Gall Tour de France
Felix Gall sitzt viel auf dem Rad und hat wenig Zeit. Die Härte der Tour de France wird er kennenlernen.
EPA/GIAN EHRENZELLER

Sie ist eine der härtesten Sportveranstaltungen: Nicht weniger als acht Bergetappen und rund 3400 Kilometer sind für die 176 Starter aus 22 Teams bei der Tour de France von 1. bis 23. Juli zu absolvieren. Favoriten sind der dänische Vorjahressieger Jonas Vingegaard und der Slowene Tadej Pogacar, Gewinner 2020 und 2021. Mit dabei sind auch sechs Österreicher, einer davon ist Felix Gall. Der Osttiroler, der für den französischen Rennstall AG2R zuletzt eine Etappe bei der Tour de Suisse gewann, spricht über das Leben als Radprofi.

STANDARD: Ihr Alltag besteht hauptsächlich aus Rad fahren, essen und schlafen. Was fasziniert Sie an Ihrem Beruf als Radprofi?

Gall: Ein bisschen spiele ich auch Golf. Im Ernst: Aus seinem Körper das Maximum herauszuholen und sich mehrere Jahre nur auf eine Sache zu konzentrieren, das begeistert mich. Was der menschliche Körper imstande ist zu leisten, das ist für einen Außenstehenden nur schwer nachvollziehbar. Es überrascht mich selbst manchmal noch. Die Freude ist dann groß, wenn alles zusammenpasst, wie beim Etappensieg bei der Tour de Suisse.

STANDARD: Sie meiden große Menschenansammlungen, Stichwort: Ansteckungsgefahr vor einem Rennen. Beim Giro d’Italia im Mai hat Covid ziemlich gewütet. Ist es ein einsames Leben als Radprofi?

Gall: Ja, manchmal schon. Ich möchte nicht leben wie ein Mönch, bin aber auch nicht der Typ, der ständig von Leuten umgeben sein muss. Speziell vor und nach einem Rennen habe ich gerne meine Ruhe.

STANDARD: Sie sind 200 Tage im Jahr auf Reisen, seien es Trainingslager oder Rennen. Ist da überhaupt noch ein geordnetes Privatleben möglich? Mit einer Partnerin, mit Freunden, mit Familie?

"Es ist definitiv nicht einfach, für Liebschaften bleibt wenig Zeit"

Gall: Es ist definitiv nicht einfach, für Liebschaften bleibt wenig Zeit. Man hat aber schon die eine oder andere entspannte Woche nach einer harten Rennphase, wo man den Kopf frei kriegen kann. Wenn du zwei bis drei Monate auf ein Rennen hin fokussierst, dann musst du danach loslassen können.

STANDARD: Sie sind immer wieder auf Besuch in Ihrer Heimat in der Nähe von Lienz. Lassen Ihre Eltern Sie beruhigt aus dem Haus gehen, besonders jetzt nach dem Unfalltod des Schweizer Radprofis Gino Mäder bei der Tour de Suisse?

Gall: Meine Mama macht sich natürlich Sorgen, aber welche Mutter würde das nicht tun? Es ist ein schwieriges Thema, wir reden innerhalb der Familie darüber. Ich bin jetzt 25 Jahre alt, mir ist das Risiko bewusst.

Tour de France
Die Tour der Leiden zieht sich wieder in einer großen Schleife über Wiesen, Wälder und Berge durch Frankreich und Spanien.
IMAGO/ZUMA Wire

STANDARD: Sie absolvieren bis zu 30.000 Kilometer pro Jahr auf dem Rad, haben zuletzt selbst von der Form Ihres Lebens gesprochen. Warum läuft es in diesem Jahr so viel besser als im vergangenen?

Gall: In der Vergangenheit hatte ich immer wieder Probleme mit Infekten. Jetzt bin ich widerstandsfähiger, ich glaube, das kommt auch mit den Jahren als Profi, man gewöhnt sich mehr an die Belastung. Das Höhentrainingslager in Spanien war auch besser, als daheim auf der Rolle indoor zu radeln.

STANDARD: Radfahren ist grundsätzlich gesund, Sie betreiben es freilich extrem. Ist man als Profi im Bereich Rücken oder Schultern nicht enorm belastet? Was müssen Sie abseits des Kurbelns trainieren, um fit zu sein für eine dreiwöchige Ochsentour?

Gall: Tatsächlich trainiere ich sehr wenig abseits des Radfahrens. Krafttraining im Winter mache ich gar nicht mehr, es beschränkt sich auf Dehnen und Rumpfkräftigung. Ich bin nicht der Vorzeigeathlet, habe aber auch keine gröberen Probleme. Manchmal zwickt der Rücken, weil sich mein Becken verschiebt und ich schief auf dem Rad sitze. Dann muss ich den Hüftbeuger aufdehnen. Ich lasse mich nur einmal die Woche ausgiebig massieren, und dann bekomme ich schon Ärger mit dem Physiotherapeuten, weil irgendwo ein Muskel verhärtet ist.

STANDARD: Schlafen Sie gut während einer mehrwöchigen Rundfahrt?

Gall: Nicht unbedingt. Irgendwann erreicht man einen Punkt, wo man so zerstört ist, dass es dann schon schwerfällt zu schlafen. So geht es vielen Profis. Man hat jeden Tag ein anderes Hotelbett. Ich habe meinen eigenen Polster mit, manche Teams haben ihre eigenen Matratzen dabei.

STANDARD: "Ich denke an nichts." Das antwortete Lance Armstrong einmal auf die Frage, was ihm beim Bergauffahren durch den Kopf geht. Woran denken Sie, wenn Sie sich einen Berg hinaufquälen?

Gall: Ich versuche, auf meinen Körper zu hören, achte auf einen guten Tritt, eine gleichmäßige, tiefe Atmung. Da habe ich schon manchmal ein Flowgefühl. Wenn man aber am Limit ist, bekommt man von der Umgebung nichts mehr mit, man hat höchstens noch die unmittelbare Konkurrenz im Auge.

STANDARD: Letztes Jahr erster Giro, dieses Jahr Debüt bei der Tour de France: Wollen Sie sich zukünftig auf große Rundfahrten konzentrieren?

Gall: Die nächsten ein oder zwei Jahre werden entscheidend. Ich bin mit 25 nicht mehr der Allerjüngste, hatte in der Vergangenheit nicht so viele Renntage wie andere Fahrer in meinem Alter, meine Karriere ist erst mit Verzögerung in Gang gekommen. Im Moment fühle ich mich sehr wohl bei einwöchigen Rundfahrten und schweren Eintagesrennen. (Florian Vetter, 30.6.2023) 

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