Sterbehilfe, Sterbeverfügungsgesetz, Kritik, Verfassungsgerichtshof
Das medizinische Fachpersonal, das sie beraten hat, dürfe die Patienten beim letzten Schritt nicht mehr begleiten, kritisiert die ÖGHL.
imago images/sepp spiegl

Seit Jänner 2022 ist in Österreich die Sterbehilfe für schwerkranke Erwachsene gesetzlich erlaubt. Nun kritisiert die NGO Österreichische Gesellschaft für humanes Lebensende (ÖGHL) das Sterbeverfügungsgesetz: Dieses erfordere Nachbesserungen, weswegen sie nun den Verfassungsgerichtshof (VfGH) anrief, berichtet das Ö1-"Morgenjournal". Der VfGH hatte 2020 das neue Gesetz angestoßen, indem er urteilte, dass das absolute Verbot jedweder Beihilfe zum Suizid verfassungswidrig ist.

Wer sich aktuell für einen selbstbestimmten Tod entscheidet, kann eine Sterbeverfügung errichten, sofern er oder sie schwer oder tödlich erkrankt ist und nicht mehr geheilt werden kann. Seit der Legalisierung der Sterbehilfe haben 198 Personen eine solche Verfügung erhalten. Daraufhin wurden bisher 160 Präparate abgegeben. Unklar ist allerdings, wie viele tatsächlich eingenommen wurden: Sollte Fachpersonal bei der Totenbeschau annehmen, dass Sterbehilfepräparate eingenommen wurden, muss dies gesondert gemeldet werden – aktuell befindet sich die Zahl laut Gesundheitsministerium auf Ö1-Anfrage im einstelligen Bereich. Das heißt, dass entweder nur ein Bruchteil jener, die ein Präparat erhalten haben, dieses tatsächlich eingenommen hat – oder dass die Einnahme selten festgestellt wird.

Die ÖGHL kritisiert, dass der Weg bis zum Erhalt des Präparats zwar streng geregelt sei, danach sei das Gesetz aber zu lasch. Betroffene würden letztlich mit dem Präparat allein gelassen, sagt Isolde Lernbass-Wutzl von dem Verein. Denn das medizinische Fachpersonal, das sie beraten habe, dürfe die Patienten beim letzten Schritt nicht mehr begleiten. Dabei sei der Beratende üblicherweise "der Arzt des Vertrauens", sagt Lernbass-Wutzl. Dass die Einnahme privat daheim erfolgen könne, sei "unprofessionell". "Das kann man nur ärztlich geführt machen", findet die Medizinerin.

In der Schweiz würden Sterbewillige etwa in eigenen Einrichtungen professionell begleitet, anstatt den letzten Schritt ohne Unterstützung gehen zu müssen. Aus Lernbass-Wutzls Sicht braucht es eine Planung, damit die Einnahme nicht im Affekt passiere und womöglich bereut werde oder Betroffene in Panik gerate.

Das Gesundheitsministerium argumentiert mit einem möglichst hohen Maß an Selbstbestimmung. Deswegen gebe es auch ein Werbeverbot für die Maßnahme. Auch das kritisiert der ÖGHL: Es komme einem Informationsverbot gleich, etwa für Hausärztinnen oder Palliativstationen. "Uns erreichen viele Anfragen von Hilfesuchenden, die sich im Gesetz nicht zurechtfinden", sagt Lernbass-Wutzl. "Wir würden gerne helfen, dürfen aber nicht.”Änderungen an dem Gesetz sind laut Ö1 derzeit nicht geplant. Nun sei der VfGH am Zug. (muz, 26.6.2023)