Seoul – Südkorea ist ein moderner Staat, der auf Besucherinnen und Besucher im ersten Moment auch durchaus westlich-vertraut wirken kann. Viele Traditionen und so manche Eigenheit hat man sich aber bewahrt: 45 Prozent der Menschen tragen die Nachnamen Kim, Lee oder Park. Dass Vor- und Nachname nach westlichen Maßstäben verkehrt gesetzt werden, teilt man immerhin mit vielen anderen asiatischen Staaten, aber auch etwa Ungarn oder dem Mühlviertel. Die Anrede ist kaum irgendwo so strikt nach Ehren- oder Altersregeln gestaltet wie im Land am Han-Fluss, selbst die Grammatik richtet sich oft danach. Und auch die Alterszählung selbst unterlag bisher ungewöhnlichen Regeln – die nun aber, zumindest dem Gesetz nach, seit Mittwoch Geschichte sind.

Die Büroangestellte Kim Jin-sil ist mit einem Schlag noch einmal 31 statt 33.
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Bisher nämlich galt: Wer in Südkorea geboren wurde, war zum Tag der Geburt ein Jahr alt. Am 1. Jänner wurde ein weiteres Jahr hinzugerechnet. Im Extremfall also konnte ein am 31. Dezember geborener Säugling so am Tag nach der Geburt zwei Jahre alt sein. Das sorgte nicht selten für Verwirrung: Weil das System in Korea selbst für fast alle Anlässe und auch informell gern verwendet wurde, mussten Menschen, die in offiziellen Dingen mit dem Ausland zu tun hatten, oft schnelle Kopfrechnungen durchführen, um ihr Alter nach dem internationalen System zu errechnen. Dazu kommt, dass das südkoreanische Alterssystem zwar in vielen, aber nicht in allen Bereichen zum Einsatz kam: Medizinische und juristische Dokumente nämlich nutzten schon seit den 1960er-Jahren das international übliche System – während fast alle anderen Bereiche das traditionelle verwendeten.

Noch einmal unter 60 sein

Anders, als man bei einer so tiefgreifenden Änderung annehmen könnte, legen Umfragen eine hohe Akzeptanz der neuen Zählung nahe. Rund 70 Prozent der Menschen in Südkorea sind für die Anpassung an das internationale System, die etwa damit argumentiert wird, dass ein modernes und vernetztes Land in einer so grundlegenden Frage keinen Sonderweg gehen dürfe. Noch mehr, nämlich 86 Prozent, gaben in einer Umfrage im September 2022 an, sie würden das neue System ab dessen offizieller Gültigkeit auch im täglichen Leben verwenden wollen.

Pensionist Chois Freude über das neue System ist laut der Bildbeschreibung der Agentur AFP schaumgebremst. Er führt ins Treffen, dass er nun "nur den Zahlen nach" jünger sei – nämlich 79 statt 80.
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Dabei hilft vielleicht auch eine positive Eigenheit. Die nunmehrige Änderung hat nämlich zur Folge, dass fast jeder und jede in Südkorea ein bis zwei Jahre jünger wird. Die Agentur AFP zitiert den zuständigen Minister für Gesetzesfassung, Lee Wan-kyu, der auf die Vorteile der neuen Regelung hinweist: "Für Menschen wie mich, die im kommenden Jahr 60 geworden wären, fühlt es sich gut an – so, als wäre man noch jung." Für andere Bereiche, in denen man vielleicht gern ein anderes Alter hätte, wird sich hingegen nichts ändern. Wer bisher 19 war und legal Alkohol und Tabak kaufen durfte, wird das auch weiterhin tun können. Auch bringt die Änderung keine Verzögerung bei der Einberufung zu den 21 Monaten Militärdienst mit sich. Hier nämlich kommt auch weiterhin ein drittes System zum Einsatz, nach dem man bei der Geburt null ist und ab dem 1. Jänner ein Jahr alt wird. (mesc, 28.6.2023)