Washington – Wer den Twitter-Account von Barack Obama verfolgt, tut das nicht unbedingt wegen der aktuellen politischen Nachrichten, die dort verbreitet werden. Viel vom knappen Zeilenbudget widmet der Ex-US-Präsident hier seiner Stiftung, auch gibt er immer wieder Tipps zu Büchern oder sehenswerten Filmen. Auch an wichtige Feiertage, Mutter- und Vatertag erinnert er verlässlich, indem er seinen Leserinnen und Lesern Glückwünsche übermittelt. Am Dienstagabend allerdings waren harte News angesagt: "Heute hat der Supreme Court die randständige Theorie der unabhängigen Staatsparlamente zurückgewiesen, die unser System der Checks and Balances und die Demokratie bedroht hätte", verkündete er. 

Der amerikanische Supreme Court
Die Wege des US Supreme Court liegen oft im Dunkeln – und nicht immer entscheidet das Gremium so, wie man sich dies erwarten würde.
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Starke Worte, vor allem weil der Fall Moore vs. Harper, um den es in dem Tweet geht, bisher nur besonders interessierten Beobachtern bekannt gewesen war. Hatte die Causa wirklich das Potenzial, die US-Demokratie zu zerstören? Sieht man sich genauer an, worum es in dem Fall geht, wird jedenfalls klar, wieso die Demokraten vor dem Urteil in Sorge waren. Benannt ist die Causa nach dem Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus von North Carolina, Timothy Moore, und der Wahlrechtsaktivistin Rebecca Harper. Harper hatte gegen eine Neuverteilung der Wahlkreise in dem Bundesstaat geklagt, die die Republikaner massiv bevorzugte. Sie hatte damit 2020 vor dem Höchstgericht des Bundesstaates recht bekommen, das mit der Verfassung North Carolinas argumentierte.

Alle Rechte für die Republikaner

Dagegen allerdings klagte wiederum Moore vor dem US-Höchstgericht. Er berief sich dabei auf die bei extremen Republikanern sehr beliebte Theorie der unabhängigen Staatsparlamente, die Independent State Legislature Doctrine (ISL). Folgt man dieser, hätten die Parlamente in den Bundesstaaten fast uneingeschränkte Rechte bei der Ausrichtung von Wahlen. Sie könnten Wahlkreisgrenzen nach Gutdünken ziehen, Wahllokale so verteilen, dass Mitglieder von Minderheiten kaum Zugang haben, oder auch die Teilnahme vom Besitz teurer oder schwer zu erlangender Ausweisdokumente abhängig machen, die ärmere Menschen schlechter erlangen können – der Fantasie wären wenige Grenzen gesetzt. Dabei geht es um alle Wahlen, die in den jeweiligen Bundesstaaten stattfinden – also auch jene für die Präsidentschaft, das Repräsentantenhaus und den Senat. Weil die Republikaner in zahlreichen Bundesstaaten die Regionalparlamente dominieren, könnten sie also vielfach schalten und walten, wie sie wollen.

Dass die in juristischen Kreisen bisher eher verlachte Theorie überhaupt ein Fall für den Supreme Court wurde, hat auch mit dessen Zusammensetzung zu tun. Gleich drei neue Richterinnen und Richter hatte ja US-Präsident Donald Trump bestellt, und damit das zuvor ideologisch in der Mitte gespaltene Gremium nach rechts gepolt. Doch ganz so, wie von den Republikanern erhofft, ging die Sache nicht aus. Nicht nur der Vorsitzende Richter John Roberts, ein von George W. Bush nominierter gemäßigter Konservativer, stimmte gegen die Anwendung der ISL, sondern auch Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Die beiden waren von Trump für das Gericht nominiert worden.

Weitere Entscheidungen stehen an

Die Entscheidung ist nicht die erste, die unter Erzkonservativen in den USA für Ärger sorgt. Schon zuvor hatte der Supreme Court in diesem Jahr das von einer unteren Instanz angeordnete Verbot einer Abtreibungspille fast einstimmig wieder aufgehoben. Auch in einer Entscheidung über den Voting Rights Act, der die Wahlrechte von Minderheiten schützt, verfügte das Gericht Anfang Juni überraschend gegen eine von den Republikanern gewünschte Abschaffung. Allerdings wurden bis zum Ende der Woche noch wichtige Entscheidungen erwartet: darunter eine zur Affirmative Action, die die Republikaner an den US-Colleges abschaffen wollen. Affirmative Action, das ist das Vorgehen gegen Diskriminierung, das durch gezielte Bevorzugung von Minderheiten erreicht werden soll. Auch zu den Rechten der LGBTIQ-Gemeinschaft und zur Tilgung der US-College-Schulden durch Präsident Biden sollen bald Sprüche fallen. (Manuel Escher, 28.6.2023)