Gedenkmarsch in Paris
Bei einem Gedenkmarsch in Weiß fordern die Demonstrierenden "Gerechtigkeit für Nahel".
IMAGO/Lafargue Raphael

Paris – In Paris ist es erneut zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten gekommen. Nach Angaben eines Reporters setzte die Polizei am Donnerstag Tränengas ein, nachdem es am Rande eines Gedenkmarsches für einen von der Polizei erschossenen Jugendlichen zu Krawallen gekommen war. Zudem wurde mitgeteilt, dass in der Region Paris am Donnerstag ab 19 Uhr keine Busse und Straßenbahnen mehr fahren würden.

Die Behörden bereiteten sich auf eine dritte Krawallnacht in Folge vor. In der Nacht auf Freitag sollen daher landesweit 40.000 Polizisten im Einsatz sein, rund viermal so viele wie am Mittwoch. Auslöser der Ausschreitungen waren tödliche Schüsse eines Polizisten auf einen Jugendlichen nordafrikanischer Abstammung am Dienstag bei einer Verkehrskontrolle in dem Pariser Arbeitervorort Nanterre. Die Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren gegen den Polizisten wegen des Verdachts des Totschlags eingeleitet.

Protest in Nanterre
Zwischen Polizei und Demonstranten kam es zu heftigen Zusammenstößen im Pariser Vorort Nanterre.
EPA/YOAN VALAT

In der Nacht auf Donnerstag waren landesweit bei schweren Ausschreitungen 150 Menschen festgenommen worden, teilte Innenminister Gerald Darmanin mit. Dutzende Polizisten seien bei Auseinandersetzungen mit Protestierenden verletzt worden, sagte der Minister.

5.000 Polizisten sollen kommende Nacht laut Darmanin im Großraum Paris eingesetzt werden. In der zweiten Protestnacht waren in verschiedenen Städten zahlreiche Gebäude von Behörden attackiert oder in Brand gesetzt worden. "Eine Nacht unerträglicher Gewalt gegen Symbole der Republik: Rathäuser, Schulen und Polizeistationen werden in Brand gesteckt oder angegriffen", schrieb Darmanin auf Twitter. Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Gewalt als "nicht zu rechtfertigen".

Deren Auslöser ist der Tod eines 17-Jährigen nordafrikanischer Herkunft, der am Dienstag im Pariser Arbeitervorort Nanterre bei einer Verkehrskontrolle erschossen worden war. Der Staatsanwaltschaft zufolge hatte er trotz Aufforderung der Polizei seinen Wagen nicht gestoppt. Bereits in der Nacht auf Mittwoch war es dann zu Gewalt auf den Straßen gekommen, die Macron "unentschuldbar" genannt hatte.

VIDEO: Zweite Krawallnacht nach Tod von 17-Jährigem in Frankreich
AFP

Zahlreiche Zwischenfälle

In Nanterre, wo der getötete Jugendliche namens Nahel gewohnt hatte, kam es zu den heftigsten Auseinandersetzungen. In der Nacht auf Donnerstag setzte dort eine aufgebrachte Menge Autos in Brand und schoss mit Feuerwerkskörpern auf die Polizei.

Frankreich Ausschreitungen Polizei Feuerwerk
Feuerwerkskörper explodieren während Ausschreitungen.
EPA/YOAN VALAT

In Lille im Norden und in Toulouse im Südwesten kam es ebenfalls zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten. Ausschreitungen gab es nach Polizeiangaben auch in Amiens, Dijon und im Departement Essonne südlich von Paris.

Frankreich Ausschreitungen Polizei
Die Einsatzkräfte mussten die ganze Nacht Feuer löschen.
REUTERS/STEPHANIE LECOCQ

Für den Vormittag kündigte die Staatsanwaltschaft von Nanterre eine Pressekonferenz an, um über die Ermittlungen zum gewaltsamen Tod des Jugendlichen zu berichten. Gegen einen Polizisten wird wegen vorsätzlicher Tötung ermittelt.

Krisensitzung einberufen

Präsident Macron berief eine Krisensitzung des Kabinetts ein. "Die vergangenen Stunden waren geprägt von Gewaltszenen gegen Polizeiwachen, aber auch Schulen und Rathäuser und damit Institutionen der Republik, und diese Szenen sind völlig ungerechtfertigt", sagte er zu Beginn der Beratungen.

Am Mittwoch hatte Macron den gewaltsamen Tod des 17-Jährigen als unentschuldbar bezeichnet. "Wir haben einen Jugendlichen, der getötet wurde, das ist unerklärlich und unentschuldbar", sagte er in Marseille. "Nichts rechtfertigt den Tod eines jungen Mannes." Er forderte die Justiz dazu auf, ihre Arbeit zu tun.

An Verletzungen verstorben

Ein in den sozialen Medien veröffentlichtes und von Reuters verifiziertes Video zeigt zwei Polizisten neben einem Auto, von denen einer aus nächster Nähe auf den jugendlichen Fahrer schießt, als dieser davonfährt. Der junge Mann sei kurz darauf an seinen Verletzungen gestorben, sagte der örtliche Staatsanwalt.

In Frankreich kommt es seit längerem immer wieder zu Polizeigewalt und Ausschreitungen – vor allem in den ärmeren Vororten rund um die Großstädte, in denen Menschen verschiedener ethnischer Herkunft leben. Menschenrechtsgruppen erklären dazu, es gebe in den Strafverfolgungsbehörden in Frankreich systematischen Rassismus.

Raab sagte Termine aus Sicherheitsgründen ab

Der Paris-Besuch von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) ist indes durch die Ausschreitungen in den Außenbezirken der französischen Hauptstadt stark beeinträchtigt worden. Sämtliche offizielle Termine mussten am Donnerstag aus Sicherheitsgründen abgesagt werden. Raab meinte dazu in einem Pressegespräch: "Wenn wir mitten in Europa Viertel haben, wo es nicht mehr möglich ist sie zu besuchen, ist das eine sehr erschütternde Sachlage."

Es sei zu 100 Prozent nachvollziehbar, wenn der tragische Tod eines Jugendlichen Emotionen auslöse, meinte die Ministerin Bezug nehmend auf den Auslöser der Proteste. Gleichzeitig sei aber erschütternd zu sehen, was an sozialer Sprengkraft in den Banlieues vorhanden sei.

Eigentlich hätte Raab mit der französischen Staatssekretärin Sonia Backes einen dieser mit hoher Kriminalität belasteten Vororte von Paris besuchen sollen. Doch ließ dies die Sicherheitslage nicht zu. Offizielle Delegationen konnten die Bezirke nicht besuchen. Auch Treffen mit lokalen Präfekten waren nicht möglich, da diese mit der Krisenbewältigung beschäftigt waren. Ganz Paris sei im Krisenmodus, wie die Ministerin befand. (APA, 29.6.2023)