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Wieviel Zeit ein Kind mit Handy und Co verbringen soll, ist altersabhängig und individuell sehr verschieden.
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Es sind Jans erste Sommerferien mit seinem eigenen Smartphone. Der Elfjährige schaut darauf gern Youtube-Videos an, spielt Minecraft und Stumble Guys oder schreibt Freunden Whatsapp-Nachrichten. Das Ding übt eine magische Anziehungskraft auf ihn aus, gegen die seine Eltern täglich ankämpfen. "Wir müssen in diesen Ferien ganz bewusst viele interessante Sachen planen, damit er etwas anderes zu tun hat", sagt Jans Mutter Anna (die Namen wurden geändert, Anm.).

Zwar ist der Gymnasiast alt genug, um einige Stunden am Tag alleine zu Hause bleiben zu können – Anna fürchtet aber, dass er dann nur vor dem Handy oder dem Tablet säße, das er in der Schule bekommen hat. Da ihr Sohn das Handy auch nutzt, um mit Freunden in Kontakt zu sein, wollen ihm seine Eltern die Verwendung nicht zu stark einschränken. Einfacher ist die Vorgabe bei der Spielkonsole, die Jan bis zu 30 Minuten am Tag nutzen darf.

Neue Herausforderungen

Ferien sind eine herausfordernde Zeit für Eltern von Schulkindern. Neun Wochen lang braucht es Betreuung oder zumindest Beschäftigung für den Nachwuchs. Oft bietet der Sommer Kindern und Jugendlichen deutlich mehr Zeit, um am Handy, Tablet oder Computer zu hängen. Viele Eltern sehen das skeptisch und fragen sich, wann es zu viel ist: Wie viel Bildschirmzeit ist okay fürs Kind?

Barbara Buchegger sollte es wissen: Sie arbeitet bei Saferinternet.at, einer Initiative, die Jugendliche, Eltern und Lehrende beim Umgang mit digitalen Medien unterstützen soll. Buchegger veranstaltet Workshops, produziert humorvolle Videos und schreibt Blogbeiträge (zum Beispiel auf derStandard.at). Ihre Antwort auf die oft gestellte Frage ist aber eher unkonkret: "Es hängt sehr stark vom Umfeld der Kinder ab, wie dort mit digitalen Medien umgegangen wird, wie stark sie präsent sind, ob das Kind genug schläft oder anderes vernachlässigt. Auch in welcher Geschwisterfolge das Kind ist, spielt eine Rolle: Ältere Geschwister führen jüngere oft in den Umgang mit Medien ein", sagt Buchegger.

Ungefähre Richtwerte finden sich bei Klicksafe.de, dem deutschen Pendant zu Saferinternet.at. Demnach sind für Zwei- bis Dreijährige fünf bis zehn Minuten begleitete Bildschirmzeit okay, in der Altersgruppe der Vier- bis Sechsjährigen maximal 30 Minuten, aber besser noch nicht täglich, und für sieben- bis zehnjährige Kids wird maximal eine Stunde am Tag veranschlagt.

Mehr Zeit im Netz seit Pandemie

Generell hat sich die Zeit, die Kinder und Jugendliche online sind, während der Pandemie erhöht und ist danach zwar gesunken, sagt Buchegger, aber nach wie vor werde mehr Zeit im Netz verbracht als zuvor.

Oft kommt es Eltern so vor, als sei ihr Kind richtiggehend besessen von Handy und Co. Manche wenden sich dann an die Therapie- und Beratungsstelle für Mediensucht an der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien. Das ist eine Anlaufstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die exzessiv Internet und digitalen Medien nutzen. Julia Dier vom dortigen Psychotherapeutenteam gibt zu bedenken, dass bei Kindern die Impulskontrolle noch nicht so stark ausgeprägt ist.

Nicht alles, was Eltern für Sucht halten, ist es aber auch. Sorgen sind jedoch berechtigt, wenn das Kind über Monate ganz eingenommen ist von dem Gedanken ans Handy, an Online-Spiele oder Social-Media-Timelines, es immer mehr und immer länger damit Zeit verbringen will, dabei aber Freundschaften und Hobbys vernachlässigt und sich negative Folgen einstellen, beispielsweise schlechte Noten in der Schule oder Schlaflosigkeit.

Therapie und Vorgaben

Bei der Beratungsstelle für Mediensucht werden in solchen Fällen Therapiestunden angeboten. "Oft kommt heraus, dass den Kindern in der Realität Erfolgserlebnisse fehlen", sagt Dier. Das Medienverhalten sei jedenfalls nur die Spitze eines Eisbergs. Fast immer lägen der Internet- oder Handysucht Probleme mit Familie oder Schule zugrunde.

Damit es nicht zu problematischem Konsumverhalten kommt, empfiehlt Dier, schon früh im Leben eines Kindes medienfreie Zeit zu vereinbaren, die dann möglichst für die ganze Familie gilt. "Oft weiß ich, wenn ich mir ein Kind ansehe, wie sich einer der Elternteile verhält", sagt Dier. Erwachsene dürfen ihre Vorbildwirkung also nicht unterschätzen.

Nichts Verbieten

Verbote sieht Dier skeptisch. Nur bei unter Dreijährigen mache es Sinn, Medienkonsum so gut wie möglich auf altersgemäße, langsame Formate zu beschränken. Das Wichtigste sei, einen guten Zugang zum Kind zu haben. Um die Kommunikation zu verbessern, könne man sich zum Kind dazusetzen und nachfragen, was es da gerade mache.

"Am wichtigsten ist, sich mit dem Kind zu beschäftigen", sagt auch Barbara Buchegger. Mit technischen Sperren allein – etwa der kindgerechten Version von Google (Google Family Link) oder auf Geräten die Bildschirmzeit zu begrenzen – sei es jedenfalls nicht getan. "Man sollte versuchen, sich mit dem, was das Kind fasziniert, positiv auseinanderzusetzen", ergänzt Buchegger. Selbst wenn man es persönlich nicht ganz so faszinierend finde.

Whatsapp ist am beliebtesten

Die beliebtesten Plattformen unter Jugendlichen sind Whatsapp, Youtube und Instagram, gefolgt von Snapchat und Tiktok. Das zeigt eine jährlich durchgeführte Befragung unter Elf- bis 17-jährigen für den Jugend-Internet-Monitor 2023 von Saferinternet.at.

Um Kinder zu schützen, sollten sie auf ihrem Weg durchs World Wide Web begleitet und die Älteren im Nachhinein zu ihren Online-Aktivitäten befragt werden, schlägt Buchegger vor. Seit der Pandemie finde derlei aber weniger statt, das beobachtet die Expertin in Schulworkshops. Kinder kämen mit sehr vielem in Kontakt, das sie nicht einordnen können. Dabei wäre es wichtig, dass Eltern und Kinder sich über Gefahren und den Nutzen von Websites, Plattformen und Tools austauschen.

Jan durfte sein Handy anfangs kaum allein benutzen. "Man kann einen Zehnjährigen nicht einfach so auf die Welt des Internets loslassen", befindet seine Mutter. Also haben die Eltern in den ersten Monaten genau mitverfolgt, was Jan tut. "Anfangs war vereinbart, dass wir bei Whatsapp mitlesen dürfen", sagt Anna. Das klingt nach einem sehr genauen Plan, doch Jans Mutter empfindet es als sehr schwierig, die Mediennutzung ihrer Kinder richtig zu begleiten. "Wir haben keine Erfahrungswerte. Als ich ein Kind war, gab es das alles noch nicht."

Analoge Alternativen anbieten

Sehr wichtig ist, Alternativen in der analogen Welt anzubieten und eine Tagesstruktur zu schaffen. Jans Eltern bemühen sich sehr darum: Sportliche Unternehmungen, Sommercamps und Zeit mit den Großeltern sollen die Zeit im virtuellen Raum begrenzen. Ressourcen, die natürlich längst nicht jeder Familie zur Verfügung stehen.

"Viele Kinder und Jugendliche wissen wirklich nicht, was sie stattdessen machen könnten", sagt Buchegger. Es sei jedenfalls ratsam, schon vorab zu besprechen, was nach dem Internetsurfen oder Online-Spielen auf dem Programm steht, und nicht erst, wenn die virtuelle Welt mit all ihren Versuchungen und Faszinationen die Kids bereits in ihren Bann zieht. Die drei Jahre Pandemie, in denen sich das soziale Leben phasenweise ganz ins Internet verlagerte, seien für viele Kinder und Jugendliche lebensbestimmend gewesen. Viele hätten auch soziale Ängste, seien unsicher.

Gesteigerte Bildschirmzeit

Es kann also durchaus sein, dass es schwieriger geworden ist, Kinder vom Bildschirm wegzubekommen. Trotzdem rät Buchegger dazu, jetzt "ein bisschen Entspannung reinzubringen" und Online-Tools nicht automatisch zu verteufeln. Aktive Mediennutzung – Videos schneiden zum Beispiel oder Programmieren – statt passiver Berieselung könne sehr lehrreich sein.

Jans Mutter bringt auf den Punkt, was wohl viele Eltern bewegt: "Bisher galt für uns: Je älter die Kinder werden, desto selbstständiger werden sie", diverse digitale Geräte würden das aber durcheinanderbringen, "weil es ein riesiger Aufwand ist, die Kinder mit Handy und Co nicht sich selbst zu überlassen".

Inzwischen hat Jan mehr Freiheiten. Er nutzt das Handy rund eine Stunde am Tag. Seine Eltern haben sich an den Kraftakt, die Bildschirmzeit zu regulieren, ein wenig gewöhnt. In den Sommerferien fällt immerhin eine Sorge weg: dass schulische Leistungen leiden könnten. "Die Ferien sind dazu da, sich zu entspannen", fasst Buchegger zusammen. "Kinder wie auch Erwachsene entspannen sich eben auch in der digitalen Welt." (Gudrun Springer, 1.7.2023)