Ein Mann installiert Solarmodule auf einem Hausdach
Photovoltaik boomt – und treibt die Mittelspannungsnetze zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen. Manche Hauseigentümer oder Hauseigentümerinnen müssen sich gedulden, wenn sie Strom ins öffentliche Netz einspeisen wollen.
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Es sind die vielen Photovoltaikanlagen auf Österreichs Dächern, die Netztechnikern immer öfter Schweißperlen auf die Stirn treiben. Die Solaranlagen hängen meist am Mittelspannungsnetz und sind, weil mit dem Ausbau der Leitungen lange zugewartet wurde, ein zunehmend destabilisierender Faktor, sagen Energieexperten.

Umgekehrt geraten immer öfter Menschen in Rage, die unzumutbar lange auf einen Netzanschluss für ihre Dachsolaranlage warten müssen. Die Botschaft, man müsse und könne etwas gegen den Klimawandel tun, hat in Kombination mit gut gefüllten Fördertöpfen und den zuletzt extrem gestiegenen Energiepreisen dazu geführt, dass immer mehr auf den PV-Zug aufspringen.

"Man ging lange von einem linearen Wachstum bei Photovoltaik aus", heißt es bei Österreichs Energie, dem Interessenverband der heimischen Stromwirtschaft. "Mit einer Verdreifachung, geschweige denn Vervierfachung wie im vergangenen Jahr hat niemand gerechnet."

Früher war es anders

Früher war die Stromwelt vergleichsweise einfach, sie war klar strukturiert. Die großen Kraftwerke standen entlang von Flüssen, die ganz großen in Österreich beispielsweise an der Donau, in Deutschland am Rhein. Von dort wurde der Strom über Hochspannungsleitungen oft hunderte Kilometer weit in die Verbrauchszentren gebracht. Hochspannung deshalb, weil die Stromverluste beim Transport über weite Strecken vergleichsweise klein gehalten werden können. Die Weiterverteilung in der Fläche erfolgte und erfolgt mit niedrigerer Spannung.

Die Netze sind historisch gewachsen; die Standorte der Umspannwerke, die zur Verbindung unterschiedlicher Spannungsebenen dienen, ebenfalls. Das ist in ganz Europa so. Grenzüberschreitende Leitungen, die für die Ansprüche in der alten Stromwelt gereicht haben, reichen jedoch nicht mehr. Durch die Veränderungen auf dem europäischen Strommarkt nach der Liberalisierung um die Jahrtausendwende sind die Leitungen immer öfter verstopft; dadurch wird auch die Stabilität im Netz zunehmend auf die Probe gestellt.

Der Standard

Das Stromnetz ist vergleichbar mit dem Verkehrsnetz. Der Strom kann von einer Bundesstraße (110 kV Hochspannung) auf eine Schnellstraße oder Autobahn (220 oder 380 kV Höchstspannung) "auffahren" oder von der Schnellstraße bzw. Autobahn auf die Bundesstraße "abfahren". Gibt es zu viel Verkehr, sind Staus die Folge. Das ist lästig, aber besser als "Staus" im Stromnetz. Dann steht nämlich wirklich alles still.

Mit zunehmendem Gewicht erneuerbarer Energien in der Stromerzeugung wird es komplizierter, die Netze im Gleichgewicht zu halten. Photovoltaik und Wind sind schwerer zu prognostizieren als thermische oder Laufkraftwerke.

Wichtige Kennzahl

Eine wichtige Kennzahl in diesem Zusammenhang sind 50 Hertz. Diese beschreibt die Schwingung des Stroms. 50-mal pro Sekunde schwingt die elektrische Energie von negativer zu positiver Polung und wieder zurück, im Süden Portugals genauso wie an der Nordküste Dänemarks. Denn der Stromfluss hierzulande ist in das europäische Stromnetz, das sogenannte Europäische Verbundsystem, integriert.

Es ist ein sensibles Gleichgewicht, das schon bei Schwankungen im Millihertzbereich ins Stocken geraten kann. Die Herausforderung bei der elektrischen Energie besteht darin, dass der Strom in dem Augenblick, wo er verbraucht wird, auch erzeugt werden muss. Dieses Gleichgewicht von Erzeugung und Verbrauch muss zu jeder Zeit gegeben sein.

Hoher Investitionsbedarf

Dass mit dem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien simultan auch eine Stärkung der Netze einhergehen muss, wurde lange Zeit ignoriert. Die Branche schätzt den Investitionsbedarf auf rund 30 Milliarden Euro bis 2030.

Dass Windkraftanlagen für das Netz ein kleineres Problem darstellen, liegt daran, dass sie in der Regel deutlich größer sind als Solaranlagen auf dem Dach. Investoren und Investorinnen kümmern sich meist im Vorfeld darum, dass es einen Netzanschluss gibt, wenn es ihn braucht. (Günther Strobl, 5.7.2023)