Analyse: Johannes Dieterich aus Johannesburg

Auch diese Wahrheit hat Jewgeni Prigoschins halbstarker "Marsch auf Moskau" ans Licht dieser Welt gebracht: Die russische Wagner-Gruppe ist in Afrika nicht nur existent, was ihr Gründer noch bis vor neun Monaten geleugnet hatte. Sie ist außerdem "zu hundert Prozent" von der russischen Regierung finanziert, wie Wladimir Putin Anfang dieser Woche bestätigte. Bislang hatte Moskau jede Verbindung der Söldnertruppe zum Kreml – zumindest ihres afrikanischen Arms – weit von sich gewiesen. Lügen sind allerdings die harmlosesten Vergehen, die dem Kreml-Chef vorzuwerfen sind.

Putins Zugeständnis räumt auch mit einem anderen Missverständnis auf: dass sein Zerwürfnis mit Prigoschin zu einem Abzug der Söldner aus Afrika führen könnte. Sowohl der Wagner-Gründer wie Moskaus Außenminister Sergej Lawrow machten bereits klar, dass das afrikanische Abenteuer der Lohnkämpfer keineswegs beendet ist: Zu groß ist der ökonomische und politische Gewinn, den Prigoschin und Putin aus den Machenschaften der weit über 5.000 Söldner auf Europas Nachbarkontinent ziehen. Die Einzigen, die der Truppe den Laufpass geben könnten, sind die Regierungen der Staaten, in denen sie tätig ist. Hätten diese nicht zu befürchten, dass sie ohne die gewissenlosen Haudegen aus dem Amt gefegt werden.

Gruppe bringt Unheil

Über den Charakter der Wagner-Gruppe gibt es nach zahlreichen Studien sowohl der Vereinten Nationen als auch mehrerer Nichtregierungsorganisationen keinen Zweifel mehr. Die Truppe richtet, wo immer sie tätig ist, Unheil unter der Bevölkerung an, wie etwa die Rechercheure der US-Organisation The Sentry in ihrer Anfang dieser Woche veröffentlichten Studie "Die Architekten des Terrors" am Beispiel der Zentralafrikanischen Republik aufzeigen. Unter Billigung des Präsidenten Faustin-Archange Touadéra hat die Söldnergruppe den gescheiterten Staat fast völlig in ihre Kontrolle gebracht. Mit Wagner verknüpfte Firmen kontrollieren die größte Goldmine des Landes, roden den Regenwald und brauen Bier, nachdem sie eine französische Brauerei niedergebrannt haben.

Der Einwand, die Russen wüteten in Afrika heute auch nicht viel anders als die Franzosen in den vergangenen 150 Jahren, ist berechtigt: Aber zu Wagner'scher Brutalität haben es die französischen Kolonialisten dann doch nicht gebracht. Der zentralafrikanische Präsidentenberater Fidèle Gouandjika erzählt holländischen Journalisten, wie die heimliche Armee gemeinsam mit den russischen Söldnern gegen ihre Feinde – meist die Zivilbevölkerung – vorzugehen pflegt: "Wir vernichten sie in chirurgischen Eingriffen … Es handelt sich um ihre vollständige physische Beseitigung. Und so brutal wie möglich."

Das blutigste Terrain

In Libyen exekutierten die Söldner ihre Gegner und versahen Privatwohnungen mit Sprengstofffallen. In Mali waren sie an einem Massaker beteiligt, dem mehr als 500 Menschen zum Opfer fielen. Und im Sudan halten sie mit Waffenlieferungen an die RSF-Miliz den irrsinnigen Konflikt zweier Generäle auf Kosten der Bevölkerung in Gang. Außer mit Kalaschnikows sind die Söldner in Afrika auch mit Laptops unterwegs: Sie pflanzen Trolle ins Internet und beeinflussen Wahlen.

Dass Militärherrscher und unter Druck geratene Autokraten die Haudegen nicht nach Hause schicken, überrascht kaum: Schließlich sind sie die "Lebensversicherung für scheiternde Regime", wie einst Frankreichs Präsident Emmanuel Macron es nannte. Unglaublich ist jedoch, dass andere Präsidenten des Kontinents der Bande nicht das Handwerk legen: Weder regionale Staatenbünde wie Ecowas noch die Afrikanische Union haben einen Bann der Söldnertruppe erlassen.

Der Grund dafür ist das notorische Versagen der Union überhaupt. Sie ist ein Klub von Staatschefs und keine Vereinigung zum Wohl der Bevölkerung. Ein Großteil der afrikanischen Regierungen ist bekanntlich mehr an ihrer Bereicherung und ihrem Machterhalt als am Wohl der Bevölkerung gelegen. Es ist die Ursünde des Postkolonialismus, dass sich die neue afrikanische Elite schlicht in die Sessel der alten europäischen setzte.

Aufschrei

Im neuen Wettrennen um Afrikas Märkte, seine Bodenschätze und seine Stimmen in internationalen Gremien ist China dieser Umstand egal. Dort betont man traditionell, dass man sich nicht in innere Angelegenheiten einmische. In Russland aber nützt man ihn sogar noch schamlos aus. Der Westen könnte an der Kluft zwischen herrschenden und beherrschten Afrikanern und Afrikanerinnen etwas ändern: indem er auf die Bevölkerung, also auf die Zivilgesellschaft, hört und seine Hilfe für Regierungen an Bedingungen – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und transparente Regierungsführung – knüpft. An dieser Stelle ist der Aufschrei garantiert: Bevormundung, Besserwisserei, Neokolonialismus! Bei genauerem Hinsehen wird allerdings klar, wer schreit: diejenigen, die sich an der Macht befinden. In dieser Welt stehen sich nämlich nicht Europa und Afrika, eher schon zynische Menschenverächter und Menschen guten Willens gegenüber. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 1.7.2023)