Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko am Dienstag bei seiner Rede in Minsk
AP

Das neue Reiseziel für die Wagner-Söldner hat Russlands Präsident Wladimir Putin am späten Montagabend in einer kurzen Rede persönlich bekanntgegeben: Belarus. Dorthin könnten sie. Oder aber sie könnten in russische Armee eintreten oder einfach nur heimgehen. Straffrei. Jewgeni Prigoschin, ihr Chef, ist bereits in Belarus. Das hat Staatschef Alexander Lukaschenko am Dienstagnachmittag bestätigt.

Laut dem russischen Verteidigungsministerium haben inzwischen Vorbereitungen zur Übergabe von schwerem Kriegsgerät der Wagner-Truppe an die reguläre Armee begonnen.  Das bedeutet mitnichten das Ende der Wagner-Gruppe. Belarus ist russische Nachschubbasis für die Kämpfe in der Ukraine. Prigoschins Söldner könnten jederzeit mit neuen Panzern und Raketenwerfern ausgerüstet werden und als kampferprobte Soldaten in die Ukraine vorstoßen. Eine neue Front durch eine Truppe, die schon in Bachmut äußerst erfolgreich war – dies wären keine guten Aussichten für die Ukraine.

Andrej Kartapolow jedenfalls, der Vorsitzende des russischen Verteidigungsausschusses, erklärte bereits, er halte es für nicht notwendig, die Wagner-Gruppe zu verbieten. Schließlich sei sie "die kampfbereiteste Einheit in Russland.“ Auch das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) geht davon aus, dass der Kreml zumindest Teile der Gruppe aufrechterhalten will. Die Zukunft der Kommando- und Organisationsstruktur sei jedoch unklar.

Risiko für Lukaschenko

Ob allerdings der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko von derartigen Ideen begeistert ist, das bezweifeln viele, auch der Politikanalyst Alexander Fridman. Er sagt: "Ich denke, dass Lukaschenko es lieber nicht zulassen wird, dass Prigoschin eine Privatarmee in Belarus aufbaut." Interessant für Lukaschenko allerdings wäre, wenn die Privatarmee nicht auf belarussischem Territorium operieren würde. "Wenn Belarus zu einer Art Transitpunkt würde, könnte Lukaschenko, der ernsthafte Interessen in Afrika hat, mit Prigoschin zusammenarbeiten." In Afrika, etwa in der Zentralafrikanischen Republik oder in Mali, sind Wagner-Kämpfer seit langem schon aktiv. Das solle weitergehen, meint auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow.

Der belarussische Machthaber zeichnete am Dienstag in Minsk hochrangige Militärs aus. Zur Zukunft der Wagner-Truppe äußerte er sich nicht. Wohl aber zur Krise in Russland, mit einem kleinen Seitenhieb auf Präsident Putin. Lukaschenko sagte, alle Beteiligten hätten die Gefahr der Eskalation des Konflikts anfangs falsch eingeschätzt. Alle hätten geglaubt, dass sich die Situation lösen lasse. Daher seien weder er noch Putin oder Prigoschin als "Helden" zu bezeichnen. "In diesem Fall gibt es keine Helden", fügte Lukaschenko hinzu und kritisierte damit eben auch Wladimir Putin.

Dieser wiederum dankte in Moskau auf dem Gelände des Kreml Soldaten und Mitarbeitern der Sicherheitsdienste. "Sie haben faktisch einen Bürgerkrieg verhindert", sagte Putin bei der Rede, die im Staatsfernsehen übertragen wurde. Anwesend war auch der von Prigoschin so gescholtene Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Bekannt wurde auch, was der Einsatz der Wagner-Truppe in der Ukraine den russischen Staat gekostet hat: 86,3 Milliarden Rubel allein für Gehälter und Prämien. Das sind rund 950 Millionen Euro. Laut der Nachrichtenagentur Interfax seien darüber hinaus 110,2 Milliarden Rubel für Versicherungszahlungen bereitgestellt.

Waffen für russische Nationalgarde

Eine Konsequenz haben die Ereignisse vom vergangenen Samstag bereits in Russland. Die russische Nationalgarde soll mit schweren Waffen aufgerüstet werden, so Viktor Solotow, der Leiter der Nationalgarde. "Jegliche Provokationen in Moskau wären unterdrückt worden, wenn sie vor dem Hintergrund des Aufstands entstanden wären", so Solotow weiter.

In Moskau herrscht nach den Ereignissen vom vergangenen Samstag wieder Ruhe. Doch der Schock sitzt tief. "Es war sehr beunruhigend. Wir waren alle sehr besorgt", sagt etwa die Rentnerin Olga dem STANDARD. Anscheinend haben Beamte und viele hochrangige Geschäftsleute am Samstag Russland fluchtartig verlassen. Das beschäftigte sogar die Abgeordneten des russischen Parlaments. Vielleicht sei das ja eine Falschinformation, meinte der Abgeordnete Dmitri Gusew. Deshalb sollten die Aufsichtsbehörden die Namen dieser Personen auf den Passagierlisten veröffentlichen. Man möchte wohl schon gerne wissen, wer sich da so schnell auf den Weg in Richtung Flughafen gemacht hat. (Jo Angerer aus Moskau, 27.6.2023)