbar. Während sich Diplomaten im Vorjahr in Brüssel wechselseitig auf die Schulter klopften, weil Bosnien-Herzegowina der EU-Kandidatenstatus verliehen wurde, kümmerten sich die Bosnierinnen und Bosnier nicht darum. Sie treibt vor allem um, dass der Pro-Kreml-Politiker Milorad Dodik versucht, die Institutionen auszuhöhlen, den Staat zu untergraben und den Landesteil Republika Srpska abzuspalten.

Als besonders negativ hat sich auch die Tatsache herausgestellt, dass der Kommissar für Erweiterungsverhandlungen, Olivér Várhelyi, die Agenda von Ungarns rechtspopulistischem Premier Viktor Orbán ausführt. Ihm geht es in erster Linie um Geschäfte und um die politische Zusammenarbeit mit anderen illiberalen und nationalistischen Kräften wie Vučić oder dem bosnisch-serbischen Sezessionisten Milorad Dodik.

Stolperstein Frankreich

Die Antwort auf die Frage, ob es doch irgendwann eine Erweiterung auf dem Westbalkan geben wird, liegt am Ende zu einem großen Teil bei Frankreich. Dessen Präsident Emmanuel Macron betonte immer wieder, dass die EU in ihrem jetzigen Zustand nicht in der Lage sei, auch nur ein einziges neues Mitglied aufzunehmen.

Abgesehen davon ist in Frankreich für jede künftige EU-Erweiterung ein Referendum vorgesehen, und es ist nicht damit zu rechnen, dass die Franzosen, die sich ohnehin nicht für den Balkan interessieren, plötzlich begeistert sein werden, wenn zugelassen wird, dass Nordmazedonien oder Montenegro so weit kommen. (Adelheid Wölfl, 26.6.2023)