Junge Frau sitzt über Unterlagen und stützt besorgt den Kopf in die Hände
Wenn man Sorgen oder Ängste hat, soll man die nicht wegdrücken. Lässt man sie zu, fällt es langfristig leichter, damit umzugehen.
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"Bei uns im Büro ist die Stimmung gerade richtig mies, das deprimiert mich ziemlich", erzählt Marina ihrer besten Freundin. In ihrer Firma spitzt sich die wirtschaftliche Lage gerade zu, der Chef lässt seinen Stress an den Mitarbeitern aus, der Blick in die Zukunft ist nicht rosig. Die beiden jungen Frauen (Marina heißt eigentlich anders) besprechen die Lage, Marina lässt ihre Ängste und Sorgen raus. Danach geht es ihr besser.

Das Gute: Die Freundin hört Marina zu, nimmt ihre Ängste und Sorgen ernst. Mit ihrem Partner klappt das nicht so gut. Er rät ihr, sie soll sich das alles nicht so zu Herzen nehmen und drüberstehen. Aber das funktioniert für sie nicht, sie braucht Raum für ihre Emotionen. Erst danach, wenn sie wieder klar denken kann, überlegt sie gemeinsam mit ihrem Partner, wie sie in dieser Situation konstruktiv handeln kann.

Marina dürfte mit diesem Zugang, ihren Emotionen einmal Raum zu geben, einiges richtig machen. Denn Menschen die negative Gefühle wie Wut, Angst oder Traurigkeit als schlecht oder unangemessen beurteilen und sie  wegdrücken, haben häufiger Angst- und Depressionssymptome. Sie sind außerdem insgesamt mit ihrem Leben weniger zufrieden als jene Menschen, die das nicht tun. Das zeigt eine aktuelle Studie, die vor kurzem im Magazin Emotion publiziert wurde.

Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Sie ergänzen eine wachsende Zahl von Forschungsergebnissen, die belegen, dass es Menschen insgesamt deutlich besser geht, wenn sie ihre negativen Emotionen als angemessen und gesund akzeptieren, anstatt sie zu bekämpfen oder zu unterdrücken. Iris Mauss, Sozialpsychologin an der University of California Berkeley und Mitautorin der Studie, weiß: "Viele denken fast schon unbewusst, dass negative Emotionen schlecht sind und dass sie uns etwas Schlimmes antun. Aber Gefühle machen im Normalfall nichts Schädliches."

Auf das Urteil kommt es an

Das Problem sei viel eher, dass man die eigenen Gefühle negativ beurteilt. "Nimmt man die eigenen Emotionen als schlecht wahr, legt man auf die bereits vorhandenen Gefühle weitere schlechte oben drauf. Das führt dazu, dass wir uns am Ende noch schlechter fühlen, als wir das ohnehin schon tun", erklärt Emily Willroth diesen Prozess. Sie ist Psychologin an der Washington University in St. Louis und hat ebenfalls an der Studie mitgearbeitet. Eine Abwehrhaltung erhöhe wahrscheinlich die Intensität der negativen Emotionen und auch die Dauer, also wie lange man darunter leidet. Oft verschwinde nämlich so ein Gefühl nach ein paar Minuten auf natürliche Weise. "Durch das Wegdrücken taucht es aber womöglich eine Stunde später umso intensiver wieder auf."

Mit diesem Phänomen hat sich eine weitere Studie auseinandergesetzt, die bereits älteren Datums ist. Für die Untersuchung mussten Menschen eine Hand in ein Eiswasserbad legen und die dabei entstehenden Schmerzgefühle entweder akzeptieren oder unterdrücken. Diejenigen, die sie zu unterdrücken versuchten, berichteten von stärkeren Schmerzen. Sie konnten außerdem ihre Hand auch nicht so lange im Eiswasser lassen wie jene, die ihr Unbehagen akzeptierten. Auch eine Metaanalyse von insgesamt 48 Studien mit mehr als 21.000 Teilnehmenden deutet darauf hin, dass emotionale Unterdrückung ein höheres Risiko für psychische Gesundheitsprobleme wie Angstzustände oder Depressionen mit sich bringt.

Forschungserkenntnisse deuten außerdem an, dass die Angewohnheit, die eigenen Gefühle negativ zu bewerten, dazu führt, sich in stressigen Situationen noch mehr aufzuregen. Die Mitautorin der aktuellen Studie, Iris Mauss, hat dazu bereits im Jahr 2018 publiziert: Sie fragte Einzelpersonen, ob sie dazu neigen, ihre Gefühle zu akzeptieren oder sie als negativ einzuschätzen. Im Anschluss mussten die Teilnehmenden drei Minuten über ihre Qualifikationen für einen Job reden – eine Aufgabe, die üblicherweise Stress auslöst. Jene Probanden, die ihre negativen Emotionen eher nicht akzeptieren, berichteten, dass diese während der Übung stärker wurden. Und in einer Folgeuntersuchung sechs Monate später wurden bei dieser Gruppe mehr Depressions- und Angstsymptome festgestellt.

Anerkennen, nicht bekämpfen

Doch wie soll man nun mit negativen Emotionen umgehen? Zunächst geht es darum anzuerkennen, dass unangenehme Gefühle Teil der menschlichen Erfahrung sind. Studien-Co-Autorin Willroth betont: "Keine Emotion ist von Natur aus schlecht oder unangemessen." Negative Gefühle sind oft sogar wichtig: "Angst kann dabei unterstützen, dass man sich einer potenziellen Bedrohung stellt. Wut hilft dabei, für sich selbst einzustehen. Traurigkeit wiederum kann anderen Menschen zeigen, dass man ihre Unterstützung braucht." Das bedeutet nicht, dass man negative Gefühle als willkommen umarmen muss. Man sollte einfach versuchen, diese neutral wahrzunehmen und anzuerkennen.

Man kann sich dem Gefühl auch mit Neugier nähern, sich darauf einlassen zu fühlen, wie sich Angst oder Traurigkeit auf einen auswirken. Psychologin Willroth betont: "Man sollte immer im Kopf behalten, dass das schlechte Gefühl nicht ewig andauern wird. Jede Emotion ist im Normalfall nur kurz präsent. Lässt man sie einfach passieren, löst sie sich oft schon nach wenigen Minuten wieder auf."

Übung und Erfahrung helfen bei der emotionale Akzeptanz. Das dürfte auch der Grund sein, warum ältere Menschen meist besser mit negativen Emotionen umgehen können, auch das zeigt eine Studie, die im Journal der American Psychological Association publiziert worden ist. Doch einen wichtigen Unterschied muss man beachten: Das Akzeptieren von Emotionen bedeutet nicht, Situationen, die schlechte Emotionen hervorrufen, einfach hinzunehmen. Diese muss man sich nicht gefallen lassen. Aber wenn man weniger Zeit dafür verwendet, die eigenen Gefühle wegzudrücken, hat man mehr Energie dafür, die eigene Situation zu verändern. (Pia Kruckenhauser, 30.6.2023)