In Council Bluffs im US-Bundesstaat Iowa steht eines der größten Rechenzentren von Google: In fensterlosen Fabrikhallen rattern hinter dicken Mauern Tag und Nacht Server, die die Internetmaschinerie des Tech-Giganten am Laufen halten: Suche, Mails, Videos. In langen Fluren reihen sich auf einer Fläche von mehreren Fußballfeldern dicht an dicht gut gesicherte Serverschränke, deren blinkende Lämpchen den eingehenden Datenverkehr signalisieren. Egal, ob man im Auto mit Google Maps navigiert oder einen Youtube-Clip im Zug anschaut – jedes Mal werden Daten um den Globus gejagt, die in einer Serverfarm wie in Council Bluffs landen und dort verarbeitet und gespeichert werden. Hier, in der Prärie von Iowa, findet die flüchtige und immaterielle Cloud ihren räumlichen Ausdruck.

Serverfarmen mit Windrädern im Hintergrund
Ohne Rechenzentren auf dem Land könnte man in der Stadt mit seinem Smartphone weder einen Kaffee bezahlen noch eine Sprachnachricht schicken.
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In dem agrarisch geprägten Bundesstaat, der für seine Schweinezucht bekannt ist, hat Google vor einigen Jahren rund 400 Hektar landwirtschaftliche Fläche erworben. Auch der Facebook-Konzern Meta und Microsoft errichteten dort Rechenzentren für ihr boomendes Cloud-Geschäft. Der Bundesstaat, der mit einer Fläche von 146.000 Quadratkilometern gut elfmal größer als Tirol ist, lockt mit niedrigen Steuern und Strompreisen. Rund die Hälfte des Stroms stammt aus Windenergie.

Zurück aufs Land

Ohne Rechenzentren auf dem Land könnte man in der Stadt mit seinem Smartphone weder einen Flat White bezahlen noch eine Sprachnachricht verschicken. Je vernetzter der Alltag wird, desto mehr Daten müssen verarbeitet werden, und desto größer wird der Flächenbedarf für Rechenzentren. Doch Bauland ist in Städten knapp und teuer, gerade im dicht besiedelten Europa. Die Standortwahl fällt daher häufig auf dünn besiedelte, ländliche Regionen, so wie in den USA auf Iowa, Nevada oder Alabama. Facebook hat vor Jahren im nordschwedischen Lulea nahe des Polarkreises eine Serverfarm gebaut. Und Google, das die neue Landlust von Big Tech auf seiner Webseite mit dem Foto eines Hirschrudels kultiviert, das in der Nähe seiner Serverfarm in Iowa grast, plant in den Weiten von Ohio auf dem Gelände einer historischen Milchfabrik ein neues Rechenzentrum. Eine Umnutzung, die den Strukturwandel eindrücklich vor Augen führt: Wo einst Kühe weideten, werden nun Daten "geerntet".

In den ständischen Agrargesellschaften beruhte die Wertschöpfung jahrhundertelang auf Landwirtschaft: Bauern bestellten die Felder ihrer Lehnsherren und versorgten die Städte mit Getreide, Fleisch und Früchten. Mit der Industrialisierung verlagerte sich die Produktion in Städte und Fabriken; gleichzeitig wurden durch den Einsatz von Maschinen und Düngemitteln die einstigen Bauernhöfe zu "Agrarfabriken" hochgerüstet. Im digitalen Kapitalismus findet nun eine Rückverlagerung der Produktion aufs Land statt. App-gesteuerte Melkroboter, die auf Bauernhöfen Kühe melken, brauchen die als Datensilo fungierenden Serverfarmen auf dem Land ebenso wie sensorgestützte Bewässerungssysteme in der Stadt.

Das Umland neu strukturiert

Der Architekt Rem Koolhaas hat 2020 in der von ihm gestalteten Ausstellung Countryside. The Future im New Yorker Guggenheim-Museum veranschaulicht, wie das urbane digitale Leben auch das Umland neu strukturiert: Der ländliche Raum übernimmt zunehmend Versorgungsfunktionen für die Stadt, und zwar nicht nur mit Nahrungsmitteln, sondern auch mit der Aufbereitung von Daten, Lagerung von Waren sowie der Produktion von Hightechprodukten. Serverfarmen, Logistikzentren oder Batteriefabriken werden immer häufiger in der Peripherie errichtet. Tesla etwa hat seine Gigafactories unter anderem in Grünheide und Nevada gebaut, und auch Amazon stationiert seine Verteilzentren im Hinterland.

In einem Essay beschreibt Koolhaas, wie im Schatten urbaner Zentren eine neue Landschaft unbewohnter Boxen entsteht, ein unsichtbarer Komplementär, der quasi als Maschinenraum des städtischen Konsums fungiert. Der Prototyp für diese neue Urbanität ist für Koolhaas der Tahoe-Reno Industrial Park in Nevada, ein beinahe menschenleerer überwachter Industriepark, in dem der Mensch bloß noch das Aufsichtspersonal für Maschinen ist. "Unser unbändiger Hunger nach digitaler Nähe führt paradoxerweise auf der ganzen Welt zu einem ungehinderten Wachstum dieses Urbanismus auf dem Land", schreibt Koolhaas und fragt im nächsten Atemzug, ob sich das Moore’sche Gesetz nicht dahingehend umkehrt, dass die Schrumpfung von Prozessoren zu einer Expansion des Raums führe.

Pflanzen im Metaverse

Wobei man einwenden könnte, dass (Land-)Wirtschaft als wertschöpfender Faktor nicht mehr Land im physischen Sinn voraussetzt: So gibt es in Venezuela eine Reihe von Klickarbeitern, die für ein paar Dollar am Tag in Online-Games die Gärten von Spielern bewässern und darauf achten, dass diese nicht von Weidetieren plattgetrampelt werden. Andere verdienen Geld, indem sie im Metaverse Pflanzen züchten. Das "Cyberfarming" benötigt jedoch auch Ressourcen, denn damit Avatare in virtuellen Welten Blumen gießen können, müssen irgendwo Rechenzentren laufen. Und die benötigen Strom und Wasser.

Person bezahlt kontaktlos mithilfe einer Smart-Watch
Die zunehmende Digitalisierung des Alltags erfordert immer mehr Rechenleistung.
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Rechenzentren machen schon jetzt rund ein Prozent des weltweiten Strombedarfs aus, Tendenz steigend. Damit die heiß laufenden Server gekühlt werden können, sind riesige Mengen Kühlwasser notwendig: bis zu 1360 Kubikmeter Wasser verbraucht ein Rechenzentrum pro Tag. Das entspricht etwa dem Durchschnittsverbrauch von 10.000 Personen. Nicht nur in trockenen, auch in regenreichen Regionen ist das ein Problem.

Gegen den Flächenfraß

So gingen in den Niederlanden in diesem Jahr Bauern auf die Barrikaden, weil die Regierung für den Bau eines Microsoft-Rechenzentrums private Grundstücke enteignen wollte und die Bagger bereits rollten, obwohl noch gar keine Baugenehmigung vorlag. Die Bauern fürchten nicht nur um ihr Land, sondern auch, dass der Techkonzern das Strom- und Wassernetz anzapft – und damit ihre Ernte gefährdet. Es geht hier nicht nur einen Ressourcenkonflikt zwischen Daten- und Landwirtschaft, sondern auch um die Organisation von Stadt und Land in einer datengetriebenen Gesellschaft. Wo wollen wir unsere Daten lagern? Wo entstehen öffentliche Räume? Wie kann verhindert werden, dass weitere Flächen versiegelt werden?

An innovativen Konzepten mangelt es nicht. So hat Microsoft vor einigen Jahren mit einem Unterwasser-Rechenzentrum experimentiert: Vor den schottischen Orkney-Inseln hat der Konzern einen Container mit Servern versenkt, der in 36 Metern Tiefe von Nordseewasser gekühlt wurde. Derweil plant die EU, solarbetriebene Rechenzentren ins Weltall zu verlegen. Zukunftsweisend sind auch Konzepte, bei denen die überschüssige Abwärme von Rechenzentren ins Fernwärmenetz eingespeist wird. Um Flächenfraß zu verhindern, braucht es auch keine teuren und CO2-intensiven Neubauten. Serverschränke können in bestehenden Gebäuden untergebracht werden, die in der Digitalmoderne weniger gebraucht werden: Warenhäuser, Druckereien, Parkhäuser. Tomaten aus Treibhäusern, die mit der Abwärme von Rechenzentren beheizt werden? Warum nicht! Wenn Techkonzerne mit ihren Servern aufs Land ziehen, muss die Landwirtschaft in die Stadt kommen. (Adrian Lobe, 6.7.2023)