Der Lebensmittelhandel werde als Wirtschaftsmacht überschätzt, als Wirtschaftsfaktor hingegen unterschätzt, klagt Marcel Haraszti. Der Chef der Rewe Österreich lässt Kritik an der Preispolitik der Supermärkte nicht gelten.

Rewe-Chef Marcel Haraszti
Marcel Haraszti: "Am Ende des Tages zählen nicht die höheren Regalpreise, sondern das, was an der Kasse bezahlt wird."

Zu einem "Showgipfel" habe die Regierung geladen, während seine Branche hart daran arbeitete, Einkäufe leistbarer zu machen, sagt er im Klub der Wirtschaftsjournalisten. Dass der Lebensmittelhandel in Österreich inflationsdämpfend sei, hätten Wirtschaftsforscher belegt.

Haraszti führt Eigenmarken im Preiseinstieg ins Treffen, die Rewe heuer um zwölf Prozent ausbaute, weil Kunden dazu ebenso verstärkt griffen wie zu Aktionsware. In Summe habe sein Konzern die Preise seit Jahresanfang für 450 Produkten reduziert. Ziehe die Industrie Preise an, könne sich der Handel nicht abkoppeln. Vice versa gebe man aber auch Preissenkungen weiter.

Vergleiche mit Deutschland, wo viele Konsumgüter deutlich günstiger zu haben sind, greifen aus seiner Sicht zu kurz. Deutschland habe einen Aktionsanteil von allein zwölf Prozent, während er sich in Österreich auf 40 Prozent belaufe. Am Ende des Tages zählten nicht die höheren Regalpreise, sondern das, was an der Kasse bezahlt werde, sagt Haraszti. Abgesehen davon, dass Fakten wie höhere Mehrwertsteuern in Österreich bei diversen Preisvergleichen gerne ignoriert würden.

"Nichts zu verbergen"

Die breite Untersuchung der Branche durch die Bundeswettbewerbsbehörde, die Supermärkten und Produzenten auf den Zahn fühlen soll, erfreut Haraszti, wie er zu Protokoll gibt. Man habe als Rewe nichts zu verbergen. Er hoffe, dass sich damit Debatten über die Preise versachlichten und entpolitisierten. Mehr Einblicke in den Markt soll es für Konsumenten wie die Regierung ab Herbst geben.

Jüngste Forderungen der SP-Vizeklubchefin Julia Herr nach einem Vernichtungsverbot für Lebensmittel, deren Haltbarkeitsdatum überschritten ist, die aber noch genießbar sind, quittiert Haraszti mit einer Gegenforderung: Er wünsche sich von der SPÖ ein praxistaugliches Konzept, das es Händlern erlaube, entsprechende Waren weiterzugeben. Dies sei bisher nämlich äußerst schwierig und mit vielen Hürden verbunden.

Abseits der Norm

Die SPÖ will des Weiteren die "Diskriminierung" von Obst und Gemüse verbieten. Was optisch aus dem Rahmen fällt – zu krumm, zu klein, zu weit abseits der Norm ist –, wird vielfach bereits auf dem Feld entsorgt. Tonnen an Nahrungsmitteln werden aussortiert, vernichtet oder unter ihrem Wert verarbeitet.

Der Rewe-Chef erinnert an die Vermarktung sogenannter Wunderlinge, mit denen Lebensmittelverschwendung eingebremst werde, verweist aber zugleich auf Angebot und Nachfrage in freien Marktwirtschaften: Entsprechende Produkte in die Regale zu legen heiße nicht, dass sie auch gekauft würden. Kunden hätten an Gemüse und Obst eben gewisse Qualitätsansprüche.

Filialen schließen

Wirtschaftlich seien die Rahmenbedingungen auch für den Lebensmittelhandel schwierig, bedauert Haraszti, wiewohl er mit der Umsatzentwicklung zufrieden sei. Dieses Jahr schließe sein Konzern zehn Filialen, was ein Novum sei. "Wir müssen nicht jeden Standort auf Teufel komm raus betreiben."

In Summe zählt Rewe in Österreich 1300 Filialen. 42 neue kommen im Laufe des Jahres hinzu, darunter 26 Billa-Märkte. Ist Österreich nicht mehr als viele andere EU-Länder mit Supermärkten zugepflastert und ein Ende des Flächenfraßes und der Bodenversiegelung hoch an der Zeit?

Die Expansion sei weniger stark, dafür nachhaltiger als in der Vergangenheit, sagt Haraszti. Bis zu zwei Drittel der neuen Standorte basierten auf Abtausch gegen bestehende. In Wien wachse der Bedarf an Geschäften allerdings durch Zuzug. In Summe lässt sich Rewe Österreich neue Märkte, Logistik und IT heuer 460 Millionen Euro kosten.

Tausende offene Stellen

Bedarf herrscht an zusätzlichen Beschäftigten. 3000 Stellen sind aktuell Haraszti zufolge im Unternehmen unbesetzt. Während der Corona-Krise habe man viele Pendler aus der Slowakei und Ungarn verloren, sei mittlerweile jedoch guter Hoffnung, sie wieder zurückzugewinnen. Er verspricht Arbeitnehmerinnen flexible Arbeitszeiten. Sein Konzern suche zudem verstärkt Arbeitskräfte, die älter als 50 sind.

Verabsäumt habe die Regierung, ukrainischen Flüchtlingen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, sagt Haraszti. "Viele wollten bei uns arbeiten. Ich verstehe nicht, warum sie diese Möglichkeit nicht erhielten." (Verena Kainrath, 27.6.2023)