Barbie und ein Yeti als potenzielle Staatsfeinde Vietnams? "Wir erteilen dem amerikanischen Film 'Barbie' nicht die Erlaubnis, in Vietnam veröffentlicht zu werden", hieß es Anfang der Woche vom Generaldirektor des vietnamesischen Nationalen Filmbewertungsrates. Ein ähnliches Schicksal ereilte bereits 2022 den Actionthriller "Uncharted" und 2019 den Animationsfilm "Everest – Ein Yeti will hoch hinaus". Auch auf den Philippinen und in Malaysia hagelte es "Yeti"-Verbote. Und auch der US-Sportsender ESPN erntete schon einmal aus demselben Grund heftige Kritik.

Die umstrittene Szene aus "Yeti". Im Original ohne rotes Kreuz.

Was kurios klingt, hat einen knallharten geopolitischen Hintergrund: nämlich den Kampf um die Deutungshoheit im Konflikt um das Südchinesische Meer. Chinas Anspruch in dieser für die Fischerei so bedeutenden Region – die Hälfte aller weltweiten Fischerboote fischt dort – wird durch die sogenannte Neun-Striche-Linie markiert. Die restlichen Anrainer haben mit der prominenten Ausnahme Taiwans gänzlich andere Auffassungen von den Seegrenzlinien.

VIDEO: Phänomen Barbie - Warum die Kultpuppe 2023 realer ist denn je
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Ob es sich beim beanstandeten Material tatsächlich um die im Trailer zu sehende, äußerst abstrakte Weltkarte handelt, die eine Acht-Striche-Linie (!) irgendwo bei Asien (und eine weitere gestrichelte Linie zwischen Grönland und Nordamerika) zeigt, ist unklar. Laut dem staatlichen Medium "Tien Phong" dürfte die Neun-Striche-Linie im Film jedoch öfters vorkommen. Manch Journalist spekuliert dennoch schon darüber, dass es sich um einen Beschwichtigungsversuch gegenüber China handelt, weil es dort den größeren Markt gibt.

Die Neun-Striche-Linie jedenfalls, die für gewöhnlich gern einmal zur Zehn- oder Elf-Striche-Linie wird – je nachdem, wie viel China gerade beansprucht –, wird ob ihrer Form manchmal auch als Kuhzunge bezeichnet. Sie steckt vage das enorme Ausmaß des angestrebten chinesischen Seereichs ab. Es umfasst zahlreiche umstrittene Inselchen, Riffe und Sandbänke. Insgesamt zwischen 80 und 90 Prozent des 3,5 Millionen Quadratkilometer großen Südchinesischen Meeres – in etwa die Fläche Indiens.

Im Südchinesischen Meer überschneiden sich viele Ansprüche in der Grenzziehung. Chinas Neun-Striche-Linie überlappt fast alles.
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Vage ist der Anspruch, weil China die Gebiete nie offiziell reklamierte und auch die genauen Koordinaten für ihre Begrenzung nie bekanntgab. Genau das erfordern maritime Grenzen aber eigentlich. Außerdem widerspricht der chinesische Anspruch fast jeder akzeptierten Auslegung des internationalen Völker- und Seerechts. So vage China in der Theorie bleibt, umso konkreter demonstriert es seine Ansprüche jedoch in der Praxis.

Künstliche Inseln

Der chinesische Anspruch ist dabei ein dreifacher: Es geht Peking (und den anderen Staaten auch) um Land, Fischvorkommen und die Bodenschätze unter dem Wasser. Fels um Fels wird in den umstrittenen Gebieten versucht, das Gebiet für sich zu reklamieren und so Fakten zu schaffen, die oftmals die Lösungen auf dem Papier schlagen. China geht dabei sogar so weit, Unterwasserriffe mit viel Sand aufzuschütten, sodass dort Kampfjets starten und Kriegsschiffe eigens ausgehobene Tiefseehäfen anlaufen können.

Rund um solche Steinhaufen oder Riffe dürfen nach dem Völkerrecht jedoch selbst dann keine ausschließlichen Wirtschaftszonen zur Ausbeutung der Weltmeere beansprucht werden, wenn eine Bevölkerung permanent darauf lebt. Das geht nur bei natürlichen Inseln, auf denen selbstständiges Leben auch ohne menschliche Ingenieurskunst möglich wäre. Dieser Definition hält jedoch kaum eine Erhebung im Südchinesischen Meer stand.

Peking beansprucht dennoch all die Gewässer und Bodenschätze rund um die Inseln – also alles, was die neun Striche umfassen. 2009 hatte China vor der Uno erstmals eine solche Neun-Striche-Karte präsentiert, was wütende Proteste aller anderen Anrainer des Südchinesischen Meeres auslöste. Die Philippinen riefen sogar den Ständigen Schiedshof in Den Haag an, der ihnen 2016 schließlich einstimmig in den meisten Punkten recht gab. China habe kein exklusives historisches Recht auf viele Gebiete innerhalb der Linie.

Drei Inselgruppen stehen im Fokus des Interesses und werden von unterschiedlichen Staaten beansprucht.
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Multiple Interessen

Wohl wissend um den negativen Ausgang, beteiligte sich China jedoch erst gar nicht an der Streitbeilegung. Peking diskreditierte sowohl die Anhörungen als auch das Urteil. Am Tag nach dem Schiedsspruch landeten demonstrativ zwei chinesische Passagierflugzeuge auf neu errichteten Flughäfen auf den Spratly-Inseln. Ebendiese werden in Teilen auch von Vietnam, Malaysia, Brunei und den Philippinen beansprucht – zu den Letzteren liegen sie deutlich näher. 

Von der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte Depeschen aus US-Botschaften zitierten vor einigen Jahren einen hochrangigen Seerechtsexperten der chinesischen Regierung. Er gab zu, keinerlei historische Grundlage für den chinesischen Anspruch zu kennen. Denn auch wenn der ein oder andere Seefahrer für die zahlreichen Dynastien Inseln im Südchinesischen Meer besucht und die Kunde vom Kaiser verbreitet hat, ist das bei weitem keine Verwaltung der Gegend. 

Der offizielle Trailer zum Film "Barbie"
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Das hält China jedoch nicht davon ab, seine geopolitischen Muskeln spielen zu lassen. Zwischen 2018 und 2021 kam es in der Region zu mehreren angespannten Situationen auf hoher See, Gründe waren meist Öl-und Gasbohrungen, die quasi alle Anrainer regelmäßig durchführen und regelmäßig den Zorn Pekings auf sich ziehen. 2022 protestierte Vietnam gegen Bohrungen Taiwans. 2023 wird wieder mit Scharmützeln gerechnet. Auch europäische Firmen wie Total Energies oder Shell sicherten sich bereits Bohrungsrechte, aber natürlich auch chinesische und US-amerikanische. 

Die USA haben ihrerseits ein Interesse an der freien Fahrt durch die wichtige Handelsstraße und unterstützen daher die Ansprüche ihrer strategischen Partner und nicht jene des neuen Lieblingsrivalen China. Umso mehr ärgert es sie jedoch, wenn die Filme mit ihrer prochinesischen Grenzziehung ausgerechnet aus den USA kommen. Wie es die Karten in die Filme schaffen, ist nicht immer endgültig zu klären. Vom "Barbie"-Produzenten Warner Bros gab es bisher keine Reaktion. Vielleicht wird auch bis zum Kinostart am 21. Juli noch an den Karten getüftelt. Offizielles Bildmaterial der umstrittenen Karte gibt es bisher jedenfalls noch nicht. (Fabian Sommavilla, 5.7.2023)