Pessimistisch blickt Markus Raunig üblicherweise nur selten in die Zukunft. Viel Optimismus klingt beim Vorstand des Thinktanks Austrian Startups aber momentan nicht durch. Grund sind die sich häufenden Insolvenzmeldungen in der Start-up-Szene – prominente Namen der vergangenen Wochen waren etwa Domonda (Buchhaltung), Avisio (Hotelsoftware) oder Harmony & Care (Pflege). Ende vergangenen Jahres gab es, wie berichtet, ebenfalls einen Schwall an Zahlungsunfähigkeiten.

Raunig hadert mit der aktuellen Wirtschaftslage: "Gefühlt nehmen die Insolvenzen in der Szene momentan sehr schnell zu. Die Zinswende, der Ukrainekrieg und auch die gesunkenen Tech-Bewertungen an der Börse, all das schlägt nun immer mehr durch", meint er im STANDARD-Gespräch.

Was sagen die Daten? Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist im ersten Halbjahr verglichen zum Vorjahreszeitraum um elf Prozent gestiegen und liegt damit knapp über dem Vor-Corona-Niveau. 2600 Firmen meldeten Insolvenz an, wie der Gläubigerschutzverband KSV 1870 kürzlich mitteilte. "Das Insolvenzgeschehen der letzten Monate lässt keinen markanten Anstieg an insolventen Start-ups erkennen", sagt KSV-Experte Jürgen Gebauer. "Sollten Investoren demnächst noch vorsichtiger werden, kann das insbesondere bei noch nicht ausfinanzierten Start-ups zu einem Liquiditätsengpass führen und letztlich die Gefahr einer Insolvenz erheblich erhöhen."

Zu wenig Geld

Die hohen Energiepreise und die steigenden Zinsen drücken aktuell stark auf die sogenannten Runways der Start-ups, das heißt, das verfügbare Kapital geht schneller zu Ende, als die Unternehmen das zuletzt gewohnt waren. Zur Erinnerung: Im Jahr 2021 und im ersten Halbjahr 2022 wurden laufend alle "Rekorde hinsichtlich Start-up-Finanzierungen pulverisiert". Auch hierzulande herrschte Rekordstimmung, allen voran hinsichtlich Bitpanda und Go Student – diese Zeiten sind vorbei, das Marktumfeld ist eingetrübt. Beide Unternehmen haben ihre Wachstumspläne gestoppt und die Belegschaften ordentlich zusammengestutzt. "Wenn die Investmentsituation so bleibt, wie sie ist, werden im Herbst noch viele Konkurse kommen", sagt Raunig von Austrian Startups.

Ähnlich sieht es Florian Haas von der Wirtschaftsprüfungskanzlei EY: "Die weitere Entwicklung hängt stark vom Zinsniveau und der Stimmung bei den Risikokapitalgebern ab." Einen Trend zu einer Insolvenzwelle bei Start-ups sehe er momentan noch nicht, aber die Aufmerksamkeit für die einzelnen Fälle sei höher.

Im regelmäßig erscheinenden Start-up-Barometer evaluiert EY die Marktlage, der aktuelle Report zeigt zwei Entwicklungen: Die Anzahl der Finanzierungsrunden ist zwar gestiegen – von 79 auf 91 – das Volumen ist jedoch deutlich geschrumpft. Im ersten Halbjahr haben heimische Start-ups 356 Millionen Euro lukriert und damit um rund 60 Prozent weniger als im ersten Halbjahr 2022 bzw. rund ein Drittel weniger im Vergleich zu 2021.

Zwei Firmen im Fokus

Wie bereits aus der Vergangenheit bekannt, verteilt sich das Gros der investierten Summe oft auf wenige Runden und wenige Unternehmen. So auch heuer. Die zwei großen Finanzierungsrunden des PropTechs Gropyus mit rund 100 Millionen Euro sowie des Logistik-Scale-ups Myflexbox mit rund 75 Millionen Euro vereinten die Hälfte des Kapitals.

Mann auf Drahtseil
Experten wollen noch von keiner Insolvenzwelle sprechen, doch die Situation ist angespannt. Vor allem kommt es darauf an, wie sich die Zinslage weiterentwickelt.
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"Die Rekordjagd ist vorbei. Klammert man die außergewöhnlichen Jahre 2021 und 2022 als Sondereffekte aus, zeigt sich dennoch eine positive Entwicklung. Im ersten Halbjahr gab es fast mehr als doppelt so viel Geld für Österreichs Start-ups wie im besten Vergleichszeitraum vor der Pandemie", sagt Haas. Die neue Bestmarke sei somit umso höher einzuschätzen.

Investoren denken um

Die Kombination aus wirtschaftlicher Unsicherheit, hoher Inflation sowie gestiegenen Energiekosten hat viele Investoren zu einem strategischen Umdenken gebracht, sie halten sich bei Finanzierungen nun stärker zurück. Sie evaluieren Geschäftsmodelle genauer, wodurch sich einerseits die überzogenen Bewertungen der vergangenen Jahre wieder normalisieren, andererseits der Markt konsolidiert.

"Stark wachsende und zuletzt hoch bewertete Start-ups werden vermutlich in den nächsten Monaten eine sogenannte Downround machen – eine Finanzierungsrunde mit einer niedrigeren Bewertung als beim letzten Mal", erwartet Haas.

Fürs Erste wird der Fokus daher auf Überbrückungsfinanzierungen bleiben, wo bestehende Investorengruppen Kapital nachschießen. Wann sich das wieder ändert, kann aktuell niemand abschätzen. (Andreas Danzer, 04.07.2023)