Michael Liendl verabschiedet sich.
Der GAK war eine frühe und auch die letzte Station von Mittelfeldspieler Michael Liendl.
APA/ERWIN SCHERIAU

Sucht man bei Youtube nach "Michael Liendl", ist schon das vierte Video ein Hit. Drei Straßenmusikanten singen eine Ode auf den Mittelfeldspieler: "Michi Liendl, du bist der Beste." Ein absoluter Ohrwurm. Der gebürtige Grazer war Experte für die ruhenden Bälle und beendete mit der vergangenen Saison eine Karriere, die von Erfolgen, aber auch von Tragik geprägt war.

STANDARD: Die wichtigste Frage vorweg: Wie schießt man den perfekten Freistoß, den perfekten Corner?

Liendl: Indem man es genetisch mitbekommen hat. Aber im Ernst: viel Übung, viel Arbeit, viel Training. Aber nicht nur Freistoßtraining, sondern weite Bälle, weite Pässe. Und irgendwann entwickelt sich dann ein Gefühl. Es ist also eine Mischung aus Training und Talent.

STANDARD: Eine etwas fadere, aber unabdingliche Abschiedsinterviewfrage: Was waren die Highlights Ihrer Karriere?

Liendl: Es waren so viele schöne Momente dabei – natürlich der Aufstieg mit Kapfenberg, die Zeit bei der Austria, die Europacup-Auftritte mit dem WAC, die Einberufung ins Nationalteam und besonders der Wechsel zu Fortuna Düsseldorf. Es war immer mein Traum, im Ausland zu spielen.

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Michi Liendl du bist der BESTE, Michi Liendl du bist der BESTE, Michi Liendl du bist der BESTE, Michi Liendl du bist der BESTE, Michi Liendl du bist der BESTE, Michi Liendl du bist der BESTE...
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STANDARD: Gibt es Entscheidungen, die Sie bereuen?

Liendl: Nein. Ich bin aber auch niemand, der der Vergangenheit groß nachjammert.

STANDARD: Vielleicht nicht nachjammern, aber gab es etwas, das Sie noch gerne erreicht hätten, oder einen Verein, der Sie vielleicht zu Unrecht übersehen hat?

Liendl: Ja, ein paar Champions-League-Partien wären cool gewesen. Und natürlich hätte ich gerne das eine oder andere Länderspiel mehr bestritten. 

STANDARD: Sie haben 2014 unter Marcel Koller debütiert, wurden gegen Tschechien eingewechselt. Unterm Strich stehen 27 Minuten. Sie haben einmal gesagt, dass Ihnen die Lobby fehlte. Wie ist das gemeint?

Liendl: Ich bin nach wie vor der Meinung, dass ich damals auf Vereinsebene richtig gut performt habe und mir mehr Einsätze verdient gehabt hätte. Ich war einer der besten Spieler in der zweiten deutschen Liga und habe auch heute noch das Selbstvertrauen, zu sagen, dass da mehr drin gewesen wäre. Ich möchte natürlich niemandem etwas absprechen und dem auch nicht nachjammern, weil ich froh und dankbar bin, überhaupt einmal dabei gewesen zu sein. Es gab keinen Kontakt zu den Entscheidungsträgern, vielleicht wäre das mit einer besseren Lobby anders gelaufen.

STANDARD: Sie haben neben den schönen Momenten in Ihrer Karriere auch ein gewisses Händchen für Tragik. Nehmen wir den 30. 5. 2017, Sie waren Kapitän bei 1860 München und mussten in der Relegation gegen Jahn Regensburg aus der zweiten deutschen Liga absteigen

Liendl: Es war brutal emotional. Das Hinspiel endete 1:1, Regensburg hat einen Elfer verschossen, und wir dachten, dass es eigentlich gut für uns läuft. Beim Rückspiel vor über 60.000 Fans in der Allianz-Arena kamen wir irgendwie in einen Strudel, und der endete in der Niederlage und dem Abstieg. Ich habe länger gebraucht, um das zu verdauen. Der Verein war ein Klub der Extreme: Wenn du gewinnst, sagen alle, du steigst auf – wenn du verlierst, heißt es, du steigst ab. Das ist Fluch und Segen zugleich, weil man einerseits schnell eine Euphorie entfachen kann, andererseits tut es nicht gut, immer in diese Extreme zu schwappen. Insgesamt war es aber eine coole Zeit.

STANDARD: Zu einer Wunde, die noch frischer ist: Mit dem GAK haben Sie in Ihrem letzten Spiel vor drei Wochen mit dem 1:1 in Dornbirn die Rückkehr in die Bundesliga verpasst.

Liendl: Das war noch einmal heftiger und vielleicht das Schlimmste, das mir je im Fußball passiert ist. Natürlich kann man sagen, wir sind Zweiter geworden, also eh nicht so schlimm, aber die Vorgeschichte und der Verlauf der Saison haben zu all der Brutalität des Moments beigetragen. 

STANDARD: Nach der Niederlage im Heimspiel gegen Blau-Weiß Linz waren die Chancen nicht mehr sehr groß.

Liendl: Man hat uns schon für tot erklärt, und plötzlich haben wir alles gewonnen und eine unglaubliche Mentalität und Arbeit auf den Platz gelegt. Und dann passiert es in den zehn Minuten in Dornbirn, dass du den großen Coup nicht landest. Ich war fußballerisch gesehen noch nie so leer wie nach der Partie, und ich habe auch noch nie so lange gebraucht, um das zu verarbeiten. Dazu kam, dass das meine letzte Partie war. Es tut einfach sehr, sehr weh.

Michael Liendl.
Auch beim WAC hat Liendl einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
APA/EXPA/FLORIAN SCHROETTER

STANDARD: Ihnen wurde immer wieder nachgesagt, dass Sie nicht schnell genug wären oder dass Ihnen die Robustheit fehlen würden. 

Liendl: Und gespielt habe ich im Endeffekt immer. Wenn man im Fußball einmal in einer Schublade ist, ist es schwierig, da wieder rauszukommen. Ich sage das ohne Genugtuung, aber Fakt ist, dass ich mich überall durchsetzen konnte.

STANDARD: Sie sind der Inbegriff eines zentralen Mittelfeldspielers, eines klassischen Zehners. Hat sich der Anspruch an diese Rolle in den vergangenen Jahren verändert?

Liendl: Ich denke schon. Früher konnte man es sich als Zehner leisten, nicht so viel für den Mannschaftsverbund zu arbeiten. Man hatte seine ein, zwei Offensivmomente, und das war's. Das geht heute nicht mehr. Es ist viel schneller und robuster geworden. Und weil man mir das ja manchmal vorgeworfen hat: Wenn man sich meine Statistiken anschaut, war ich läuferisch immer unter den Top drei. Ich bin vielleicht nicht immer schnell gelaufen. 

STANDARD: Sind Sie vielleicht etwas zu spät geboren?

Liendl: Wenn ich an die Defensive denke, wäre es in den 1980ern sicher ein wenig leichter gewesen. Aber ich bin froh, wie sich der Fußball entwickelt hat, mit all seiner Dynamik und den Massen, die damit erreicht werden.

STANDARD: Mit den Massen kam auch eine Internationalität in den Fußball. Jetzt spielen die Kids im Park mit Ronaldo- und Mbappé-Dressen, Liendl-Trikots sieht man weniger.

Liendl: Das ist legitim und bringt die Zeit mit sich. Durch Youtube und andere soziale Medien schauen sich die Kinder jetzt eben die Tricks von Mbappé an und eifern den großen, internationalen Stars nach. Früher war es etwas regionaler, aber ich freue mich natürlich sehr, wenn ich jemandem mit einem Shirt mit meinem Namen drauf sehe.

STANDARD: Sie absolvierten die meisten Spiele für den WAC, die Kärntner haben sich mit Ihnen zu einer Konstanten in Österreichs Bundesliga gemausert. Ein Herzensverein?

Liendl: Es war ein enorm wichtiger Verein in meiner Karriere, vor allem die zweite Zeit mit der Gruppenphase in der Europa League war überragend. Ich denke, ich konnte fußballerisch, aber auch menschlich meinen Teil dazu beitragen.

STANDARD: Bei all den Erfolgen gab es gegen Ende einen fast öffentlichen Konflikt mit dem damaligen Trainer Ferdinand Feldhofer.

Liendl: Die Chemie zwischen uns hat einfach nicht gepasst. Er hat mich dann viele Spiele nicht aufgestellt, und ich wusste nicht wirklich, warum. Insgesamt gab es da einige Unstimmigkeiten, nicht nur zwischen ihm und mir, sondern auch zwischen der Mannschaft und ihm. Aber sowas passiert einfach im Fußball. Wenn ich den Ferdl auf der Straße treffe, sag ich auch "Hallo".

STANDARD: Sie haben viele Trainer erlebt. Ist es schwierig, sich immer wieder auf neue Chefs einzulassen? 

Liendl: Es geht nicht nur um die Übungen und die Trainingsgestaltung, es muss auch zwischenmenschlich passen. Aber das ist wohl auch im normalen Berufsleben so.

STANDARD: Im normalen Berufsleben wechselt das aber meistens nicht so oft.

Liendl: Dann ist es wohl noch schwieriger, weil man länger mit dem Chef oder der Chefin zusammenarbeiten muss. Im Fußball kann man sich schon denken: Okay, das ist zach, aber es ist zeitlich begrenzt.

STANDARD: Wer waren Ihre gemeinsten Gegenspieler und Ihre besten Mitspieler?

Liendl: Es waren so viele, und wenn ich da einzelne herausnehmen würde, würde ich den anderen Unrecht tun. Aber bei der Austria war es damals eine unglaubliche Mannschaft: Acimovic, Junuzovic, Baumgartlinger. Das hat richtig Spaß gemacht. Bei den Gegenspielern ist es auch schwierig. Ich habe gegen Kimmich oder De Jong gespielt, die bringen schon eine enorme Qualität auf den Platz.

High Five – die fünf schönsten Tore von Michael Liendl
In unserer neuen Serie High Five blicken wir auf die schönsten Tore aktueller und früherer Goalgetter der tipico Bundesliga zurück. Heute blicken wir auf die besten Tore von WAC-Profi Michael Liendl zurück. Mit Sky X kannst du das Spiel live streamen. Alle
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STANDARD: Sie Sie wehmütig, dass es zu Ende ist?

Liendl: Nein, derzeit genieße ich die Freizeit. Normalerweise steht man ja jetzt schon in der Vorbereitung, und alles geht von vorne los. Trotz des Drucks und der kurzen Freizeit hat es mir aber immer Spaß gemacht. Ich hatte das Glück, dass ich während meiner Karriere nie gröber verletzt war. Wenn es hochkommt, habe ich vielleicht 50 Trainings verpasst. Beim GAK hat ein Mitspieler zu mir gesagt, dass es ihn wundere, dass ich jeden Tag auf dem Platz stehe. Aber für mich war klar, dass, wenn ich da unterschreibe, dann will ich trainieren und meinen Teil beitragen. Ich werde ja dafür bezahlt, und es hat mir aber auch einfach Spaß gemacht.

STANDARD: Gab es einen Plan B, falls das mit dem Fußball nicht klappt?

Liendl: Nein. Aber wenn ich darüber nachdenke, war es einmal ziemlich knapp, dass mein Leben und meine Karriere sich doch in eine andere Richtung entwickeln. Ich wäre mit Kapfenberg ja eigentlich abgestiegen, aber weil der GAK damals Konkurs war, durften wir in der zweiten Liga bleiben. Wir sind in der anschließenden Saison in die Bundesliga aufgestiegen, ich erzielte 18 Tore und wurde zum Spieler der Saison gewählt. Aber ich bin mir heute relativ sicher, dass, wenn wir damals mit Kapfenberg abgestiegen wären, dann würde ich jetzt irgendwo in einem Büro sitzen und Regionalliga kicken. Es ist ein Wahnsinn, wie der Fußball manchmal das Leben kreuzt. (Andreas Hagenauer, 27.6.2023)