Auf einem schmalen Weg hin zum Werksgebäude liegt frisch gemähtes Gras. Grillen zirpen. Vögel zwitschern in den zahlreichen Bäumen auf dem Parkplatz des Opel-Werks in Wien-Aspern. Menschen sind keine zu sehen, lediglich auf der angrenzenden Hauptstraße tragen ein paar Leute ihre Einkäufe heim. Wie geht es den rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ihre Jobs verlieren? Eine nicht so einfach zu beantwortende Frage.

Ins Werk bekommen Medien keinen Zutritt. "Beim Schichtwechsel müssen wir Sie vom Eingang verjagen", heißt es beim Portier. Man kenne den Medienrummel aus der Vergangenheit, und das Unternehmen wolle das nicht mehr. Alt und Neu liegen hier im tiefsten 22. Bezirk nah beieinander. Unweit vom Werk sieht man die Kräne der modernen und wachsenden Seestadt. Die Donaustädter Institution Opel-Werk ist aber bald Geschichte.

Außer den Grillen im frisch gemähten Gras ist vor dem Opel-Werk nicht viel zu hören.
Danzer

Es war der 23. August 1979, vor 43 Jahren, als das Werk in Wien-Aspern in Betrieb genommen wurde – damals als Prestigeobjekt österreichischer Industrie. Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) persönlich eröffnete die damalige Opel-Motorenfabrik gemeinsam mit Helmuth Schimpf, Generaldirektor von General Motors (GM) Austria, Teil der US-amerikanischen GM-Gruppe. Jahrzehntelang prosperierte danach die Anlage. In den 1980er-Jahren, zur Blütezeit, werkten hier mehr als 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Viel später, im Jahr 2017, wurde Opel an die französische PSA-Gruppe verkauft, Konzernmutter von Peugeot. Diese fusionierte schließlich Anfang 2021 mit Fiat-Chrysler zu Stellantis, heute einer der weltgrößten Automobilhersteller mit Hauptsitz nahe Amsterdam.

Filiale eines Weltkonzerns

Doch für den Standort Wien sieht man bei Stellantis schon lange keine Perspektive mehr. Die nunmehrige Schließung ist nur der letzte Akt des Niedergangs. Der vorletzte erfolgte im Oktober 2020: Damals war, nach 40 Jahren, der letzte Motor für General Motors vom Band gelaufen. 300 Mitarbeiter mussten gehen. Der damalige Hintergrund waren die schweren Probleme von Opel, wohin die Motoren geliefert wurden. Der Autohersteller mit Sitz im deutschen Rüsselsheim verlor am starken deutschen Automarkt rasant an Marktanteilen; Kurzarbeit und Personalabbau trafen sämtliche Opel-Werke, nicht nur Aspern.

In Wien blieb ab 2020 wenigstens noch die Fertigung von Getrieben – jener Bereich, der nunmehr als letzter Rest geschlossen wird. Noch drei Jahre lief zuvor der Bau des mechanischen Sechs-Gang-Getriebes MB6 für Verbrenner. Die Stadt Wien schoss zu diesem Zweck eine Förderung von einer Million Euro zu, ohne Auflagen für den Erhalt der Arbeitsplätze. Das sei bei Forschungsförderung auch nicht üblich, heißt es im Jahr 2020 dem STANDARD gegenüber. Durch die damalige Geldspritze sei "ein Fortbestehen des Standorts Wien auf weitere fünf Jahre gesichert worden", sagt heute Wiens Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke (SPÖ). "Dass sich letztendlich die Konzernstrategie durchgesetzt hat und nicht die Qualität des Standorts, müssen wir zu Kenntnis nehmen."

Das Opel-Werk in Wien-Aspern

"Keine nachhaltige Zukunft"

Nun also werden die letzten 300 Mitarbeiter ihre Jobs verlieren. Stellantis nennt in einer Presseaussendung "den gravierenden Wandel in der Automobilindustrie hin zur Elektromobilität, die europäischen Regulierungen und die Entwicklung der Kundennachfrage" als Gründe. Sie würden dazu führen, dass "die Voraussetzungen für eine nachhaltige Zukunft des Werks Aspern nicht gegeben sind". Was mit dem Betrieb am Standort passieren soll, ist unklar. Für die Belegschaft kündigte Stellantis "eine Reihe von sozialen Maßnahmen" an, darunter Umschulungen und ein eigens eingerichtetes Jobcenter.

Details, wie es weitergehen wird, gibt die Werksleitung nicht bekannt. Die Menschen seien verunsichert, die Information sei schließlich ganz neu und für viele natürlich ein harter Schlag. Das Wohl der Mitarbeiter sei jetzt das Wichtigste, und man wolle zuerst mit ihnen den Weg abklären und das nicht über die Medien machen. 

Welche Strategie genau den Weltkonzern Stellantis nunmehr zum endgültigen Rückzug aus Wien bewogen hat, dies muss offenbleiben. Ein Stellantis-Sprecher in Österreich teilt dem STANDARD lediglich mit, dass man in derartige strategische Entscheidungen nicht involviert sei – der Rückzug sei der Wien-Tochter lediglich mitgeteilt worden, heißt es sinngemäß. Andernorts jedenfalls investiert Stellantis groß. Der Konzern verfügt derzeit über 28 Elektroautomodelle und will diese Zahl bis Ende 2024 fast verdoppeln. In diesem Zusammenhang wurde etwa in der Stadt Billy-Berclau in Nordfrankreich gerade eine sogenannte Giga-Factory von Stellantis zur Produktion von Hochleistungsbatterien eröffnet – zwei weitere sollen folgen. Auch die Getriebeproduktion für Verbrenner soll nicht ganz eingestampft werden, sondern wandert ebenfalls nach Frankreich, in die Stadt Valenciennes. Stellantis stellt sich neu auf angesichts der fundamentalen Wende in der Autoindustrie – und Österreich spielt dabei keine Rolle mehr.

Das Opel-Werk in Wien-Aspern schließt endgültig - nach jahrelangem Niedergang
Das Opel-Werk in Wien-Aspern schließt endgültig – nach jahrelangem Niedergang.
Copyright Karl Schöndorfer TOPP

Ein Vorbote für die Branche?

Ist das Ende des Stellantis-Werks in Österreich nun ein Symptom dafür, dass es mit der Auto- und Zuliefererindustrie in Österreich generell bergab geht? Droht ein derartiges Schicksal Österreichs gesamter Auto- und Zulieferindustrie – ausgelöst möglicherweise durch das Verbot bei Neuzulassungen von Verbrennern ab dem Jahr 2035, das die EU beschlossen hat? Es lässt sich so klar nicht sagen – denn ein Stück weit handelt es sich beim traditionsreichen Opel-Werk um einen Ausreißer. Dessen Ende gilt schon seit Jahren als fast unvermeidlich und wurde durch politische Maßnahmen lediglich um einige Jahre nach hinten verschoben.

Dennoch sind auch die Sorgen unter Österreichs Autozulieferern als Ganzes groß. Mit rund 80.000 Beschäftigten und 900 Betrieben handelt es sich um einen der wichtigsten Industriezweige im Land. "Nach aktueller Studienlage sieht es um die Zukunftserwartungen schlecht aus", konstatiert eine Studie des Fraunhofer-Instituts vom Vorjahr reichlich unverblümt. Das nahende Verbrenner-Aus "lässt neue Wettbewerber, vor allem aus dem asiatischen Raum, in den Markt strömen" und "stellt Unternehmen vor die Aufgabe, die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in neue Technologiefelder umzuqualifizieren und neue Alleinstellungsmerkmale aufzubauen". Dies ist angesichts der geballten Kompetenz vieler heimischer Unternehmen keineswegs einfach. "Technologische Pfadabhängigkeiten im Umfeld des Verbrennungsmotors bewirken, dass Unternehmen so lange wie möglich an bestehenden Produktions- und Geschäftsmodellen festhalten wollen, um laufende Erträge nicht zu gefährden", skizziert die Fraunhofer-Studie die Gefahr – und ortet "eine reale Gefahr für den Standort". Dieser resultiert zwar vor allem aus dem Verbrenner-Aus, aber es gibt noch andere Probleme wie den globalen Chip-Mangel und die hohe Teuerung.

"Reale Gefahr für den Standort"

Es gibt aber auch Aspekte, die durchaus für einige Zukunftsfähigkeit bei den heimischen Autozulieferern sprechen. Dass sie in vielen unterschiedlichen Feldern tätig sind – das breite Spektrum reicht von Elektronik bis hin zum Interieur und Textilien für Autos –, macht sie flexibel. Auch bei der Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte steht Österreich im internationalen Vergleich recht gut da, wie Studien zeigen. Insgesamt seien die Autozulieferer "durchaus standorttreu, wandel- und belastbar", sagt Clemens Zinkl, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Automotive Zuliefererindustrie. Das Spiel für Österreichs Autozulieferer mag also schwierig sein – verloren ist es längst nicht.

Ganz im Gegensatz zum traditionsreichen Opel-Werk im 22. Bezirk. Zwar werden dort in Wien-Aspern weiterhin die Grillen zirpen und die Vögel zwitschern. Autos werden fürs Erste jedoch keine mehr zu sehen sein. Auf dem Parkplatz des Werks hat die Ruhe vor der absoluten Ruhe sozusagen heute schon begonnen. (Andreas Danzer, Joseph Gepp, 29.6.2023)