Das italienische Publikum wird in diesen Tagen Zeuge eines ganz besonderen Duells: In den Haaren liegen sich zwei politisierende Halbschwestern mit einem "cognome pesante", einem "schweren Nachnamen". Alessandra und Rachele Mussolini sind Enkelinnen des früheren Faschistenführers Benito Mussolini, des Duce. Ihr gemeinsamer Vater ist der Jazz-Musiker Romano Mussolini, der vierte Sohn des Diktators. Die ältere der beiden, die 60-jährige Alessandra, stammt aus der ersten Ehe Romanos mit Maria Scicolone, der Schwester von Sophia Loren. Die berühmte Filmdiva ist also ihre Tante. Die 49-jährige Rachele kann mütterlicherseits nicht mit derartiger Prominenz aufwarten, dafür trägt sie den gleichen Vornamen wie die erste Ehefrau des Duce, Rachele Guidi.

Zum Familienkrach im Hause Mussolini kam es, weil die Europa-Parlamentarierin Alessandra in Straßburg einen Vorstoß lanciert hat, mit dem die Rechte der "Regenbogenfamilien" und deren Kinder gestärkt werden sollen. "Regenbogenfamilien" werden in Italien die eheähnlichen Partnerschaften genannt, die nicht der traditionellen Familie aus Vater und Mutter und Kindern entsprechen. In der Kommission für Bürgerrechte des Europaparlaments forderte Mussolini, dass die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet werden, Geburtsurkunden "unabhängig davon zu registrieren, wie das Kind empfangen wurde, aus welcher Art von Familie es stammt, homosexuelle Partnerschaften eingeschlossen". Alessandra Mussolini geht es dabei vor allem um das Wohl der Kinder, deren Rechte "universell" seien.

Italiens faschistischer Diktator Benito Mussolini beim Schwimmen.
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Die Forderung der älteren Mussolini-Enkelin steht – durchaus gewollt – in diametralem Gegensatz zu dem, was die ultrarechte Regierung von Giorgia Meloni in Italien gerade in die Tat umsetzt, nämlich den radikalen Abbau von LGBTIQ-Rechten. In einem Rundschreiben an die Bürgermeister und Standesämter hatte das Innenministerium diese angewiesen, bei den Geburtsurkunden von Kindern, die aus "Regenbogenfamilien" stammen, nur noch den Namen der leiblichen Mutter oder des leiblichen Vaters einzutragen. Sie haben also offiziell nur noch einen Elternteil. Die Staatsanwaltschaft von Padua hat in der Folge beantragt, dass bei etwa drei Dutzend Kindern mit zwei Müttern der Name der nichtleiblichen Mutter sogar rückwirkend aus den bereits ausgestellten Urkunden entfernt werde. Zu ähnlichen Verfahren wird es auch in zahlreichen anderen italienischen Städten kommen.

Partei vor Familie?

Der Vorstoß der älteren Halbschwester hat die jüngere Mussolini-Enkelin auf die Palme gebracht: Sie habe Alessandra ja lieb, und sie finde es auch richtig, dass diese zu ihren Ideen stehe, erklärte Rachele Mussolini. "Aber Alessandra müsste sich einmal fragen, ob sie noch in der richtigen Partei ist." Dazu muss man wissen: Rachele ist Mitglied von Melonis postfaschistischer Partei Fratelli d'Italia; Alessandra ist Europa-Parlamentarierin der Forza Italia, der Partei des kürzlich verstorbenen Ex-Premiers Silvio Berlusconi. In Rom ist die Forza Italia Teil der regierenden Rechtskoalition von Meloni. Alessandra Mussolini torpediert mit ihrem Vorstoß in Straßburg also die nationale Regierung in Rom, der ihre eigene Partei angehört.

Dass Alessandra Mussolini gelegentlich aus der Reihe tanzt, ist freilich nicht neu: In den gut zwei Jahrzehnten, während denen sie im nationalen Parlament saß, hatte sich die Rechtspolitikerin, die in jungen Jahren wie ihre Tante Sophia Loren geschauspielert hat und zudem über ein abgeschlossenes Medizinstudium verfügt, immer wieder für Frauenrechte eingesetzt. Bei den Rechtsparteien ist sie damit oft angeeckt, dafür hat sie sich Sympathien bei der Linken und den Frauen erworben. Auch jetzt wieder: "Endlich erhebt sich auch von rechter Seite wieder einmal eine Stimme zugunsten von Gleichheit, Freiheit und den nicht verhandelbaren Werten der europäischen Gemeinschaft", erklärte die Europa-Abgeordnete Laura Ferrara von der Fünf-Sterne-Protestbewegung.

Gar keinen Spaß versteht Alessandra Mussolini dagegen, wenn es um ihren "nonno" geht: Auf Kritik an ihrem Großvater Benito reagiert sie allergisch. Wenn es um den belasteten Verwandten geht, kann die Enkelin auch grob werden: Als ihr ein homosexueller linker Abgeordneter einmal vorwarf, sich nie richtig vom Faschismus distanziert zu haben, fuhr sie ihm mit den Worten "lieber faschistisch als schwul" über den Mund. Dafür hat sie sich dann aber entschuldigt. Zumindest bei der Familiengeschichte versteht sich Alessandra auch bestens mit ihrer Halbschwester Rachele: Auch der jüngeren Enkelin ist noch nie ein kritisches Wort über den Duce über die Lippen gekommen. (Dominik Straub aus Rom, 29.6.2023)