Dymtro Firtasch blickt während einer Besprechung in die Kamera.
Dmytro Firtasch auf einem Archivbild.
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Wien/Kiew/Washington – Die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Wien vom 14. Juni zum Fall des ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtasch beinhaltet nicht nur die rechtlichen Gründe, die den Richtersenat dazu bewogen, ein 2014 von den USA angestrengtes Auslieferungsverfahren gegen Firtasch neu starten zu lassen. In der Entscheidung, die das Gericht der APA in einer anonymisierten Form zur Verfügung stellte, finden sich mit einer Belarus-Connection sowie teils unerwarteten Zeugen auch politisch brisante Details.

Frage der diplomatischen Immunität

Dass sich der Ukrainer als Diplomat sieht und als solcher auf einer Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung in Österreich besteht, war vor der OLG-Entscheidung nicht allgemein bekannt gewesen. Konkret referieren die Richter, dass Firtasch am 15. Juli 2017 sowie mit einer nicht näher spezifizierten "Note" vom 21. Juli 2021 das Landesgericht Wien darüber informiert habe, zum "Berater der Ständigen Vertretung der Republik Belarus bei den Internationalen Organisationen in Wien" ernannt worden zu sein. Diese Ernennung der UN-Organisation für Industrielle Entwicklung (Unido) am 29. Juni 2021 auch "notifiziert" worden.

Während der Ukrainer im Herbst 2021 sogar ein einschlägiges Rechtsgutachten vorlegte, geht man in den zuständigen österreichischen Ministerien davon aus, dass keine diplomatische Immunität vorliegt. Firtasch fehlt auch in der vom österreichischen Außenministerium geführten öffentlichen Liste der in Wien akkreditierten Diplomaten.

Kein Kommentar aus belarussischer Botschaft

In der Botschaft von Belarus verweigerte man der APA Informationen zum Status des Ukrainers: "Wir geben grundsätzlich keine Auskünfte zu Personalfragen", sagte der Erste Botschaftsrat Wladimir Solowjow am Donnerstag. "Nach Abklärung mit den Anwälten von Herrn Firtasch bin ich leider nicht in der Lage, das laufende Verfahren zu kommentieren", erklärte auch der österreichische Firtasch-Sprecher Daniel Kapp. Er wolle damit aber nicht suggerieren, dass Firtaschs Status als Diplomat in einem ursächlichen Verhältnis zum Auslieferungsverfahren stehe. Bei der in Wien ansässigen Unido selbst ließ man am Donnerstag eine schriftliche Anfrage der APA unbeantwortet.

Deutlich wird aus der aktuellen Gerichtsentscheidung aber auch, dass sich Firtaschs Verteidiger gerade in den Monaten nach dem Antrag auf Wiederaufnahme des Auslieferungsverfahrens im Juni 2019 intensiv mit Zeugenbefragungen beschäftigten. Ziel war es dabei, Argumente für eine politische Motiviertheit des von Staatsanwälten in Chicago 2013 eingeleiteten Strafverfahrens sowie des Auslieferungsbegehrens an Österreich zu sammeln, die österreichische Gerichte zur Ablehnung des Auslieferungsantrags bewegen sollen. Obwohl das Oberlandesgericht Wien seine der APA übermittelte Entscheidung anonymisierte, lassen sich mit Ukraine-Kenntnissen zentrale Zeugen der Verteidigung problemlos identifizieren.

Ex-Chef des ukrainischen Geheimdiensts befragt

So erzählte laut OLG-Entscheidung der Ex-Chef des ukrainischen Geheimdiensts SBU, Walentyn Naliwajtschenko, in einer Befragung am 2. September 2019, dass der damalige Übergangspräsident Olexandr Turtschynow und der damalige Premier Arsenij Jazenjuk Ende Februar 2014 "in direktem und ständigem Kontakt" mit den USA gestanden seien und ihn als Chef des SBU gleichzeitig aufgefordert hätten, "sofortige Maßnahmen zur Ausschaltung bzw. Beschränkung des Einflusses" von Firtasch einzuleiten.

Naliwajtschenko verwies aber auch auf Ereignisse, in die er selbst nicht involviert war, und interpretierte sie im Sinn von Firtaschs Verteidigung. So sprach er von einem Treffen zwischen der US-Spitzendiplomatin Victoria Nuland mit Präsident Wiktor Janukowytsch Anfang November 2013, dass "nach Ansicht des SBU" zur temporären Rückziehung eines US-Ersuchens auf Festnahme Firtaschs geführt habe.

Naliwajtschenkos Bereitschaft zur Unterstützung Firtaschs verwundert: Der nunmehrige Abgeordnete gehört seit 2019 ausgerechnet der Fraktion von Firtaschs politischer Intimfeindin Julija Tymoschenko im ukrainischen Parlament an und positionierte sich eigentlich stets als Gegner des Oligarchen. Als die APA eine damalige Sprecherin des Politikers im Sommer 2018 mit Gerüchten über ein damaliges Treffen von Firtasch und Naliwajtschenko in Wien konfrontierte, war sie nicht begeistert. Es sei unangenehm, dass gerade jemand wie Naliwajtschenko verdächtigt werde, mit Firtasch in Verbindung zu stehen, erklärte sie.

Antiamerikanischer Spin

Weniger überraschend, aber aus ukrainischer Perspektive durchaus brisant sind die seit 2014 im russischen Exil lebenden Zeugen Andrij Kljujew und Wolodymyr Siwkowytsch. Am antiamerikanischen Spin der beiden Ex-Politiker und Janukowytsch-Mitstreiter besteht wenig Zweifel - Siwkowytsch wird von Ermittlern in Kiew zudem vorgeworfen, Russlands Invasion der Ukraine gemeinsam mit dem russischen Geheimdienst FSB maßgeblich mitvorbereitet zu haben.

In ihren Aussagen unterstützen Kljujew wie Siwkowytsch die gerade auch in Moskau populäre These einer vom damaligen US-Vizepräsidenten Joe Biden und der US-Diplomatin Nuland forcierten Verschwörung zur Umsetzung von Interessen der US-Politik in der Ukraine. Vorwürfe gegen die USA äußerte aber auch Oligarch Ihor Kolomojskyj. Ihm soll laut eigenen Angaben Nuland selbst erzählt haben, dass das Vorgehen gegen Firtasch politische Gründe gehabt habe.

Freilich hatte Kolomojskyj zum Zeitpunkt seiner Zeugenaussage am 21. August 2020 auch gute Gründe, auf die USA beleidigt zu sein: Im Mai 2020 war bekannt geworden, dass US-Ankläger ähnlich wie zuvor gegen Firtasch auch gegen Kolomojskyj ermittelten, zwischenzeitlich hat sich die Gangart der USA gegen diesen Unternehmer auch noch maßgeblich verschärft. (APA, 30.6.2023)