Gerade einmal acht Monate ist es her, da hat Elon Musk den Kauf von Twitter abgeschlossen. Seitdem ist bei dem sozialen Netzwerk kaum ein Stein auf dem anderen geblieben, und das bedeutet vor allem: Es sind sehr viel weniger Steine geworden. Ein Großteil der Angestellten wurde gekündigt, bei der technischen Infrastruktur wurde ebenso kräftig gespart – und mit langjährigen Partnern gestritten.

Twitter-Eigentümer Elon Musk
Elon Musk, oft gut gelaunt.
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Umstrittene Entscheidungen in Hinblick auf die Moderation der Plattform führten wiederum dazu, dass sich ein Teil der Werbetreibenden zurückzog, ein guter Teil davon ist bis heute nicht wiedergekehrt. All das hat natürlich Auswirkungen auf die Qualität der Plattform. Seit Monaten gibt es mit unschöner Regelmäßigkeit Probleme bei der Nutzung von Twitter.

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DER STANDARD

Warnung

Insofern waren viele Nutzerinnen und Nutzer zunächst nicht einmal sonderlich überrascht, als Twitter am Samstag plötzlich Fehlermeldungen statt neuer Tweets anzeigte. "Sorry, aber du hast das Zugriffslimit erreicht. Bitte warte einen Moment und versuche es erneut", stand da geschrieben. Doch wie sich einige Stunden später herausstellen sollte, handelte es sich in diesem Fall keineswegs um ein technisches Gebrechen, sondern um eine bewusste und doch in vielerlei Hinsicht verwunderliche Entscheidung des Unternehmens.

Da man sich mit einem "extremen Ausmaß" an automatisierten Datenabgriffen konfrontiert sehe, sei man dazu gezwungen, den Zugriff auf Twitter vorübergehend einzuschränken. Pro Tag dürften "verifizierte" Konten – als solche bezeichnet Twitter jene, die für ein Abo zahlen – 6.000 Tweets pro Tag lesen, "unverifizierte" hingegen nur mehr 600 und ganz neue, nicht zahlende User gar nur mehr 300.

Sperre für Außenstehende

In der folgenden Diskussion machte Musk vor allem KI-Startups indirekt für diese Maßnahme verantwortlich, die Twitter-Inhalte zum Trainieren ihrer Systeme verwenden würden. Mit der Beschränkung will Musk also wohl die Serverkosten für den Dienst beschränken. Dazu passt auch, dass ebenfalls seit Samstag Tweets nicht mehr öffentlich einsehbar sind. Wer auf einen entsprechenden Link klickt, muss also ein Twitter-Konto haben, um diesen lesen zu können. Eine Ausnahme scheint es derzeit nur für das Einbetten entsprechender Inhalte in externen Webseiten zu geben.

Die neuen Zugriffsbeschränkungen sorgen in der Twitter-Community für Empörung, immerhin machen diese die Plattform für viele User praktisch unbenutzbar. Beim allergrößten Teil der aktiven User handelt es sich um welche, die schon länger ein Konto haben, aber kein Abo abschließen wollen. 600 Tweets mag für Außenstehende nach viel klingen, in der Realität ist diese Zahl aber sehr schnell verbraucht, scrollt man bei Twitter doch oft flott durch die Nachrichten.

Keine Nutzer, keine Werbeeinnahmen

Dass Musk in den folgenden Stunden verkündete, das Limit zunächst auf 800 und dann 1.000 Tweets anzuheben, änderte an diesem Umstand wenig. Auch am Sonntag ist für viele langjährige User der Plattform diese praktisch unbenutzbar. Wie lange das noch so weiter gehen soll, war zunächst nicht klar. Musk hat keinen zeitlichen Rahmen für diese, wie er sagt, "vorübergehende" Beschränkung angeben.

Schnell wurde dabei auch die finanzielle Sinnhaftigkeit von Musks Maßnahme in Zweifel gezogen. Immerhin finanziert sich Twitter weiterhin zum größten Teil durch Werbung. Wenn die Plattform unbenutzbar ist, wird aber natürlich auch keine Werbung angezeigt, eine Beschränkung des Zugriffs erscheint schon alleine aufgrund dessen widersinnig.

Fehlersuche

Gleichzeitig fiel manch technisch versierten Twitter-Usern aber etwas ganz anderes auf. Nämlich, dass die Plattform derzeit tatsächlich mit einem starken Anstieg von Zugriffen zu kämpfen haben dürfte – aber auch einen, den sie selbst verursacht hat. Durch die Beschränkung auf eingeloggte User dürfte nämlich ein fatales Fehlverhalten ausgelöst worden sein. Wie sich mit Entwicklertools für Browser-Apps herausfinden lässt, versucht Twitter in einer Dauerschleife Inhalte zu laden, die es nicht erreichen kann. Dadurch entsteht eine Art selbst verursachte DDoS-Attacke gegen die Seite.

Prognostizierte Probleme

Damit wirft der Vorfall erneut die Frage auf, wie sehr Twitter die eigene Plattform technisch noch unter Kontrolle hat. Immerhin scheint damit (auch) exakt jenes Szenario einzutreten, vor dem ehemalige Twitter-Mitarbeiter gewarnt hatten. So betonte einer davon letzten November in einem Interview mit MIT Technology Review, dass Twitter nicht von einem Tag auf den anderen zusammenbrechen würde, sondern sich durch die mangelnde Pflege der Systeme mit der Zeit immer mehr und schwerere Fehler zeigen würden. Damals ging er von einem Zeitraum von sechs Monaten aus, dieser wurde nun nur knapp überschritten.

Konkurrenz kämpft auch, aber anders

Unterdessen hat die Twitter-Selbstblockade indirekt auch Probleme bei anderen ausgelöst. So musste der Konkurrent Bluesky mittlerweile Neuanmeldungen deaktivieren, da man mit dem Ansturm neuer User nicht mehr zurechtkam.

Gleichzeitig scheint sich auch ein weiterer Konkurrent auf den Start für seine Twitter-Alternative vorzubereiten: Das von Facebook-Hersteller Meta entwickelte "Threads" war am Samstag bereits kurz in Googles Play Store verfügbar. Screenshots zeigen dabei ein zu Twitter recht ähnliches Design.

Musk bleibt der wahre Chef

Unterdessen macht der aktuelle Vorfall auch noch etwas ganz anderes klar: Elon Musk hat weiterhin die Zügel bei Twitter fest in der Hand. Seine Nachfolgerin als Firmenchefin, die ehemalige NBC-Universal-Managerin Linda Yaccarino, hat sich zu den aktuellen Vorfällen bisher noch nicht zu Wort gemeldet. (Andreas Proschofsky, 2.7.2023)