Auch wenn die Zukunft Jewgeni Prigoschins, des Chefs der russischen Wagner-Gruppe, noch ungewiss ist: Fest steht, dass seine Söldnertruppe ihr Unwesen zumindest in Afrika weiterhin treiben wird – unter welchem Namen oder wessen Kommando auch immer. Denn das Netzwerk, das Wladimir Putins ungehorsamer Koch in den vergangenen Jahren über den Kontinent gezogen hat, ist für Moskau viel zu wichtig, um es einfach aufzulösen. Da sind sich Fachleute einig: "Wagner wird in Afrika weiter existieren", sagt ein französischer Diplomat, "mit oder ohne Prigoschin."

Derzeit sollen sich rund 5.000 russische Söldner auf dem Kontinent befinden: Sie sind vor allem in Mali, in Libyen und der Zentralafrikanischen Republik aktiv. Dabei handelt es sich allerdings nur um die kämpfende Truppe: Das Phänomen Wagner ist wesentlich umfangreicher und umfasst Geschäftsleute, Geologen, Minen-Ingenieure und Kommunikationsexperten, die Prigoschins Trollbabrik, die "Internet Research Agency", bedienen.

Der südafrikanische Investigativjournalist Julian Rademeyer befasst sich schon lange mit der Wagner-Gruppe: Ihm zufolge hat sie sich über die Jahre in ein "Netzwerk von Geschäftsleuten und Geschäftemachern" entwickelt: Moskaus wichtigstes Werkzeug zur Förderung seiner wirtschaftlichen und politischen Interessen in Afrika. Hatte der Kreml Wagners Existenz lange grundsätzlich geleugnet, wird heute höchstens noch bestritten, dass die Gruppe ihre Befehle aus dem Kreml erhält: Nach dem Exil Prigoschins wird sich auch das nicht länger leugnen lassen.

Politik nach Mafia-Art

Nach den Worten Rademeyers funktioniert das Wagner-Netzwerk ohnehin wie die russische Regierung – nach den "Strukturen des organisierten Verbrechens", schreibt der Journalist in einer Studie der Genfer "Globalen Initiative gegen transnationales organisiertes Verbrechen" (GI-TOC). Wladimir Putin setze Wagner als "diplomatisches Instrument" in Afrika ein: In den Zeiten der Sanktionen sei das Netzwerk für Moskau wichtiger als je zuvor.

Malische Demonstranten halten ein Plakat mit dem Gesicht Putins in die Kamera.
Als die Wagner-Welt für den Kreml noch in Ordnung war: Demonstration in Mali, wo Wagner russische Interessen durchsetzt, mit dem Konterfei Wladimir Putins.
AP

Dass es die Gruppe nach der Meuterei und des Exils ihres Gründers in Afrika schwerer haben wird, ist ebenfalls nicht zu erwarten. Unter demokratischen Regierungen galt ihr Ruf schon zuvor als wenig solide, was autokratische oder unter Druck geratene Präsidenten und Militärherrscher nicht daran hinderte, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Im Sudan versuchte sich Militärdiktator Omar al-Baschir mit ihrer Hilfe – vergebens – an der Macht halten; in der Zentralafrikanischen Republik sollen die Söldner Faustin Archange Touadéra vor dem Ansturm der Rebellen schützen und in Mali die Militärregierung in ihrem Kampf gegen islamistische Extremisten unterstützen. Die Wagner-Gruppe sei eine "Lebensversicherung für gescheiterte Regime", meint Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: Ob sie von Prigoschin oder künftig vielleicht vom Kreml selbst gesteuert wird, spielt für sie keine Rolle.

Massaker an Zivilisten

Die Chefs dieser Regime stören sich nicht einmal daran, dass es den Söldnern auf das Wohl der jeweiligen Bevölkerung nicht ankommt. In Mali war die Wagner-Truppe nach einer UN-Untersuchung an einem Massaker von mehr als 500 Zivilisten beteiligt: Die Militärregierung suchte daraufhin die UN-Mission loszuwerden. Einer Studie des "Armed Conflict Location and Event Data Project" zufolge gilt mehr als die Hälfte der militärischen Operationen der Wagner-Truppe in der Zentralafrikanischen Republik der Zivilbevölkerung. Und im Sudan versorgen die russischen Söldner die "Rapid Support Forces" mit Waffen, die in Darfur zu Kriegsverbrechen eingesetzt werden.

Spirituosen in einem Schaufenster in Bangui.
Russische Getränke stehen in der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, Bangui, zum Verkauf. Abnehmer sind die Wagner-Söldner, die die dortige Regierung stützen.
APA/AFP/BARBARA DEBOUT

Ein Ende derartiger Missstände wäre höchstens dann möglich, wenn die Afrikanische Union den Einsatz von Söldnern verbieten würde, meint der Politologe John Clark von der Florida International University. Doch weil die Auftraggeber der Wagner-Gruppe selbst im Staatenbund sitzen, sei von dort "nichts zu vernehmen".

"Transnationale kriminelle Organisation"

Immerhin stufte die US-Regierung die Söldner-Truppe im Jänner als "transnationale kriminelle Organisation" ein und fror ihre in den USA gehaltenen Guthaben ein. Kürzlich geplante weitere Sanktionen wurden indessen aufgeschoben: weil die US-Regierung im innerrussischen Konflikt nicht parteiisch erscheinen wollte. Auch die EU erließ Sanktionen gegen Prigoschin und Co: Doch das über den Kontinent gespannte wirtschaftliche Netzwerk ist davon nicht betroffen.

Die Wagner-Gruppe hat sich vor allem Schürfrechte in den Goldminen von Mali, dem Sudan und der Zentralafrikanischen Republik gesichert: Von der dortigen Hauptstadt Bangui rollen wöchentlich drei Lastwagenkonvois in Kameruns Hafenstadt Douala. Die westliche Kritik an dieser Art von Ausbeutung höre sich allerdings heuchlerisch an, meint Joseph Sany vom New Yorker Institute of Peace: "Denn nichts anderes tun westliche Staaten schon seit Jahrhunderten." (Johannes Dieterich, 27.6.2023)