Stefan Brändle aus Paris

Samira, eine Einwohnerin von Nanterre, schloss in der Nacht auf Freitag kein Auge. Wie sie einem Pariser Radiosender erklärte, verfolgte sie die Szenen vor ihrem Wohngebäude aus Angst, dass "die Jungen" auch ihr Auto in Brand stecken könnten.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim Krisenstab in Paris am Freitag.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim Krisenstab in Paris am Freitag.
EPA/YVES HERMAN / POOL

Seitdem ein Streifenpolizist am Dienstag einen fliehenden Teenager in Nanterre westlich von Paris erschoss, sind rund 1900 Autos ausgebrannt. Zudem sind dutzende Schulen, Bibliotheken und Rathäuser Opfer von Brandanschlägen geworden. In Roubaix brannte ein Hotel aus, in Nantes wurde ein Auto als Rammbock eingesetzt, um einen Supermarkt aufzubrechen.

In der dritten Krawallnacht in Folge wurden 875 Randalierer verhaftet, die Hälfte im Ballungsraum Paris. 250 Polizisten erlitten im Kampf gegen die Vorstadtguerillas teils schwere Verletzungen. Ein Sprecher der Kommissargewerkschaft erklärte, er habe in 20 Jahren Berufsausübung noch nie ein solches Ausmaß an Gewalt erlebt.

Die Rolle von Social Media

Präsident Emmanuel Macron verließ am Freitag frühzeitig den EU-Gipfel in Brüssel, um in Paris einen Krisenstab zu leiten. Er wandte sich gegen die "inakzeptable Instrumentalisierung eines Todesfalls" und kündigte diverse Maßnahmen an. Mancherorts werden Versammlungen verboten. Vorortezüge stellen den Betrieb um 21 Uhr ein.

Zugleich appellierte Macron an die Eltern, ihre oft erst 13 oder 14 Jahre alten Söhne abends nicht auf die Straße zu lassen. Social-Media-Plattformen sollten zudem gewaltverherrlichende Videos sperren und den Behörden die Identitäten von Nutzern offenlegen, die zu Gewalt anstiften.

Der Anwalt des Polizisten, gegen den wegen vorsätzlicher Tötung ermittelt wird, erklärte indes, der Schütze habe die Familie des Toten um Verzeihung gebeten. Er sei vom Durchstarten des Autos überrumpelt worden, worauf sich ein Schuss gelöst habe. Zuvor hatte er erklärt, er habe aus Notwehr gehandelt. Das österreichische Außenministerium riet indes, Reisen in die Vorstadtviertel um Paris zu vermeiden. (Stefan Brändle aus Paris, 30.6.2023)