Ein gezoomtes Bild eines Computermonitors zeigt eine Website, die Cliparts für Online-Shops verkauft.
Lockrufe im Internet
Kaufen, kaufen, kaufen – die Verlockungen sind auch im Internet groß. Dabei geht es bei weitem nicht nur um Produkte und Preise.
REUTERS/Heinz-Peter Bader

Von der Tastaturreinigungsbürste sind bereits 865 Stück verkauft – zum Schnäppchenpreis von 0,98 Euro. Kein Wunder, gibt es doch 80 Prozent Rabatt. Willkommen beim Sommersale im Billigland von Temu (sprich: Tii-Muh). Kaum kam der chinesische Onlinehändler nach Österreich, schon führte er die heimische Liste der Gratis-Apps an. "Shopping wie Milliardäre", dem Lockruf der E-Commerce-Plattform können offenbar viele nicht widerstehen. Es ist der Claim, mit dem Temu im vergangenen September in den USA loslegte. Das chinesische Unternehmen hat Millionen Dollar für einen Werbespot beim Super Bowl lockergemacht. Die Konzernmutter PDD hielt sie für gut angelegt. Es sagt einiges über die Ambitionen der Chinesen aus.

PDD erwirtschaftete mit umgerechnet 17 Milliarden Euro Umsatz und vier Milliarden Euro Gewinn vergangenes Jahr zwar nur einen Bruchteil dessen, was Amazon mit umgerechnet gut 470 Milliarden Umsatz schafft, aber man hat sichtlich globale Pläne. Temu ist damit nicht allein. Der chinesische Wettbewerber Shein greift mit Ultra Fast Fashion an. Haben Plattformen wie diese das Zeug, mit ihren No-Name-Produkten, die sie teilweise sehr günstig direkt von asiatischen Herstellern an die Endkonsumenten liefern, dem US-Onlinegiganten Amazon das Wasser abzugraben? Marcus Kroth glaubt das nicht. "Schaut man sich Kundenrezensionen an, merkt man schnell: Der Kundenservice ist oft verbesserungswürdig, die Produkte sind häufig nicht von nachhaltiger Qualität, bei vielen Bestellungen fallen Zollgebühren an, die Lieferung dauert meist sehr lange. Ich sehe hier aktuell keine große Konkurrenz für Amazon." Der E-Commerce-Experte der Boston Consulting Group (BCG) beschäftigt sich mit der Frage, was beim E-Commerce alles schiefgehen kann. Eines machen die chinesischen Plattformen richtig: Sie lassen den Anschein erwecken, sie seien westliche Unternehmen, obwohl sie originär aus Asien stammen.

Immer Ausverkauf

Sale, der Stempel ist vielen Produkten bei Temu aufgedruckt. Die Hose ist um knapp neun Euro zu haben, die Bluse um weniger als fünf. Dazu läuft die Uhr – und läuft und läuft. Sie markiert die Zeitspanne, wie lange das jeweilige Sonderangebot noch zu haben ist. Dazu kommen Gratisversand, kostenlose Retoure und das Versprechen, dass eine verspätete Lieferung fünf Euro Gutschrift bringt. Haushaltswaren, Mode, Kosmetik – kostet alles fast nix im kunterbunten, blinkenden Shoppingparadies von Temu. Die PDD Holding, der Konzern hinter dem Onlinediskonter, ist neben Alibaba und JD.com der drittgrößte chinesische Onlinehändler. Er schickte die Tochter Temu mit ihrem knallorangen Logo im heurigen Frühjahr in Europa an den Start. Bald darauf auch in Österreich.

Das Shein-Logo ist im Büro des Unternehmens im zentralen Geschäftsviertel von Singapur abgebildet.
Schöner Schein
Shein lockt mit ultrabilliger Mode.
REUTERS/Chen Lin

Beim Konkurrenten Shein gibt es Brautkleider um umgerechnet 23 Euro – andere zahlen dafür schon einmal tausend und mehr. In den USA ist Temu an Shein vorbeigezogen. An dem Fast-Fashion-Riesen gibt es aber viel Kritik: Arbeitsbedingungen, Produktpiraterie, gefälschte Zertifikate und mangelnde Nachhaltigkeit, all das lasse sehr zu wünschen übrig, hieß es in einem Bericht des britischen TV-Senders Channel 4 Ende 2022. Konkurrent Temu behauptet auf seiner Website, man sei "der ökologischen Nachhaltigkeit verpflichtet", selbst das gehe sich bei den Billigstpreisen aus, so lautet das Versprechen. Wohl wissend, dass Nachhaltigkeit den Konsumenten durchaus am Herzen liegt. Das Thema werde immer wichtiger, sagt BCG-Experte Kroth. "Auch wenn sich das derzeit nicht monetarisieren lässt, weil durch die Inflation die Zahlungsbereitschaft dafür zurückgeht, achten die Konsumenten und Konsumentinnen darauf sehr genau."

Ausgabenbremse

Stichwort Ausgaben. Derzeit stehen die Menschen auch wegen der hohen Inflation auf der Bremse. Vom Mai 2022 bis April 2023 sorgte das für einen nominellen Rückgang im Distanzhandel um immerhin fünf Prozent auf ein Volumen von 10,5 Milliarden Euro. Gut die Hälfte davon (5,4 Mrd. Euro) floss zu ausländischen Händlern wie Amazon. Was macht den US-Riesen so erfolgreich? "Er hat 300 Millionen Produkte, einen attraktiven Preis. Nirgendwo ist es so schnell und einfach zu kaufen", sagt Marcus Kroth. Diese Erfahrung haben die meisten Konsumenten und Konsumentinnen wohl schon irgendwann gemacht. Dazu kommt eine weitere Spezialität, die nicht allen Konsumierenden gleich sympathisch ist: "Amazon adressiert das Thema Loyalität – kann durch seinen Datenschatz die Konsumenten und Konsumentinnen gezielt ansprechen", sagt Kroth. Ebenfalls nicht zu unterschätzen: schnelle und zuverlässige Lieferung durch Amazon Prime. Den Kopf in den Sand stecken müsse angesichts dieser Übermacht kein Anbieter, meint Kroth. Es gebe noch Platz für Spezialisten, etwa im Fashion- oder Electronicssegment. Und es sei nie zu spät für Verbesserungen im eigenen Onlineshop.

Das Logo von Temu, einer E-Commerce-Plattform im Besitz von PDD Holdings, ist auf einem Mobiltelefon zu sehen, das vor der Website des Unternehmens steht.
Billiger, billiger, am billigsten
Bis zu 90 Prozent Rabatt - da können viele Konsumenten und Konsumentinnen nicht widerstehen.
REUTERS/Florence Lo

In einer Erhebung hat BCG eine Milliarde Datenpunkte von 220.000 E-Commerce-Websites analysiert, um herauszufinden, was besonders wichtig ist. Abgesehen von Angebot, Kundenbindung und Personalisierung hat man festgestellt, dass schnellere Zahlungsmethoden die Konversionsrate um bis zu 50 Prozent erhöhen – Besucher kaufen also tatsächlich ein. Doch zurück zu Temu. Auch beim chinesischen Onlinediskonter dürften die Kunden fleißig shoppen. Allerdings – so mutmaßen viele – dürfte die ausgegebene Summe niedrig bleiben. Ob das Konzept zum ökonomischen Erfolg wird, ist also noch offen.

Rabatte, Rabatte

Zufrieden zeigt sich so manche Kundin: "Toller kleiner Pinsel für meine Computertastatur." Wer noch nicht überzeugt ist: Auf Youtube, Instagram oder Tiktok kann man sich von Werbebotschaften berieseln lassen oder Influencerinnen wie Fräulein Jasmin zuhören, die "sooo zufrieden war" mit ihrer Bestellung. "Megakrass" sei aber, so Fräulein Jasmin beseelt, dass sie einen Rabattcode bereitstellen könne, die im Vergleich zur Konkurrenz um 90 Prozent günstigeren Produkte seien dann noch einmal um 50 Prozent günstiger. Man kann es wohl unter "Einkaufserlebnis" subsumieren. Für den Experten Kroth ist klar, dass heute niemand mehr am E-Commerce vorbeikommt – trotz hoher Investitionen in technologischer und logistischer Hinsicht. "Der Trend lässt sich nicht aufhalten. Und: 70 Prozent der Onlinetransaktionen erfolgen mobil. Darauf muss jeder eine Antwort finden." (Regina Bruckner, 2.7.2023)